Nach einem schweren Zugunglück in Garmisch-Partenkirchen gehen am Samstag die Bergungsarbeiten und auch die Ermittlungen weiter. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben - darunter ein Jugendlicher. Ein Regionalexpress entgleiste auf dem Weg von Garmisch nach München. Wie es zu dem Unfall kommen konnte, steht derzeit im Fokus der Ermittlungen.
Zugunglück in Garmisch-Partenkirchen: Technische Defekte könnten Unfall ausgelöst haben
Die Ermittlungen zur Unfallursache führt eine Soko "Zug" unter Leitung der Staatsanwaltschaft München II. Zusätzliche Sachverständige vor Ort unterstützen die Ermittler. Auch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung ist beteiligt, wie eine Bahnsprecherin sagte. Insbesondere Schienen und Fahrgestelle werden eingehender untersucht.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagte dem Bayerischen Rundfunk, die Unfallursache werde "mit dem Schwerpunkt in Richtung technische Defekte gesucht". Fahrgestelle von Waggons seien sichergestellt worden, "und es wird im Moment auch überlegt, inwieweit einzelne Schienen oder Schwellen sichergestellt werden müssen. Auf jeden Fall werden die im Moment peinlichst genau untersucht und vermessen", sagte Herrmann am Montag.
Laut einem Bericht der Zeitung Die Welt plante die Deutsche Bahn auf der Unglücksstrecke in Kürze Sanierungsarbeiten an den Gleisen. Demnach sollten vom 25. Juni bis 9. Juli zwischen Oberau und Garmisch-Partenkirchen eine nächtliche Gleislageberichtigung und Schienenerneuerungen stattfinden. Die Deutsche Bahn habe auf Fragen der Welt dazu mitgeteilt, aufgrund der laufenden Ermittlungen könne sie sich hierzu derzeit nicht äußern.
Ein Fehler des Fahrpersonals ist laut Herrmann im Moment nicht ersichtlich. Aber es werde immer noch in alle Richtungen ermittelt.
Bergungsarbeiten gehen am Pfingstmontag weiter
Auch die Bergungsarbeiten dauern an. Nachdem diese zwar am Sonntag unterbrochen wurden, werden sie nun am Montag fortgesetzt. Das teilte die Polizei mit. Die Unglücksort sei "gesichert, abgesperrt und bewacht".
Mehr als 40 Menschen wurden bei dem Zugunglück verletzt. Die Vermisstenfälle konnten geklärt werden. Die Beamten gehen nicht davon aus, dass weitere Opfer bei den weiteren Bergungsarbeiten gefunden werden.
Bergung gestaltet sich als schwierig
"Es ist ein unfassbares Ereignis", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Samstag bei einem Besuch am Unglücksort. "Wir hoffen sehr, dass es keine weiteren Todesfälle gibt." Ein solches Unglück sei immer ein Schock und ein "Stich ins Herz". Es ein Zug gewesen, der für viele Schüler da war. "Man muss sich das jetzt so vorstellen: Es ist kurz vor den Ferien, im Zug ausgelassene Stimmung, in einer der schönsten Regionen, die Bayern ja hat - und dann passiert sowas und verändert möglicherweise ein Leben komplett."
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich am Samstag. Er reagierte "mit großer Bestürzung" auf das schwere Zugunglück. "Meine Gedanken sind bei den Verletzten und allen Angehörigen in diesen schweren Stunden", sagte er laut einer Mitteilung. "Allen Polizei- und Rettungskräften danke ich für ihren unermüdlichen und wichtigen Einsatz."
Mehrere Doppelstock-Waggons des Regionalzugs seien im Ortsteil Burgrain in den Loisachauen umgekippt und eine Böschung hinab gerutscht. Dort blieben sie neben einer vielbefahrenen Bundesstraße liegen. Die Bergungsarbeiten gestalteten sich schwierig. Zwei Versuche, die Waggons anzuheben, scheiterten. Dabei seien auch Hebekissen zum Einsatz gekommen. Die Waggons seien "verdreht und verwunden", sagte der Polizeisprecher. "Das macht die Bergung so schwierig. Man muss Schritt für Schritt vorgehen", sagte der Sprecher.
Zur Unfallursache gab es auch am Samstag zunächst keine neuen Erkenntnisse. Der Lokführer wurde nach Polizeiangaben zwar vernommen. Was er gesagt hat, teilte die Polizei allerdings nicht mit.
Sicher sei bislang nur, dass ein Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug ausgeschlossen werden könne. "Wir ermitteln in alle Richtungen", sagte der Sprecher. "Die genaue Unfallursache steht noch nicht fest. Vor Ort waren alle Experten der Meinung, dass die wahrscheinlichste Ursache ein technischer Defekt am Gleis oder am Zug sein müsste", sagte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) am Samstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Ähnlich hatte er sich zuvor auch schon im Bayerischen Rundfunk geäußert.
Mehrere Tote bei Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen
Auf Luftbildern ist zu erkennen, dass der Zug mit Doppelstockwagen auf einer einspurigen langezogenen Kurve unterwegs war. Eine Weiche ist nicht zu sehen. Der Streckenabschnitt liegt erhöht auf einem Bahndamm, mehrere Waggons rutschten vom Damm in einen kleinen Bach. Die viel befahrene B2 führt genau vorbei.
Drei Waggons seien umgekippt. "Die Menschen werden durch die Fenster gezogen", sagte ein Bundespolizei-Sprecher. Das Unglück ereignete sich gegen 12.30 Uhr - also zum Schulschluss, wenn viele Kinder auf dem Heimweg sind. Am Samstag beginnen in Bayern die Pfingstferien.
Feuerwehr, Notärzte und Polizei waren mit einem Großaufgebot vor Ort. "Es wurde Vollalarm für Feuerwehr und Rettungsdienst ausgelöst", sagte ein Sprecher der Integrierten Leitstelle im Oberland. Auch aus München rückten zahlreiche Rettungsmannschaften an. Insgesamt waren 500 Rettungskräfte im Einsatz.
Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, Stefan Sonntag, sagte, es seien Anrufe von Bürgern eingegangen, dass ein Zug entgleist sei. Erste Leichtverletzte seien geborgen. Sie würden in einem nahe gelegenen Gebäude gesammelt. Auch Angehörige seien schon vor Ort.
Ein amerikanischer Soldat war in einem der Autos auf der Straße neben der Bahnstrecke. "Es war schrecklich", erzählte er dem Garmisch-Partenkirchner Tagblatt. "Einfach schrecklich. Plötzlich ist der Zug umgekippt."
"Tiefes Mitgefühl" für Opfer von Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen
Die Deutsche Bahn sprach den Angehörigen der Opfer ihr "tiefes Mitgefühl" aus und richtete eine Hotline mit der Nummer 0800/3 111 111 für Angehörige ein. "Über die Ursachen des Unfalls kann derzeit noch keine Aussage getroffen werden", hieß es in einer Mitteilung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) machte sich am Freitagabend ein Bild von der Lage. "Ich bin zutiefst erschüttert", sagte die Ministerin. "Es ist eine furchtbare Katastrophe." Sie sei gekommen, um das tiefe Mitgefühl der Bundesregierung auszudrücken, sagte Faeser. Dieses gelte vor allem den Angehörigen, Familien und Freunden der Todesopfer. Sie sei aber auch gekommen, um ihre Solidarität mit den Rettungskräften zu zeigen und den Verletzten ihren Genesungswünsche auszudrücken.
Nach Polizeiangaben sind inzwischen drei Tote geborgen worden. Ein weiteres Opfer war am Freitag auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Unter den vier bestätigten Toten befanden sich den Angaben zufolge keine Kinder. Ein Polizeisprecher in Rosenheim hatte am Morgen noch gesagt, die bestätigten Toten befänden sich weiterhin unter einem der umgestürzten Waggons - seine Kollegen an der Unfallstelle korrigierten diese Angaben später.
Viel Lob für Retter bei Zugunglück in Garmisch-Partenkirchen
Die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen, Elisabeth Koch, zeigte sich geschockt. "Es ist grauenvoll." Auch der Landrat des gleichnamigen Landkreises, Anton Speer, rang mit den Worten. "Der Schock sitzt noch tief." Er lobte die Retter, die innerhalb von 45 Minuten die Menschen aus dem Zug geholt hätten. Auch 15 Bundeswehrsoldaten halfen mit, die zufällig im Zug saßen.
Die Bahn sperrte die Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Oberau. Züge aus Richtung München wenden vorzeitig in Oberau. Aus Richtung Mittenwald wenden die Züge vorzeitig in Garmisch-Partenkirchen. Ersatzverkehr sei in Planung, hieß es auf Twitter. Ob der Regionalzug wegen des neuen 9-Euro-Tickets besonders voll war, war unklar.
Für die Region an der Grenze zu Österreich ist das Unglück kurz vor den Ferien auch verkehrstechnisch problematisch. Die Autobahn 95 wurde rund 20 Kilometer vor Garmisch gesperrt. Die nahe der Bahnlinien verlaufenden Bundesstraßen 2 und 23 ebenfalls. "Wir können den Verkehr im Moment nicht in Richtung Garmisch-Partenkirchen laufen lassen, weil die Rettungskräfte auf der Straße sind", sagte ein Polizeisprecher. Wegen des Beginns der Pfingstferien in Bayern sei auf der Route mit langen Staus zu rechnen.
Am Abend arbeiteten Helfer mit schwerem Gerät bei Flutlicht weiter an der Bergung. Mit Motorsägen wurden Bäume gefällt, um an den havarierten Zug heranzukommen. (dpa/lby/lvh/AZ)