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Großbritannien: Fall Archie: Eltern scheitern vor dem höchsten britischen Gericht

Großbritannien

Fall Archie: Eltern scheitern vor dem höchsten britischen Gericht

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    Paul Battersbee und Hollie Dance, die Eltern von Archie Battersbee.
    Paul Battersbee und Hollie Dance, die Eltern von Archie Battersbee. Foto: Victoria Jones, PA Wire/dpa

    Es gibt im Internet viele Fotos von Archie Battersbee. Die einen zeigen einen fröhlichen blonden Jungen an der Grenze zwischen Kind und Teenager: grinsend im Auto mit seiner Mutter, stolz mit einem Leichtathletik-Pokal, typische Bilder, wie man sie von den meisten Kindern kennt. Auf den anderen Fotos sieht man Archie in einem Krankenhausbett. Neben seinem Gesicht liegen Kuscheltiere, ein Schlauch in der Nase versorgt ihn mit Sauerstoff, über einen anderen wird er künstlich ernährt. Archie Battersbee wirkt, als er würde er schlafen. Doch der zwölfjährige Junge aus England liegt seit Monaten im Koma.

    Anfang April hatte Archies Mutter, Hollie Dance, ihren Sohn bewusstlos in seinem Zimmer gefunden, mit einer Schlinge um den Hals. Dance glaubt, dass Archie an einer Internet-Mutprobe teilnehmen wollte, der "Blackout Challenge", bei der Kinder und Jugendliche sich selbst die Luft abschnüren und dabei filmen.

    Eltern von Archie Battersbee wenden sich an den Supreme Court

    Archie ist seit dem Vorfall nicht mehr aufgewacht, Ende Mai wurde er für hirntot erklärt. Die Ärztinnen und Ärzte im Royal Hospital in London, wo der Junge behandelt wird, plädieren seit Wochen dafür, die Geräte abzuschalten, die ihn beatmen und ernähren. Archies Eltern jedoch kämpfen vor Gericht darum, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu verlängern. Hollie Dance, die Mutter, hat mehrfach betont, ihr Sohn brauche mehr Zeit, um sich zu erholen. Er habe einmal ihre Hand gedrückt, sie wisse, dass er "noch da" sei. "Es liegt an Gott zu entscheiden, was mit Archie geschehen soll. Dazu gehört auch, ob, wann und wie er stirbt", betonte Dance, eine gläubige Christin.

    Bereits Mitte Juni hat ein Gericht entschieden, die Geräte nicht länger laufen zu lassen. Dance und ihr Mann Paul Battersbee gingen in Berufung und wandten sich an die Vereinten Nationen, um Aufschub zu erhalten. Am Dienstag sollten die lebenserhaltenden Maßnahmen ausgesetzt werden. Kurz zuvor brachten die Eltern den Fall noch vor das höchste britische Gericht, den Supreme Court. Doch auch dort wurde er abgewiesen. Das Krankenhaus kann nun die Geräte abschalten. Nach Angaben von Archies Mutter Dance soll es am Mittwoch um 11 Uhr Ortszeit so weit sein - die Zeit, um den Fall noch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, reiche voraussichtlich nicht aus.

    Der Fall von Archie Battersbee erinnert an ähnliche Fälle aus Großbritannien, die ebenfalls vor Gericht verhandelt wurden: Die Eltern des kleinen Alfie Evans kämpften ein halbes Jahr lang dafür, dass ihr Säugling am Leben gehalten wird. Nachdem die Geräte im Frühsommer 2018 abgestellt worden waren, bezichtigte Alfies Vater mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Krankenhauses in Liverpool, in dem sein Sohn behandelt worden war, des Mordes – zog seinen Vorwurf später aber wieder zurück. Die Eltern von Charlie Gard waren 2017 bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, um eine Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen für ihren zehn Monate alten Sohn zu erstreiten. Der Säugling litt an einer tödlich verlaufenden Erbkrankheit, die seine Organe langsam absterben ließ. Im Sommer 2017 stellten die Ärzte die Geräte ab.

    Fall Archie Battersbee erinnert an andere Fälle aus Großbritannien

    Der Fall des Säuglings Charlie Gard fand weltweit Beachtung – weil die britischen und später die Straßburger Richterinnen und

    In der Regel entscheiden das – insofern es keine Patientenverfügung gibt – Angehörige und Ärzte gemeinsam. Auch in Großbritannien werden die allermeisten Entscheidungen, die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten, so getroffen. Wenn beide Seiten nicht einer Meinung sind, landet ein Fall vor Gericht, so wie der von Archie Battersbee. Geht es um Kinder, berufen sich die Richterinnen und Richter in Großbritannien bei Fällen dieser Art in Anlehnung an die UN-Kinderrechtskonvention auf das Kindeswohl, was dazu führt, dass sie in ihrem Urteil meist eher der medizinischen Sicht und nicht dem Willen der Eltern folgen. Auch im Fall Archie Battersbee verwiesen die Richter darauf, dass ein Abschalten der Geräte "im besten Sinne" des Jungen sei – denn es erspare ihm weiteres Leiden.

    In Deutschland ist die juristische Lage ein wenig anders: In der Bundesrepublik ist das Recht auf Leben in Artikel 2 des Grundgesetzes besonders geschützt. Kommt ein Fall vor Gericht, votieren Richterinnen und Richter deshalb deutlich öfter für lebenserhaltende Maßnahmen, sollte es zumindest eine kleine Aussicht auf Besserung geben. Das gilt jedoch nicht in Fällen, in denen es um Menschen geht, die bereits – so wie Archie Battersbee – für hirntot erklärt wurden.

    In Großbritannien sucht man mittlerweile nach Wegen, wie solche hitzigen Rechtsstreitigkeiten ganz vermieden werden können. Lady Ilora Finlay, Ärztin und Abgeordnete des Oberhauses, sagte dem britischen Sender Times Radio, die Regierung lote aktuell Alternativen aus, etwa eine unabhängige Mediation zwischen dem Krankenhaus und den Angehörigen. Denn ein Prozess würde diese tragischen Fälle oft noch tragischer machen. "Wenn sich beide Seiten wie Gegner gegenüberstehen, dann hilft das niemandem."

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