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Fukushima: Beginn der Trümmerbergung nach 13 Jahren

Atomkraftwerk

Fiebern in Fukushima: Endlich soll die Bergung der Trümmer beginnen

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    So sieht das havarierte Atomkraftwerk Fukushima heute aus der Luft aus. Die Aufnahme entstand am Mittwoch.
    So sieht das havarierte Atomkraftwerk Fukushima heute aus der Luft aus. Die Aufnahme entstand am Mittwoch. Foto: Kohei Choji, The Yomiuri Shimbun via afp

    Der Teleskoparm, auf dem alle Hoffnungen ruhen, ist erstaunlich dünn. Wie eine Angel sieht er aus, kann sich aber ganze 22 Meter ausstrecken – und dann fest zugreifen. Seit einigen Tagen wartet er auf dem Gelände von Fukushima Daiichi, der neben Tschernobyl berühmt-berüchtigtsten Atomkraftwerksruine der Welt, auf seinen Einsatz. Nun bangt ganz Japan, ob dieser robotergesteuerte Arm wohl seinen Auftrag erfüllen wird: Radioaktive Trümmer aus der Ruine zu schaffen. Damit im Nordosten des Landes irgendwann wieder Normalität einkehren kann. Nach so vielen Jahren, in denen eben nichts normal war in diesem verseuchten Landstrich.

    An diesem Donnerstag beginnt damit der wohl schwierigste Prozess beim Rückbau des vor fast eineinhalb Jahrzehnten havarierten Atomkraftwerks. Rund 880 Tonnen radioaktiv verstrahltes Material, das an den katastrophalen Tagen vom Frühjahr 2011 zuerst bei sehr hohen Temperaturen schmolz, später wieder abkühlte und zu fester Masse wurde, soll aus den Reaktoren entfernt werden. Es ist ein bedeutender Tag, nicht nur für Japan. Fukushima hat über Monate, ja Jahre hinweg die Nachrichtenwelt bestimmt – und allein in Deutschland die komplette Energiepolitik auf den Kopf gestellt.

    Vor mehr als 13 Jahren erlitt Japan die größte Katastrophe seiner jüngeren Geschichte

    Wie groß die Nervosität in Japan ist, offenbart am Montag eine Bemerkung des sonst eigentlich immer mit Bedacht zu Werke gehenden öffentlichen Rundfunksenders NHK. Auf seiner Internetseite heißt es: „Es wird mit Spannung erwartet, ob die geplante Bergung reibungslos über die Bühne gehen wird.“ Schließlich kommt das Vorhaben mit Verspätung. Eigentlich sollte schon vor drei Jahren mit der Entfernung der Trümmer begonnen werden. Doch technische Probleme und die Coronapandemie erzwangen eine Verschiebung.

    Jetzt soll alles ganz vorsichtig ablaufen. Wenn der Teleskoparm seine Bemühungen beginnt, wird er den Plänen zufolge eine Woche brauchen, ehe er sich vor Reaktor 2 entsprechend positioniert hat, um durch ein Rohr seine Fühler auszustrecken. Eine weitere Woche soll vergehen, bis er dann einige Milligramm der Trümmer geborgen hat, die auf Strahlungsstärke untersucht werden. Einige Milligramm – von ungefähr 880 Tonnen. Die sollen, wenn alles gut geht, dann in Angriff genommen werden. Wo der Schrott langfristig aufbewahrt wird, ist noch nicht klar. Wie so vieles auf dieser Riesenbaustelle in Fukushima.

    Der Moment, der alles verändert: Rauch steigt auf im Atomkraftwerk Fukushima an jenem verhängnisvollen Tag im März 2011.
    Der Moment, der alles verändert: Rauch steigt auf im Atomkraftwerk Fukushima an jenem verhängnisvollen Tag im März 2011. Foto: Abc News 24, dpa

    Vor mehr als 13 Jahren erlitt Japan die größte Katastrophe seiner jüngeren Geschichte. Am Nachmittag des 11. März 2011 rüttelte plötzlich die Erde im Inselstaat, besonders stark an und vor der Nordostküste. Am Epizentrum wurde die sehr seltene Stärke 9 gemessen. Häuser kollabierten, im Boden bildeten sich Risse. Und dann kam die Riesenwelle. Ungefähr 20 Meter war sie hoch. Als sie sich vor der Küste auftürmte, rannten Menschen um ihr Leben. Viele schafften es nicht. Rund 20.000 starben.

    Japans Regierung hat sich seither immer wieder bemüht, die Krise in Fukushima für kontrollierbar zu erklären

    Aber der riesige Tsunami, der auf das enorme Erdbeben folgte, war noch nicht alles. In der Präfektur Fukushima wurden nicht nur ganze Siedlungen von der Welle verschluckt, sondern eben auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi überschwemmt. Dort fiel die Stromversorgung aus, gefolgt vom Kühlsystem, woraufhin es in drei der sechs Reaktoren zur Kernschmelze kam. Radioaktivität trat aus, in den Tagen und Wochen nach dieser Dreifachkatastrophe verloren Hunderttausende ihr Zuhause.

    Japans Regierung hat sich seither immer wieder bemüht, die Krise in Fukushima für kontrollierbar zu erklären. Aber die Realität sah oft anders aus. Expertinnen und Experten beklagten dürftige Sicherheitsvorkehrungen für Arbeiter auf dem Kraftwerksgelände, die mit dem Aufräumen beschäftigt sind. Tepco, die Betreiberfirma des havarierten Atomkraftwerks und Japans größter Stromversorger, machte zur Lage vor Ort mehrmals Äußerungen, die später wie Lügen klangen. Personen, die aus Fukushima geflohen waren, wurden anderswo stigmatisiert.

    Ein Reputationsproblem entstand längst nicht nur innerhalb Japans. Diverse Länder verboten Lebensmittelimporte aus der Region, teils gar aus ganz Japan. Die USA, die Europäische Union, dann vor einem Jahr die Schweiz hoben diese nach Analysen der Radioaktivitätswerte wieder auf. In mehreren asiatischen Ländern bleiben die Exportstopps dagegen bestehen. Es ist wohl eine Antwort darauf, dass Japan seit 2023 das für die geschmolzenen Reaktorkerne verwendete Kühlwasser nach einem Filterprozess in den Ozean leitet. Wie sicher dies ist, bleibt umstritten.

    Der gesamte Rückbau der Ruine in Fukushima soll offiziell bis 2051 dauern

    Dieser Schritt liegt fast auf den Tag ein Jahr zurück. Er wurde von für japanische Verhältnisse regelrecht wütenden Demonstrationen begleitet. Auch das Nachbarland China reagierte mit einer scharfen Protestnote: „Das gewaltsame Einleiten in den Ozean ist ein extrem egoistischer und unverantwortlicher Akt, der das globale öffentliche Interesse missachtet“, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums in Peking. Vor der Verklappung wird das belastete Kühlwasser zwar aufbereitet, das System kann aber das radioaktive Isotop Tritium nicht herausfiltern. Tepco verdünnt das Wasser daher so weit mit Meerwasser, dass die Tritiumkonzentration auf 1500 Becquerel pro Liter sinkt, was weniger als einem Vierzigstel der nationalen Sicherheitsnorm entspreche, wie es hieß.

    Die Ableitung von aufbereitetem Kühlwasser aus der Atomruine Fukushima ins Meer löste heftige Proteste im August 2023 aus.
    Die Ableitung von aufbereitetem Kühlwasser aus der Atomruine Fukushima ins Meer löste heftige Proteste im August 2023 aus. Foto:  Wang Yiliang, XinHua/dpa

    Die Ärzteorganisation IPPNW kritisierte dagegen, Japan verdünne das Kühlwasser einfach so lange mit Meerwasser, bis entsprechende Grenzwerte eingehalten würden. Die Gesamtmenge an radioaktivem Eintrag ins Meer bleibe dabei aber erhalten und sei ein anhaltendes Gefahrenpotenzial, so IPPNW-Arzt Jörg Schmid. Fachleute verweisen zwar darauf, dass die Ableitung belasteten Kühlwassers aus Atomkraftwerken weltweit Routine sei. Kritiker wiederum halten dagegen, dass es sich im Falle Fukushimas um kein normal funktionierendes Atomkraftwerk handele, sondern um zerstörte Reaktoren infolge der schlimmsten Atomkatastrophe seit Tschernobyl 1986.

    Der gesamte Rückbau der Ruine soll offiziell bis 2051 dauern, sich also alles in allem über 40 Jahre hinziehen. Aber dies scheint kaum noch realisierbar zu sein. Schließlich musste schon die Bergung der Trümmer mehrmals verschoben werden, ist drei Jahre im Verzug. Wobei die Devise mittlerweile ohnehin scheint: lieber gründlich als schnell. Denn davon, wie sozial- und umweltverträglich der Rückbau in Fukushima funktioniert, hängt auch ab, wie sehr sich Japans Gesellschaft in Zukunft noch für die Atomkraft erwärmen kann.

    Vorübergehend wurden alle gut 50 Reaktoren in Japan vom Netz genommen

    Die konservative Regierung setzt weiterhin auf die Atomkraft, die vor 2011 immerhin rund 30 Prozent des Stromverbrauchs im Land ausgemacht hatte und eigentlich auf einen Anteil von 40 Prozent steigen sollte. Danach aber brachen landesweite Proteste aus, die Mehrheit war plötzlich gegen diese Energiequelle, die nicht mehr als sicher und bei genauerem Hinsehen auch nicht mehr als günstig galt. Vorübergehend wurden gar alle gut 50 Reaktoren im Land vom Netz genommen.

    Mit strengeren Sicherheitsvorkehrungen sind mehrere von ihnen heute wieder am Netz. Kontrovers bleibt die Rückkehr zur Atomkraft aber weiterhin. Auch deshalb ist das Vorhaben der Trümmerbergung nicht nur von großer technologischer, sondern auch politischer Bedeutung. Sollte es nicht gelingen, den hoch radioaktiven Schutt sicher zu entfernen, gerät die Regierung noch mehr in Erklärungsnot. Sowohl bei ihrer Beteuerung, Fukushima werde wiederaufgebaut, als auch bei der, die Atomkraft sei sicher. (mit dpa)

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