Applaus auf der Zuschauertribüne, Freudengesänge vor dem historischen Palast des nationalen Parlaments in Madrid: Spaniens LSBTIQ-Bewegung feierte das grüne Licht für das Selbstbestimmungsgesetz, das vom Abgeordnetenhaus kurz vor dem Jahreswechsel mit breiter Mehrheit verabschiedet worden ist. Die Reform, die formal noch vom Oberhaus gebilligt werden muss, ermöglicht es Menschen, die sich nicht mit ihrer offiziell eingetragenen Geschlechtsidentität identifizieren, ihren Geschlechts- und Vornamenseintrag mit einer einfachen Erklärung gegenüber den Behörden zu ändern – ohne medizinische Gutachten.
„Spanien wird damit zum Vorbild in Europa“, sagte Mar Cambrollé, Präsidentin des spanischen LSBTIQ-Dachverbands Plataforma Trans. „Das ist ein wichtiger Tag für die Demokratie“, freute sich Cambrollé, deren Organisation Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Menschen (LSBTIQ) vertritt.
Trans-Menschen gelten nicht mehr als krank
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz würden nach langem politischem Gezerre nun endlich in Spanien die Empfehlungen des Europarates und der Vereinten Nationen umgesetzt, wonach trans- und intergeschlechtliche Menschen nicht länger als kranke Personen behandelt werden sollen, erklärte Cambrollé. Auch Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero, die das Gesetz nach heftigen Debatten – sogar innerhalb der Mitte-links-Regierungskoalition – durchs Parlament brachte, zeigte sich erleichtert. „Die Trans-Rechte sind Menschenrechte“, sagte die Ministerin, die zu den Galionsfiguren des kleineren linken Koalitionspartners Podemos gehört. Spanien gehe bei der Ausweitung der Gleichberechtigung und der Anerkennung der geschlechtlichen Vielfalt weiter voran. „Wir wollen, dass alle LSBTIQ-Personen so sein können, wie sie sein wollen.“ Damit setzt die mit 34 Jahren jüngste Ministerin der Regierung des sozialdemokratischen Premiers Pedro Sánchez ihren in ganz Europa aufsehenerregenden Reformkurs fort.
In diesem Jahr hatte die Ministerin, die mit Unterstützung von Sánchez zum feministischen Aushängeschild der Regierung wurde, eine ganze Reihe von Gesetzen durchs Parlament geboxt. Gesetze, die Spanien zu einem europäischen Vorreiter in der Gleichstellungspolitik machten. Reformen, die aber zugleich im eigenen Land den Zorn der katholischen Kirche und der konservativen Parteien hervorriefen. Zum Beispiel das „Nur-Ja-heisst-Ja-Gesetz“, das die Definition sexueller Übergriffe dahin gehend änderte, dass jede körperliche Beziehung ohne klare Zustimmung beider Partner als Vergewaltigung geahndet werden kann. Oder den Menstruationserlass, der Arbeitnehmerinnen mit starken Regelschmerzen das ausdrückliche Recht einräumt, sich krankzumelden. Zudem sorgte Montero dafür, dass schon Minderjährige ab 16 Jahren eine unerwünschte Schwangerschaft ohne Zustimmung der Eltern beenden können.
Auch Basken und Katalanen stimmten dafür
Nun also ein weiterer Vorstoß Monteros mit dem Selbstbestimmungsgesetz. Im nationalen Parlament stimmten 188 Abgeordnete dafür. Das „sí“ kam von den beiden Regierungsparteien – Sozialdemokraten und Linkspartei Podemos – aber auch von den kleinen Regionalparteien aus dem Baskenland und Katalonien. 150 Abgeordnete der konservativen Opposition, die sich aus Volkspartei, Liberalen und der Rechtspartei Vox zusammensetzt, stimmten dagegen, unter anderem weil ihnen das Selbstbestimmungsrecht der Minderjährigen zu weit geht.
Das neue Gesetz sieht eine Stufenlösung vor: Alle trans- und intergeschlechtlichen Menschen ab 16 Jahren können künftig unbürokratisch ihren Geschlechts- und Namenseintrag im Personenstandsregister ändern lassen. Als einzige kleine Hürde ist vorgesehen, dass der Antrag nach drei Monaten noch einmal bekräftigt werden muss. Nach der Änderung im zentralen Register können dann die Eintragungen in allen Dokumenten wie etwa in Ausweisen oder Urkunden berichtigt werden. Eine Pflicht zu hormonellen oder operativen Eingriffen existiert nicht.
Hormonelle Behandlung ist nicht mehr vorgeschrieben
Das bisherige Transgender-Gesetz aus dem Jahr 2007 schreibt noch vor, dass eine Änderung erst möglich ist nach positiven ärztlichen und psychologischen Gutachten, die eine krankhafte Bewusstseinsstörung diagnostizieren; zudem mussten sich die Betroffenen zu einer zweijährigen hormonellen Behandlung verpflichten. Ein Verfahren, das heute von den meisten wissenschaftlichen Gremien und internationalen Organisationen abgelehnt wird.
Bei Heranwachsenden zwischen 14 und 16 Jahren ist künftig noch die Zustimmung der Erziehungsberechtigten notwendig. Sollten diese die Namensänderung nicht billigen, hat ein Familienrichter das letzte Wort. Bei Kindern zwischen 12 und 14 muss immer ein Familienrichter zustimmen. Sogar Kinder unter 12 können nun bei Problemen mit ihrer Geschlechtsidentität auf Änderung ihres Vornamens bestehen. Allerdings nicht im Personenstandsregister. Wohl aber dürfen sie in der Schule bestimmen, wie sie von den Lehrern angeredet werden möchten. Spaniens Selbstbestimmungsgesetz, mit dem sich zum Beispiel ein Luis in Luisa oder eine Carla in Karl umbenennen kann, soll im Laufe des neuen Jahres – nach der erwarteten Billigung im spanischen Oberhaus – in Kraft treten.