Es ist die Suche nach etwas Würde, die inmitten der Not im Flüchtlingslager der Wüstenstadt Adré auffällt. Neben Hütten, die sie aus Zweigen und Plastikplanen zusammengesteckt haben, wachsen mit Ziegelsteinen abgegrenzte Blumen. Und das inmitten der größten humanitären Krise der Welt, die gleichzeitig die größte Flüchtlingskrise ist.
Seit vor 17 Monaten der Krieg zwischen Sudans Armee und der arabischen Miliz „Rapid Support Forces” (RSF) eskalierte, wurden Zehntausende durch die Kämpfe getötet. Zehn Millionen Menschen wurden vertrieben, zwei Millionen davon in die überwiegend fragilen Nachbarländer. Der Tschad, eines der ärmsten Länder der Welt, trägt mit 780.000 Flüchtlingen die größte Last. Sie leben in unmittelbarer Nähe der Grenze, deren Übertreten für sie die Rettung bedeutete. Die RSF und verbündete arabisch geprägte Milizen verübten seit Kriegsbeginn Massaker an ihnen, versuchen den Konflikt für ethnische Säuberungen zu nutzen.
Noch vor fünf Jahren hoffte man auf eine Erfolgsgeschichte im Sudan
Dabei ist es nur fünf Jahre her, da hoffte man auf eine Erfolgsgeschichte im Sudan. Das Volk demonstrierte gegen Diktator Omar al-Bashir, bis dieser vom Militär abgesetzt wurde. Kurz schienen die Generäle demokratische Fortschritte zuzulassen, beteiligten Zivilisten an einer Art Übergangsregierung – nur um diese vor drei Jahren aufzulösen.
Mit der RSF, die auf eine ähnliche Stärke wie die Armee angewachsen war, teilte man sich fortan die Macht. Dann scheiterten im April 2023 Verhandlungen über die künftige Kommandostruktur. Innerhalb von Stunden brandeten Kämpfe auf. Bis heute gewinnt keine der beiden Seiten die klare Oberhand.
Die Lebensmittelrationen in Adré mussten halbiert werden
Im Lager von Adré bittet Huda, 35, um ein Gespräch. Eine vom Krieg gezeichnete Krankenschwester, verweinte Augen, der Körper gebeugt. Sie gehört zu den Massalit, eine fast ausschließlich als Kleinbauern arbeitende schwarzafrikanische Volksgruppe in Darfur, das größer als Deutschland ist. Sie ist erst vor einigen Wochen mit ihrem Mann und den sieben Kindern angekommen, die Registrierung ist noch nicht abgeschlossen und damit gibt es auch keine Lebensmittel. Die Familie ist auf die Hilfe anderer Flüchtlinge angewiesen. „Ich danke Gott, dass ich den Krieg verlassen konnte“, sagt sie, „der Hunger aber begleitet uns auch hier.“
Dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen stehen so wenige Ressourcen zur Verfügung, dass die Lebensmittelrationen in Adré zuletzt auf 1100 Kalorien pro Tag und Person halbiert werden mussten. Bei derartigen Krisen gelten 2000 Kalorien als das Minimum. Die UN wollen nun mit Bargeldzahlungen an die Flüchtlinge beginnen, doch es gibt Sorge vor einer Überlastung des Marktes. Das würde auch zu Preisanstiegen für die lokale Bevölkerung führen. Und damit zu Konfliktpotenzial.
Als eine Bombe im Nachbarhaus einschlug, war Huda hochschwanger
Die Geberländer vernachlässigen die Nothilfe nach dem Sudan-Zusammenbruch im Schatten der Kriege in Gaza und in der Ukraine sträflich. 40 Prozent der Unterstützungsmaßnahmen für Sudans Bevölkerung sind finanziell gedeckt, teilen die Vereinten Nationen mit, auch bei der Versorgung für die Flüchtlinge in den Nachbarländern gibt es Lücken.
Anders als die meisten Flüchtlinge in Adré wohnte Huda nicht in Darfur, als die Kämpfe begannen, sondern im über 1000 Kilometer weit entfernten Omdurman. Als eine Bombe im Nachbarhaus einschlug und vier Kinder tötete, war sie hochschwanger. Wenige Tage später wurde ihr siebtes Kind geboren, zu schwach zum Schreien. Ein Nachbar quetschte die Familie in seinen Geländewagen. Inmitten der Nacht begann die 1400 Kilometer lange Fahrt bis zur Grenze zum Tschad.
Verwundete werden gezwungen, ihre eigenen Gräber auszuheben
Zwei Tage nach ihrer Flucht aus Omdurman geriet Hudas Wagen in einen Hinterhalt der RSF. Sie stahlen das Benzin, fragten nach ihrer Ethnie. Auch Hudas Familie gehört zu den Massalit – sie werden bei derartigen Checkpoints immer wieder getötet, besonders die Männer, die zu Beginn des Krieges im Verbund mit der Armee den Vormarsch der arabischen RSF-Miliz bekämpft hatten. Man gehöre zu den Tama, log Hudas Mann. Er hatte Glück, dass niemand den Tama-Akzent kannte. Eine Enttarnung wäre sein Tod gewesen.
In einem der Flüchtlingslager im Tschad zeigt ein Massalit auf seinem Handy Videos von RSF-Gräueltaten. Triumphierende Männer mit Maschinenpistolen, im Hintergrund fliehen Tausende. Morde an Männern, Verwundete werden gezwungen, ihre eigenen Gräber auszuheben. „Diese Mörder haben das über ihre eigenen Facebook-Accounts geteilt”, sagt der Flüchtling. Das Weltstrafgericht ermittelt.
In Adré leben 216.000 Menschen unter katastrophalen Umständen
Die Familie von Huda ernährte sich von Datteln aus der Ladung eines umgekippten LKW, bekam Wasser von Passanten, wurde immer wieder vom Krieg eingeholt. Es wurde August, bis sie endlich die Grenze erreichten und im Tschad Zuflucht fanden.
Nun also Adré, offiziell nur ein Drehkreuz, doch besser ausgestattete Lager sind völlig überlastet. Und so leben in Adré laut UN-Flüchtlingshilfswerk 216.000 Menschen, viele davon seit über einem Jahr, und das unter katastrophalen Umständen
UN bestätigt Hungersnot in Zamzam-Flüchtlingslager in Darfur
Besonders jetzt, während der Regenzeit, ist die Lage dramatisch. Seit einigen Wochen gelangen die ersten Lastwagen mit Getreidelieferungen des Welternährungsprogramms über die Grenze zum Sudan – davor wurden Lieferungen vom Roten Meer versucht, die aber wegen der Kämpfe auch selten ankamen. Die karge Darfur-Region ist schon zu Friedenszeiten eine der am schwersten erreichbaren Gegenden weltweit. Nun haben enorme Überschwemmungen die lehmigen Pfade metertief zerfurcht.
Im Zamzam-Flüchtlingslager in Darfur wurde von der UN eine Hungersnot bestätigt. Zum ersten Mal weltweit seit sieben Jahren. Hauptgrund ist die monatelange Weigerung der RSF, humanitäre Hilfe in den von ihnen unterdrückten Gegenden im Sudan zu gewähren. Die unzähligen Pritschenwagen, die vom Tschad aus Benzin zu den RSF-Truppen transportieren, werden dagegen durchgelassen. Kriegswirtschaft.
80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in El Geneina sind kollabiert
In Adré ringt die Geschäftsführerin für Österreich der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen” (MSF), Laura Leyser, um Fassung. Sie kommt gerade aus Darfur zurück, besuchte das Universitätskrankenhaus in der Stadt El Geneina. „Es war ein erschütternder Anblick, zu Kriegsbeginn wurde hier alles geplündert, sogar die Stromkabel”, sagt Leyser. MSF, das an vielen Orten in Darfur als einzige Hilfsorganisation vor Ort ist, betreibt dort unter schwierigsten Bedingungen eine Kinderstation.
80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen sind kollabiert. Das zeigt sich in den Bereichen des Krankenhauses, die von den lokalen Gesundheitsbehörden betrieben werden. Hier haben die Mitarbeiter seit 17 Monaten kein Gehalt mehr bekommen, arbeiten weiter. Doch viele Patienten können nicht mehr behandelt werden. „Es mangelt an Wasser und Strom”, sagt Leyser, „wir haben die Versorgung wieder hergestellt, aber der Preis für Treibstoff ist horrend.” Selten sei eine Krise dieses Ausmaßes so unterfinanziert gewesen, sagt Leyser, die internationale Gemeinschaft müsse weit mehr tun: „Jeder Tag Untätigkeit kostet viele Menschenleben.”
Die Frauen erzählen von getöteten Verwandten und von Vergewaltigungen
Wer mit den in den Tschad geflohenen Frauen aus El Geneina spricht, der hört von reihenweise getöteten Verwandten und Freunden, von Vergewaltigungen. Und dennoch kann man an der Grenze beobachten, wie die Not manche auf Eselrücken zurück in den Sudan treibt. Sie kaufen dort Holzkohle und bringen sie zurück in den Tschad, wo deren Produktion verboten ist und deshalb gewinnbringend verkauft werden kann. Die Männer der Massalit-Ethnie in den Flüchtlingslagern erzählen, dass sie sofort von der RSF getötet würden, wenn sie die Grenze übertreten würden. Die Massalit-Frauen riskieren eine Vergewaltigung. Aber sie werden meist am Leben gelassen. Also sind sie es, die aufbrechen.
Auch für Huda geht das Martyrium weiter. Kurz vor ihrer Flucht wurde ihr Sohn geboren. Er überlebte die Flucht, aber in Adré haben die Ärzte bei ihm ein Loch im Herz diagnostiziert. Ohne Operation bleiben ihm sechs Monate. Das kranke Herz ihres Babys macht auch das ihre krank. Huda hat ihre Heimat verloren. Nun droht ihr der Verlust des Kindes.
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