Ein paar Wochen noch, und Schwester André hätte am 11. Februar ihren 119. Geburtstag erlebt. Doch in der Nacht auf Mittwoch ist der mutmaßlich älteste Mensch der Welt im südfranzösischen Toulon gestorben, wo sie in einem Pflegeheim gelebt hatte. „Es herrscht große Traurigkeit, aber es war ihr Wunsch, ihrem geliebten Bruder nachzufolgen“, ließ ihr Pfleger David Tavella wissen. „Für sie ist es eine Befreiung.“
Zuvor hatte sie manchmal gesagt, sie wolle Jeanne Calment übertreffen, die 1997 im Alter von 122 Jahren gestorben war und den Weltrekord bis heute hält. Frankreich zählt besonders viele Über-Hundertjährige, einer Statistik zufolge sollen es mehr als 26.000 sein.
Menschen jenseits der 100: Was ist ihr Geheimnis?
Immer wieder hatte man die Ordensschwester, die seit dem Tod der Japanerin Kane Tanaka im April 2022 im Alter von 119 Jahren als älteste Person der Welt galt, nach dem Geheimnis für ihr hohes Alter gefragt. Meist sprach sie dann über den süßen Portwein, den sie so gerne trank, von ihrem religiösen Leben und ihrem Engagement für andere bis ins hohe Alter. „Wenn sie ein Geheimnis hätte, wäre sie seit langem reich“, so zitierte sie Tavella. Als sie von ihrem neuen „Rekord“ erfahren habe, seien ihre ersten Gedanken zu den Menschen in ihrem Umfeld gegangen: „Sie war sehr stolz, sehr glücklich für ihre Familie und das Personal des Altenheims und freute sich, dass das Aufmerksamkeit für die Einrichtung brachte.“
Französin arbeitete noch mit 108
Geboren wurde Schwester André unter dem bürgerlichen Namen Lucile Randon im südfranzösischen Alès. Aus einer protestantischen Familie stammend, ließ sie sich im Alter von 26 taufen und trat mit 41 Jahren dem Orden der Vinzentinerinnen bei. Den männlichen Namen André nahm sie als Hommage an einen ihrer drei Brüder an. 31 Jahre lang arbeitete sie in einem Krankenhaus in der Stadt Vichy. Auch später noch, bis zum Alter von 108 Jahren, kümmerte sie sich in einem Pflegeheim um Seniorinnen und Senioren, die teils deutlich jünger waren als sie selbst. Eine Corona-Infektion im Jahr 2020 überstand die Nonne ohne Symptome. Schwer sei in dieser Zeit hingegen gewesen, „gefesselt an den Rollstuhl, isoliert in meinem Zimmer und ohne Besucher“ zu sein, sagte sie später.
Mit den Jahren werde sie aber schwieriger, gab sie beim Besuch eines Journalisten zu. „Ich ertrage die Gäste nicht mehr, ich bin weniger liebenswürdig.“ Man habe sie immer für ihre Weisheit und ihre Intelligenz bewundert: „Jetzt macht man sich über mich lustig, weil ich rebellisch geworden bin.“
Sie bekam einen handgeschriebenen Brief von Macron
Auch einen handgeschriebenen Brief von Emmanuel Macron hat sie erhalten – er war der 18. französische Präsident, den sie erlebte. „Ich habe schöne Dinge gesehen und sehr traurige“, erzählte sie anlässlich ihres 116. Geburtstages und spielte damit auf die beiden Weltkriege an. „Kinder, die man zurückließ, weil man sie nicht ernähren konnte, und Kinder, die von Familien aufgenommen wurden.“ Das für sie persönlich glücklichste Erlebnis war die Rückkehr ihrer beiden Brüder aus dem ersten Weltkrieg: „Das war selten, denn in den Familien gab es eher zwei Tote als zwei Überlebende.“
Mit dem Tod der französischen Ordensschwester rückt in der Rangliste der Gerontology Research Group, einer Vereinigung von Forscherinnen und Forschern, nun die in Spanien lebende Maria Branyas Morera mit 115 Jahren auf den Platz des ältesten bekannten Menschen der Welt. Sie wurde am 4. März 1907 in San Francisco geboren, siedelte aber im Alter von sieben Jahren mit ihrer Mutter von den USA nach Katalonien über, wo sie heute noch lebt.