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Geburtstag: 10 Jahre Viagra

Geburtstag

10 Jahre Viagra

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    10 Jahre Viagra
    10 Jahre Viagra

    Hamburg (dpa) - Beim Blick auf die schütteren Haare steht Propecia bereit, zum Abnehmen gibt's Xenical und für gewisse Stunden dann Viagra. Vor zehn Jahren, am 1. Oktober 1998, kam die blaue Potenzpille in Deutschland den Markt.

    Etwa ebenso lang gibt es die erste wissenschaftlich geprüfte Tablette gegen Haarausfall beim Mann und das Schlankheitsmittel, das die Aufnahme von Fett im Darm vermindert. Es folgten viele weitere Potenz-, Abnehm- und Wohlfühl- Pillen. Haben sie zu einem Homo tabletticus geführt?

    Etwa 1,8 Milliarden Potenzpillen hat Viagra-Hersteller Pfizer nach eigenen Angaben weltweit bislang verkauft. Nach Viagra kamen mit Levitra und Cialis später noch zwei weitere Mittel ins Apothekenregal, die direkt auf den Schwellkörper des Gliedes wirken. Generelle Unterschiede gebe es nicht, erläutert die Chefärztin der Klinischen Andrologie am Universitätsklinikum Münster, Prof. Sabine Kliesch. "Die eine wirkt schneller, die andere länger oder ist für Diabetiker besser geeignet. Viele Patienten testen alle drei hintereinander und entscheiden sich dann für eine."

    Zehn Jahre Viagra haben Millionen Menschen wieder zu Sex verholfen. Hauptkonsumenten sind laut Kliesch Männer mit Risikofaktoren für Erektionsstörungen: über 50 Jahre, Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht. Zusätzlich habe diese Pille weitere Vorteile. "Es ist ganz sicher so, dass Viagra das Thema erektile Dysfunktion enttabuisiert hat." Das habe auch einen direkten Gesundheitsnutzen: "Ärzte und Patienten sprechen nun häufiger über erektile Dysfunktion. Und das ist in jedem Fall positiv, denn sie ist oft ein Frühwarnsymptom für andere Gefäßkrankheiten, wie etwa später einen Herzinfarkt."

    Fest stehe: Ohne medizinischen Grund werde Viagra nicht verschrieben, und auch dann müsse der Mann alles zahlen - je nach Packungsgröße laut Pfizer 10 bis 15 Euro pro Pille. "Das ist pro Woche so teuer wie Rauchen", meint Kliesch. Es gebe sicher auch Viagra-Konsumenten ohne klare medizinische Ursache. "Aber die besorgen sich die Pille übers Internet." Und das ist recht unsicher. Nach Angaben von Pfizer wurden 2007 allein in Europa rund 14 Millionen Fälschungen sichergestellt.

    Den Verkaufserfolg von Viagra hat das Schlankheitsmittel Xenical zwar nicht ganz erreicht, doch als es im September 1998 auf den Markt kam, war es innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Mittlerweile sei die Euphorie aber abgeflaut, sagt Prof. Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Klinische Ernährung im Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). "Es hat sich gezeigt, dass das Abnehmen mit solchen Pillen gar nicht so effektiv ist, wie sich die Leute das wünschen." Xenical allein mache jemanden, der 130 Kilogramm wiege, nicht schlank. Die türkisfarbenen Kapseln können das Körpergewicht nur um einige Kilogramm reduzieren. "Für fünf Kilo wollen viele aber keine 80 Euro im Monat zahlen."

    Dennoch sind Xenical und andere Schlankheitspillen wie Reduktil und Acomplia nach Meinung von Pfeiffer sinnvolle Medikamente, da sie das Risiko für Typ 2-Diabetes deutlich senken können. "Wenn man vier Kilogramm zunimmt, dann verdoppelt man sein Diabetes-Risiko." Diesen Nutzen würden die Verbraucher aber nicht sehen, ihnen gehe es allein um den kosmetischen Aspekt.

    Wie Viagra und Xenical gibt es Propecia in deutschen Apotheken auch nur auf Rezept. Ärzte dürfen das Medikament nur Männern mit erblich bedingtem Haarausfall verschreiben. Hauptnutzer seien 20- bis 35-Jährige, sagt Dermatologe Prof. Markus Böhm vom Universitätsklinikum Münster. In Deutschland nehmen rund 35_000 Männer das Mittel nach Hochrechnungen des Herstellers MSD Sharp & Dohme. Als Nebenwirkung bei der Langzeiteinnahme von Propecia könne sich in wenigen Fällen allerdings die Brust vergrößern oder die Erektionsfähigkeit vermindern.

    In Deutschland gelten die drei Pillen als Medikamente, die zwar die Schönheit und das Wohlbefinden steigern, aber nicht wichtig für die Behandlung einer Krankheit sind. Deshalb erstatten die Krankenkassen die Kosten dafür nicht, was Pfeiffer mit Blick auf Xenical kritisiert: Die Europäische Union betrachte Adipositas, also Fettleibigkeit, als eine Krankheit. "Das deutsche Gesundheitssystem tut aber so, als sei Adipositas ein persönliches Problem."

    Anders sieht es der Herausgeber der pharmakritischen Zeitung "Arznei-Telegramm", Wolfgang Becker-Brüser. "Der Erfolg von Viagra war ein Türöffner für sogenannte Lifestyle-Medikamente wie Botox, Schlankheitspillen, Haarwuchs- oder Potenz-Mittel", sagt Becker- Brüser in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Bei ihrer Anwendung herrsche eine gewisse Gedankenlosigkeit. "Das sind alles Medikamente, die nicht ohne Nebenwirkungen sind, aber sie werden wie Zuckerpillen geschluckt oder leichtfertig gespritzt."

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