Auch am Donnerstagmorgen waren in der Pariser Vorstadt Nanterre die Folgen einer chaotischen Nacht zu besichtigen, es war bereits die zweite in Folge. Unterhalb der Wohnsiedlung "Pablo Picasso": ausgebrannte Autos, Trümmerteile vor einem halb fertigen Schulgebäude, der Geruch von Verbranntem. Stundenlang hatten sich hier junge Leute Verfolgungsjagden mit Polizisten geliefert, wie an vielen weiteren Orten in ganz Frankreich. Geschäfte, Rathäuser und Kommissariate wurden teils stark beschädigt, M.llcontainer angezündet. M.hr als 180 M.nschen kamen laut dem französischen Innenministerium in Untersuchungshaft.
Nanterre: Nach Tod des 17-Jährigen Nahel ist die Wut groß
Die Wut nach dem Tod des 17-jährigen Nahel M. bei einer Verkehrskontrolle am Dienstag in Nanterre ist groß, nach wie vor. Gerade in den Banlieues, diesen Großstadträndern und Vorstädten, fühlen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund von der Polizei drangsaliert. Er verstehe "das Gefühl der Ungerechtigkeit", das sich in den sozial benachteiligten Vierteln auf gewaltsame Weise Bahn breche, sagte Bürgermeister Patrick Jarry. "Dort herrscht das Gefühl vor, dass es nicht dieselbe Gerechtigkeit für alle gibt, nicht dasselbe Recht auf Arbeit für alle."
Den Zorn der Jugendlichen heizte die offensichtliche Lüge der involvierten Polizisten noch an, die behauptet hatten, der Schütze habe aus Notwehr gehandelt. Der Teenager hätte sie sonst überfahren. Dabei belegt ein Video, dass zwei Beamte an der Fahrerseite standen – dann richtete einer von ihnen seine Waffe auf die Person am Steuer und schoss, als das Auto losfuhr.
Der Schütze habe aus Notwehr gehandelt, behaupteten Polizisten
Dennoch zog sich Präsident Emmanuel Macron, der die Vorgänge "unerklärbar, unentschuldbar" nannte, scharfe Kritik von Polizei-Vertretern zu. Seine Aussagen seien "unfassbar", erklärte die Gewerkschaft Alliance. Er missachte die Gewaltentrennung, indem er "unsere Kollegen verurteilt, bevor die Justiz zu Wort kommt". Am Donnerstag bestellte Macron mehrere Minister zu einem Krisentreffen ein. Groß ist die Angst vor ähnlich heftigen Ausschreitungen wie im Jahr 2005, ausgelöst durch den Tod zweier Jugendlicher auf der Flucht vor der Polizei im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois. Der damalige Präsident Jacques Chirac musste den Notstand ausrufen. Das forderten auch jetzt einige Politiker, darunter Republikaner-Chef Éric Ciotti.
Vor einem Gedenkmarsch für Nahel M. am Donnerstagnachmittag mit tausenden Teilnehmern appellierte Macron an alle, Respekt zu zeigen und Ruhe zu bewahren. Initiiert hatte den Marsch die Mutter des getöteten Jugendlichen. Mounia M. trug dabei dann ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Gerechtigkeit für Nahel".
Die Mutter des getöteten Jugendlichen rief zu einem Gedenkmarsch auf
Wie brenzlig die Lage ist, wird auch klar, wenn man die Worte von Mokrane Kessi, Präsident des Vereins "Banlieues von Frankreich", hört. Er hoffe, nach dem Marsch entspanne sich die Situation, sagte er. Sonst drohten noch mehr Verwüstungen in den ohnehin verarmten Vierteln. "Wir müssen unseren jungen Leuten sagen: Zerstört nicht eure eigenen Schulen, verbrennt nicht die Autos eurer Nachbarn!"
Zudem heizt der Vorfall die Debatten über Polizeigewalt in Frankreich neu an. Während der monatelangen Demos gegen die Rentenreform im Frühjahr, aber auch in den Jahren zuvor bei Kundgebungen etwa der "Gelbwesten" zeigten sich Sicherheitskräfte äußerst brutal. Die Zahl der Todesfälle im Rahmen von Polizeieinsätzen stieg stark an: 2020 waren es 40, 2021 sogar 52, 2022 39. Allein 13 Menschen starben 2022, weil sie bei Verkehrskontrollen den Anweisungen der Polizei nicht Folge leisteten. Diese wiederum verwies auf die schwierigen Arbeitsbedingungen und die wachsende Aggressivität, mit der sie konfrontiert sei.