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Gesundheit: Arno Luik: Darmkrebs "ist hinterhältig, brutal und fies"

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Arno Luik: Darmkrebs "ist hinterhältig, brutal und fies"

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    Der Journalist Arno Luik hat  die Diagnose Darmkrebs erhalten und ein Buch darüber geschrieben. Für ihn war es Selbsttherapie - er hilft aber auch anderen, wie er gemerkt hat.
    Der Journalist Arno Luik hat die Diagnose Darmkrebs erhalten und ein Buch darüber geschrieben. Für ihn war es Selbsttherapie - er hilft aber auch anderen, wie er gemerkt hat. Foto: Westend Verlag Gmbh

    Herr Luik, wer weiß, wie schwer krank Sie sind, kann das Gespräch mit Ihnen eigentlich gar nicht mit der Frage "Wie geht es Ihnen?" beginnen, oder?

    Arno Luik: Wenn die Frage ernst gemeint ist, dann schon. Das Problem ist, dass diese Frage meist zu einer Floskel verkommen ist, bei der man gar keine ehrliche Antwort erwartet. Als Kranker spürt man innerhalb von Sekunden, ob es jemand ernst meint mit seinem Mitgefühl oder nicht. Mein Leben ist seit meiner Krebsdiagnose zu ernst für Oberflächlichkeiten geworden. 

    Das wird in Ihrem Buch "Rauhnächte" auch deutlich, in dem Sie offen und schonungslos über Ihre Darmkrebserkrankung schreiben. Es ist als Tagebuch angelegt, es war also zunächst nur für Sie und Ihre Gedanken gedacht, oder?

    Luik: Ich hatte keine Mitleser im Kopf. Es ging mir nur um mich: um meine Ängste, meine Albträume, meine unbändige Sehnsucht nach Leben. Diese Krankheit überfordert fast alle. Als Betroffener, der kurz zuvor noch pudelgesund war, hat man plötzlich Todesängste. Die Menschen um einen herum haben Angst, sich falsch zu verhalten. Sie haben auch Angst, wohl fast jeder, selbst diese gemeine Krankheit zu bekommen. Und so schafft Krebs viel zu oft eine Hilf- und Sprachlosigkeit – auch im engsten Familien- und Freundeskreis. Auszüge meines Tagebuchs habe ich ein paar Bekannten zugeschickt, auch an meine Nachbarin, die an Krebs erkrankt war. Und sie sagte zu ihrem Mann: "Lies, was Arno schreibt. Er drückt aus, wie ich mich fühle. Lies es, und dann weißt du, was in mir vorgeht." Das hat mir plötzlich gezeigt, dass mein Schreiben nicht nur für mich eine Art Therapie ist, sondern dass es anderen vielleicht auch helfen kann.

    Sie schreiben auch, dass Krebs einsam macht.

    Luik: Diese Krankheit macht einsamer. Am Anfang, als Freunde von meiner Diagnose hörten, herrschten Empathie und Betroffenheit, ein Wärmestrom kam mir entgegen. Doch dann, so nach und nach, zogen sich viele zurück. Telefonate blieben aus. E-Mails wurden weniger. Mit dieser Diagnose ging eine Schranke runter zwischen mir und der normalen Welt. Geht sie wieder hoch? Ich hoffe es. Ich fühle mich, als würde ich von einem Kreuzfahrtschiff, auf dem bei einer Party geredet, getanzt, gelacht wird, plötzlich über Bord ins tiefe, schwarze Wasser fallen. Ich höre noch das Lachen der Feiernden. Das hell beleuchtete Schiff mit den Fröhlichen fährt weiter – und verschwindet am Horizont. Doch ich selbst bleibe in diesem dunklen, kalten Wasser zurück.

    Was wünschen Sie sich, wie sollten andere mit Ihnen umgehen?

    Luik: Nicht wie mit einem Todgeweihten. Diese Krankheit ist hinterhältig, brutal und fies. Was man einem Gesunden kaum vermitteln kann: Sie gehen mit dem Gedanken Krebs ins Bett, nachts wachen Sie mit dem Gedanken Krebs auf, morgens stehen Sie mit dem Gedanken Krebs auf. Immer ist da dieser Schriftzug, wo immer Sie sind, überall: Krebs. Aber dennoch bleibe ich doch der Mensch, der ich war. Also, ich wünsche mir einen ganz normalen Umgang.

    Ihr Buch ist keine leichte Lektüre. Sie schreiben auch sehr berührend vom Tod Ihrer Schwester, die an ALS gestorben ist. Mal ehrlich, würden Sie, wenn Sie nicht krank wären, so ein Buch lesen?

    Luik: Ich weiß natürlich, dass es da eine Hemmschwelle gibt. Viele, was ich verstehe, verdrängen diese Krankheit – obwohl jeder zweite Bundesbürger mit der Diagnose Krebs rechnen muss, wohl fast jede Familie einen Krebsfall hat. Reaktionen auf mein Buch zeigen mir, dass es gut war, es geschrieben zu haben. Neulich hatte ich eine Lesung. Der Saal war voll. Aber Sie hätten eine Feder fallen hören, so eine konzentrierte Aufmerksamkeit herrschte in dem Raum. Solch eine Intensität des Zuhörens habe ich noch nie erlebt. Danach sagten einige, dass ich ihrem Leid, ihrer Trauer eine Stimme gebe. Es war berührend.

    Ich vermute, es sind vor allem Frauen, die zu Ihren Lesungen kommen, oder?

    Luik: Ja. Frauen lesen ohnehin mehr. Und Männer, denke ich, verdrängen Krankheiten gern. Spielen da alte Rollenmuster vom starken Mann noch mit rein? Es gibt eben keine kranken Helden. Nach meiner Beobachtung, also rein subjektiv, sind Männer bei Krankheiten ängstlicher als Frauen.

    Sie schreiben offen von Ihren Todesängsten, von Ihren wahnsinnigen Schmerzen, würden Sie anderen schwer kranken Menschen auch raten, zu schreiben?

    Luik: Schreiben kann eine Selbsttherapie sein, zumindest war es bei mir so – obwohl ich das gar nicht erwartet hätte. Ich bin mir sicher, dass Kranke, auch schwer Erkrankte, Aufgaben finden sollten, die sie erfüllen, die sie ablenken. Die ihre Verzweiflung im Zaum hält. Das kann Musik machen sein, ein Ehrenamt im Sportverein, Sozialarbeit, Zeichnen, Malen, irgendwas, das einen aus dieser verdammten Tristesse befreit. Neulich, nach der Arbeit im Garten, hatte ich für kurze Momente wieder dieses fast vergessene Gefühl von Zufriedenheit. Wunderbar. 

    Und am schlimmsten sind die Nächte, erfährt man in ihrem Buch?

    Luik: Ja, deswegen heißt es ja auch Rauhnächte. Nachts poltern die Geister. Die Gedanken rasen. Albträume quälen. Neulich sagt ein Arzt im Traum zu mir: "Wenn Sie ein wenig Blut verlieren, sterben Sie sofort." Meine Wange platzt auf. Blut spritzt. Mit einem Angstschrei wache ich auf. 

    Sie als langjähriger Journalist treibt aber trotzt Ihrer Erkrankung auch die Weltlage noch um, wie man in Ihrem Buch merkt

    Luik: Zunächst dachte ich, dass mich das alles nicht mehr interessiert. Aber wenn Sie so direkt mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert sind, blicken Sie anders auf die Welt: sensibler, vielleicht auch trauriger, wohl auch wacher. Wir sind eine so winzige Zeitspanne auf dieser eigentlich wunderschönen Welt. Wir haben dieses so kurze, so wertvolle Dasein. Aber was macht der Mensch? Er kloppt sich, malträtiert, mordet, macht die Umwelt kaputt. Was sollen all diese Kriege? Es gibt Sinnvolleres. Besseres. Wichtigeres.

    Viele Krebspatienten sagen, dass die Krankheit sie verändert, dass sie noch bewusster leben. Ist das bei Ihnen auch so?

    Luik: Dieses Gerede, dass in jeder Krankheit auch eine Chance liege, halte ich für eine Schutzbehauptung. Ich jedenfalls hätte auf diese Chance gern verzichtet. Ich wäre so gern gesund. Ich würde so gern noch lange leben. Ich habe kürzlich einen Bekannten getroffen, der nicht wusste, wie krank ich bin. Nach einer halben Stunde sagte er zu mir: "Arno, bleib weiterhin so fröhlich! Bleib gesund!" Dieses so leicht Dahingesagte, diese dämliche Floskel: "Bleib gesund" fuhr mir wie ein Messer in den Kopf. Ich musste wegrennen – mit Tränen in den Augen. 

    "Rauhnächte", Westend-Verlag, 192 Seiten, 22 Euro.

    Zur Person: Arno Luik, 67, war Chefredakteur der taz und langjähriger Autor des Stern. Der mehrfach preisgekrönte Journalist hat sich unter anderem mit seinen Enthüllungen zu Stuttgart 21 einen Namen gemacht hat. Luik lebt in Hamburg und Königsbronn.

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