Alles schien zunächst auf ein fürchterliches Beziehungsdrama hinzudeuten, wie es sich immer wieder hinter verschlossenen Türen abspielt. Nach der Festnahme eines 55-jährigen Deutschen am Montag in Forbach berichteten mehrere französische und deutsche Medien vom Verdacht, dass der Mann seine 53-jährige Lebensgefährtin, ebenfalls eine Deutsche, zwölf Jahre lang in der gemeinsamen Mietwohnung eingesperrt, gefoltert und vergewaltigt haben soll. Inzwischen sieht es danach aus, dass der Fall etwas anders liegt. Mysteriös bleibt er aber.
Am späten Sonntagabend, hatte es geheißen, sei es der Frau gelungen, ein Telefon „zu entwenden“ und bei einer Opfer-Hilfsorganisation in Deutschland anzurufen, welche dann sofort die Sicherheitsbehörden informierte. Tatsächlich war ein solcher Anruf beim Weißen Ring in Wiesbaden eingegangen. Daraufhin suchte die französische Polizei am frühen Montagmorgen die Wohnung im grenznahen Forbach auf. Dort klagte die Frau gegenüber den Beamten offenbar über Knochenbrüche und beschuldigte ihren Lebenspartner der Misshandlung.
In den privaten Sendern RMC und BFMTV zirkulierten schnell mit Verweis auf „polizeiliche Quellen“ Berichte über Folterwerkzeuge und gar eine „Folterbank“. Von der Frau hieß es, sie sei unterernährt und ihr Schädel kahl rasiert. Doch der zuständige Staatsanwalt der Stadt Saargemünd,Olivier Glady, warnte am Montagabend auf einer Pressekonferenz vor voreiligen Schlüssen und Falschinformationen. Ihm zufolge fanden die Ermittler keine Hinweise auf Folterungen der Frau, deren erste Aussagen „Ungereimtheiten“ aufwiesen. In ihrer unmittelbaren Umgebung habe es keine Blutspuren „als Folge einer möglichen Gewaltanwendung“ gegeben. Bei einer Computertomografie im Krankenhaus in Metz, in das sie am Montag eingeliefert wurde, entdeckten die Mediziner keine Brüche oder Blutergüsse. Sie litt nicht an Dehydrierung und habe sich beim Eintreffen der Polizei gegen sechs Uhr morgens „ohne irgendeine Form von Fesseln“ im Bett befunden. In Greifweite stand ein Festnetztelefon, das sie für ihren Notruf benutzt hatte.
Vor ein paar Jahren hat eine beunruhigte Nachbarin schon einmal die Polizei gerufen
Ihr Gesundheitszustand sei „kein guter“, die Frau leide an Krebs, so Glady. Das könne ihre schmale Figur erklären und warum sie keine Haare habe. Gitter in der Wohnung sollten nicht sie, sondern die neun Hauskatzen am freien Durchgang hindern. Alles in allem „scheinen wir uns von einer Version von Blaubart in Ostfrankreich zu entfernen“, sagte der Jurist in Anspielung auf das Märchen von Charles Perrault, in dem eine junge Frau um ein Haar zum Opfer ihres brutalen Ehemannes geworden wäre. 2019 hatte schon einmal eine beunruhigte Nachbarin die Polizei verständigt, damals hatte das Paar den Verdacht von Problemen zurückgewiesen.
Von Journalisten befragte Anwohner zeigten sich nun überrascht und erschüttert über die Anschuldigungen. Die Frau habe sie nie gesehen, der Mann sei freundlich, aber zurückhaltend gewesen, sagte eine Nachbarin. „Ich habe manchmal Schreie gehört, doch da sie Krebs hat, dachte ich, sie schrie vor Schmerzen.“
Die Untersuchungshaft des Beschuldigten wurde aufgrund der Schwere der Vorwürfe, die er bestritt, um 24 Stunden verlängert. Laut Staatsanwalt Glady ist der 55-Jährige, der zuvor in einem deutschen Unternehmen beschäftigt war, beim Arbeitsamt gemeldet. Statt von einem Horrorszenario sei eher von einer „ohne Zweifel unzureichenden Behandlung einer schweren Krankheit auszugehen“. Die Zeitung Le Parisien schrieb am Dienstag, die 53-Jährige sei „inmitten ihrer Exkremente“ aufgefunden worden, ohne Quellen für diese Information anzugeben.