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Katholische Kirche: Kreuz und queer: Kirchen-Beschäftigte erzählen ihre Geschichten

Katholische Kirche

Kreuz und queer: Kirchen-Beschäftigte erzählen ihre Geschichten

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    Eine Regenbogenflagge vor dem Kölner Dom und der Kirche Groß St. Martin: Eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2017.
    Eine Regenbogenflagge vor dem Kölner Dom und der Kirche Groß St. Martin: Eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2017. Foto: Oliver Berg, dpa

    Der katholische Hochschulpfarrer Burkhard Hose, der im unterfränkischen Würzburg arbeitet, hat kein Problem mehr damit zu sagen, dass er homosexuell ist. Seine Eltern, seine Geschwister, seine Freundinnen und Freunde, sein Team wissen es seit langem. Hose hat kein Problem – seine Kirche und viele, die für sie arbeiten, dagegen schon. Am Telefon spricht Hose am Montagmorgen von den Verdächtigungen und Anschuldigungen, die er in den vergangenen Jahrzehnten über sich ergehen lassen musste. Er spricht über das Gefühl, dass ein Teil von ihm schlicht nicht anerkannt werde von seinem Arbeitgeber. „Wir wollen, dass wir nicht länger beschämt werden“, sagt der 55-Jährige, der 1994 zum Priester geweiht wurde.

    Burkhard Hose ist Pfarrer – und steht zu seiner Sexualität.
    Burkhard Hose ist Pfarrer – und steht zu seiner Sexualität. Foto: Thomas Obermeier

    Dieses „Wir“ ist ihm wichtig. Denn Hose ist nicht allein. Mit ihm outen sich am Montag mehr als hundert Priester, Ordensbrüder, Gemeindereferentinnen, Bistumsmitarbeiter, Religionslehrerinnen und Erzieherinnen. Mehr als hundert Menschen, die lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär oder transsexuell sind – und die sich nicht länger verstecken wollen. Sie kämpfen für volle Anerkennung und gegen Diskriminierung. Für eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts mit seinen Loyalitätspflichten, die häufig bereits Gegenstand von Gerichtsverhandlungen waren. Sie nennen ihre Initiative #OutInChurch. Geoutet in der Kirche, könnte man das übersetzen. Und sie nutzen alle Kanäle. Das Fernsehen, die sozialen Medien, überall wollen sie ihre Geschichten erzählen.

    #OutInChurch: Sie wollen sich gegenseitig schützen

    Hose und die anderen möchten zeigen, dass sie viele sind – und sich so gegenseitig schützen. Schließlich könnte ihr Bekenntnis dienstrechtliche Folgen haben. Bis hin zum Jobverlust. Eine Entscheidung, die oft vom jeweiligen Ortsbischof abhängt. „Es wäre kein gutes Zeichen auf Offenheit mit Sanktionen zu antworten“, sagt Hose dazu.

    Erst im vergangenen März machte der Vatikan nochmals deutlich, dass „Beziehungen oder selbst stabile (gleichgeschlechtliche, die Red.) Partnerschaften“ nicht gesegnet werden könnten. Im Zentrum der katholischen Sexualmoral steht die „unauflösliche Verbindung eines Mannes und einer Frau, die an sich für die Lebensweitergabe offen ist“. Papst Franziskus bekräftigte in seinem Apostolischen Schreiben „Amoris Laetitia“ zwar, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden solle. Aber er stellte Menschen, „die homosexuelle Tendenz zeigen“, eben auch als hilfsbedürftig dar.

    Nicht wenige Menschen in Diensten der katholischen Kirche zerbrechen daran – zumal sie stets fürchten müssen, denunziert zu werden und ihre berufliche Existenz zu verlieren. Oder ihre Berufung nicht mehr leben können.

    Einer sagt: Die Kirche muss ihre Lehre überdenken

    Es ist Montagvormittag, die Lawine der Berichterstattung ist angerollt und die Internetseite der Initiative „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ bereits nicht mehr erreichbar. In der ARD-Mediathek ist der Film zur Initiative abrufbar: „Wie Gott uns schuf“. Am Freitag wurde Journalistinnen und Journalisten noch angekündigt, er werde am Montag um 22.50 Uhr im Ersten gezeigt, am Montagvormittag ist er für die Primetime um 20.30 Uhr angekündigt. Das Interesse am „größten Coming-out in der Geschichte der katholischen Kirche“, wie es im Film heißt, ist überwältigend.

    Burkhard Hose ist nicht überrascht davon. Das Interesse an dem, was in der katholischen Kirche falsch laufe, sei momentan groß, sagt er. Weltweit und seit Tagen berichten Medien über das Münchner Missbrauchsgutachten, in dem sogar ein ehemaliges Kirchenoberhaupt – der emeritierte Papst Benedikt XVI. – belastet wird. Und nun diese mehr als hundert Menschen, die nicht länger schweigen wollen und an einem Tabu rühren. Auch, indem sie von ihren Problemen berichten, die sie wegen ihrer sexuellen Orientierung von ihrem Arbeitgeber Kirche bekommen haben.

    Stephan Schwab, 50 und aus dem unterfränkischen Landkreis Main-Spessart, sagt: Die Verantwortlichen der Kirche sollten mehr in den Wohnzimmern gucken, wie die Menschen ihren Alltag leben, für welche Werte und Ziele sie einstehen – „und nicht in den Schlafzimmern nachschauen, wer mit wem ins Bett geht“. Er ist Diözesanjugendseelsorger des Bistums Würzburg. Die katholische Kirche solle ihre Lehre überdenken und alle Menschen gleichermaßen wertschätzen und achten, sagt er.

    Papst Franziskus hat sich klar zur Homosexualität geäußert.
    Papst Franziskus hat sich klar zur Homosexualität geäußert. Foto: Andrew Medichini, dpa

    In der ARD-Mediathek kann man viele weitere Interviews anklicken. Eine lesbische Religionslehrerin, die aus Bayern stammt, erzählt: Sie habe eine „Struktur der Angst“ erfahren, die etwas mit ihr gemacht habe. Ihren Arbeitsvertrag habe sie mit Tränen unterschrieben, weil sie wusste, er widerspreche einem Menschenrecht. Später habe man ihr „den Religionsunterricht entzogen“. Ein homosexueller, angehender Gemeindereferent aus Bremen erzählt: Er habe schon öfter seinem Freund gesagt, dass er ihn „priorisieren“ werde, würde er vor die Wahl gestellt – Arbeitgeber oder Heirat? Auch eine lesbische Krankenpflegerin aus Köln, die in einem katholischen Krankenhaus tätig ist, fürchtet um ihre Aufstiegschancen bei einer Heirat. Oder gar die Kündigung. Was aus dem Vatikan zu hören sei, mache sie traurig und wütend. Sie frage sich: „Was bin ich für ein anderer Mensch?“

    #OutInChurch ist nicht die erste kollektive Comingout-Aktion der vergangenen Monate. Angefangen hatte alles mit #ActOut vor knapp einem Jahr. 185 Menschen aus der Film- und Theaterszene hatten sich damals gemeinsam offenbart: als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär und transsexuell. Die Leute hinter #OutInChurch, die am Montag in Windeseile auch ein buntes Instagram-Profil eröffnet haben, bedanken sich bei ihren Vorgängerinnen und Vorgängern aus der Filmbranche explizit für deren „Inspiration“. Mit ins Leben gerufen hat #ActOut damals die „Tatort“-Schauspielerin Karin Hanczewski. Sie war auch eine der ersten, die in den sozialen Medien den Kirchenangestellten ihre Solidarität bekundete: „Ich feiere euren Schritt, die damit verbundene Kraft und Liebe und euren Mut“, schrieb die 40-Jährige auf Instagram.

    Schauspielerin Karin Hanczewski outete sich mit 184 weiteren Menschen.
    Schauspielerin Karin Hanczewski outete sich mit 184 weiteren Menschen. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Die Sätze, mit denen die Schauspielerinnen und Schauspieler damals ihren großen, gemeinsamen Schritt begründeten, könnten identisch auch aus den Mündern der Kirchenbediensteten stammen: „Bisher konnten wir in unserem Beruf mit unserem Privatleben nicht offen umgehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten“, schrieben sie in ihrem Manifest, das in 25 Sprachen übersetzt wurde. „Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde (...) die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheimzuhalten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden. Das ist jetzt vorbei.“

    Auf Anfrage unserer Redaktion bekunden die Initiatorinnen und Initiatoren von #Actout ihre Freude über die neue Aktion. "Wir hoffen, dass die großzügigen Gesprächseinladungen, die #OutInChurch ausgesprochen haben, in Anspruch genommen werden."

    Kurz nach #ActOut kam #TeachOut. Seit Monaten outen sich nahezu Tag für Tag unter diesem Hashtag Lehrkräfte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum als nicht-heterosexuell. Ihr Ziel: mehr Selbstverständlichkeit und Vielfalt im Bildungsbereich. Auch die Macherinnen und Macher dieser Initiative beziehen sich auf die Schauspielerinnen und Schauspieler als Vorbilder.

    Katholischer Bischof von Augsburg lehnt den Segen nicht ab

    Burkhard Hose, der Würzburger Hochschulpfarrer, ist am Montag ein gefragter Interviewpartner. Schon am Vormittag hat er Mails erhalten, in denen ihm, in Großbuchstaben – auch geschriebene Worte können brüllen – mit der Hölle gedroht wird. Hose kennt solche Reaktionen. Als Mitinitiator der Aktion #liebegewinnt rief er zu Segnungsgottesdiensten auch für homosexuelle Paare auf. Bundesweit fanden solche Gottesdienste am 10. Mai 2021 statt.

    Zuvor hatte er eine Unterschriftenaktion gestartet, der sich tausende hauptamtliche Kirchenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter anschlossen. Sie machten damit ihren Unmut öffentlich, nachdem die vatikanische Glaubenskongregation klargestellt hatte: Es sei „nicht erlaubt“, homosexuelle Partnerschaften zu segnen. Solche Verbindungen könnten „nicht als objektiv auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt werden“. Gott segne „nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen: Er segnet den sündigen Menschen, damit er erkennt, dass er Teil seines Liebesplans ist, und sich von ihm verändern lässt“.

    Es folgte eine wochenlange Debatte, in der sich auch Bischöfe äußerten. Der Augsburger Bischof Bertram Meier sagte, er lehne „niemals einen Segen ab für Menschen, die zu mir kommen, um sich segnen zu lassen“. Er freue sich darüber und sei nur das Sprachrohr für Gott. Wenn Menschen sagten, sie wollten Werte wie Treue oder Verbindlichkeit leben, spende er ihnen den Segen. Meier ergänzte, dabei alles zu vermeiden, das den Eindruck erwecke, es handele sich um eine sakramentale Eheschließung.

    Konservative Katholikinnen und Katholiken reagierten mit Ablehnung auf die Forderungen nach einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Und so musste sich selbst ein Bischof wie der Augsburger vorhalten lassen, er stelle sich „offensichtlich gegen Rom“. Wie bei vielen kirchlichen Themen wurde auch dieses Teil des heftigen, emotional geführten Richtungsstreits zwischen reformorientierten Gläubigen und konservativ-traditionalistischen. Die katholische Kirche der vergangenen Jahre präsentiert sich als eine mit sich und der Welt ringende. Zukunft: ungewiss.

    Und doch gibt es sie, die kleinen Signale, dass zumindest Einzelne in der Kirche die Zeichen der Zeit erkannt haben. In München zum Beispiel feiern homosexuelle Menschen regelmäßig zusammen den sogenannten Queer-Gottesdienst – schon seit 20 Jahren. Geleitet wurden und werden die Gottesdienste abwechselnd von mehreren Priestern – die sich teils offen, teils im kleinen Kreis gegen die offizielle Linie ihrer Kirche stellen.

    Auch Burkhard Hose ist innerhalb seiner Kirche schon auf ein „relativ offenes Klima“ gestoßen, damals im Priesterseminar. Es waren die 80er Jahre, Johannes Paul II. Papst. Ein junges, nicht öffentlichkeitsscheues Kirchenoberhaupt. Zumindest zu Beginn seines langen Pontifikats versprachen sich ungezählte Katholikinnen und Katholiken einen Aufbruch von ihm. Hose sagt, Seminaristen hätten damals Partnerschaften gehabt. Zum Thema sei das aber nicht geworden, nicht einmal untereinander. Auch er habe nicht über seine sexuelle Orientierung gesprochen.

    Bischof Bertram Meier will den Segen Homosexueller nicht ablehnen.
    Bischof Bertram Meier will den Segen Homosexueller nicht ablehnen. Foto: Ulrich Wagner

    Burkhard Hose hat die Hoffnung, dass der Reformprozess „Synodaler Weg“ zwischen deutschen Bischöfen und engagierten Laien zu einer Veränderung führt. Würde der Synodale Weg scheitern, werde es schwierig, meint er. Und beantwortet jetzt die Frage, die ihm mit am häufigsten gestellt wird: Warum bleibt er in der katholischen Kirche?

    Hose sagt, er sei nach wie vor von der Frohen Botschaft überzeugt. „Nicht ich muss mich verändern. Die Kirchenlehre muss sich verändern.“ Furcht vor dienstrechtlichen Konsequenzen habe er nicht. Bereits in seinem ersten Gespräch mit dem Würzburger Bischof Franz Jung habe er kein Geheimnis aus seiner Homosexualität gemacht – und keinen Zweifel daran gelassen, dass er zölibatär lebe.

    Papst Franziskus ist auch in diesem Punkt unmissverständlich: Mit einem kirchlichen Amt sei gelebte Homosexualität nicht vereinbar, sagte er einmal. Und über homosexuelle Kleriker: „Es ist besser, wenn sie das Priesteramt niederlegen, als wenn sie ein Doppelleben führen.“ Wie er es wohl empfinden mag, dass sich in Deutschland Dutzende katholische Verbände und Organisationen mit der Aktion „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ solidarisiert haben, und auch Bischöfe sie begrüßten?

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