Während die Tinte auf dem von König Charles III. unterschriebenen Krönungseid gewissermaßen noch feucht ist, wird in Großbritannien schon ein neuer König oder eine neue Königin gekürt, diesmal jedoch im Bereich Pop. Am kommenden Samstag findet auf der Insel das Finale des "Eurovision Song Contest", kurz ESC, statt. Dabei richtet die Nation den schillernden Musikwettbewerb stellvertretend aus, im Namen der vom Krieg gebeutelten Ukraine. "United by Music" ("Vereint durch Musik") heißt das Motto. Laut der Rundfunkanstalt BBC will man damit die "einzigartige Partnerschaft" der beiden Länder verdeutlichen. Zwar hat die Ukraine den ESC 2022 gewonnen, doch wegen des russischen Angriffskrieges springt das zweitplatzierte Großbritannien als Gastgeberland ein.
Ausgetragen wird der Wettbewerb in der englischen Küstenstadt Liverpool. Jenem Ort, aus dem die berühmteste britische Musikgruppe aller Zeiten und die erste Pop-Boyband überhaupt stammte, die Beatles. Beim diesjährigen ESC treten Künstler aus 37 Ländern auf. An diesem Donnerstag findet das zweite Halbfinale statt, am kommenden Samstag (13.05.) dann das Finale, welches Millionen Menschen in ganz Europa in Kneipen, Pubs oder auch zu Hause verfolgen werden.
Zum ESC sollen etwa 100.000 Menschen Liverpool besuchen
"Viele Bürger der Stadt sind sehr stolz darauf, Gastgeber dieses Events zu sein", sagt William Lee Adams. Der Journalist betreibt den bekannten ESC-Blog Wiwibloggs. In Liverpool gebe es viele Antimonarchisten, die sich nach der Krönung nun für den ESC begeistern würden. "Das Logo ist in der ganzen Stadt zu sehen, selbst im Supermarkt prangt es auf Schokolade oder auch Frischkäse." Dabei erinnert es im Straßenbild durch seine blau-gelbe Aufmachung natürlich an die Präsenz der Ukraine und damit an die Gegenwart des Krieges.
Liverpool setzte sich als Kulturhauptstadt bei der Wahl des Austragungsortes unter 20 Anwärtern durch. "Wir waren sehr entschlossen und haben es geschafft. Es ist einfach großartig", sagte die Kulturbeauftragte Claire McColgan kürzlich. Wirtschaftlich erhofft sich die Stadt von dem Mega-Event einen Schub. Schätzungen zufolge könnten anlässlich des ESC rund 100.000 Menschen Liverpool besuchen, die umgerechnet mindestens 46 Millionen Euro ausgeben könnten.
Loreen aus Schweden gewann den ESC schon einmal
Zu den klaren Favoriten gehört Loreen aus Schweden. Die Sängerin hatte den Contest schon einmal gewonnen, mit dem Song "Euphoria" im Jahr 2012. Diesmal singt sie ein Lied mit dem Titel "Tattoo". Es geht darin darum, zur falschen Zeit in die richtige Person verliebt zu sein. "Das ist dunkler Dance-Pop mit Herz. Ich höre das Lied seit Wochen in Endlosschleife. Es ist ein wunderschönes Lied", so Adams.
Für Deutschland zum ESC fährt die Band Lord of the Lost, deren Mitglieder erst kürzlich in Hamburg König Charles III. im Rahmen seines Deutschlandbesuchs die Hand geschüttelt hatten. Die Musiker hatten mit dem Song "Blood & Glitter" souverän den Vorentscheid gewonnen. ESC-Experte Adams findet für die Gruppe, die sich zwischen Rock, Metal und Glam bewegt, und ihren Song "Blood & Glitter" lobende Worte. "Deutschland hat in den vergangenen Jahren wirklich schlecht abgeschnitten. Die Teilnehmer waren zu blass, zu beige, einfach nicht verrückt genug." Dass nun Lord of the Lost in Liverpool antreten, zeige, dass die Deutschen verstanden hätten, worum es bei dem ESC geht, nämlich darum, "im Gedächtnis zu bleiben".
Der klare Sieg der Ukraine im vergangenen Jahr entfachte jedoch erneut Diskussionen um die politische Dimension des Wettbewerbs. Oleg Psjuk, Sänger des ukrainischen Vertreters Kalush Orchestra, bat beim Finale im italienischen Turin auf der Bühne um Unterstützung für sein Land. Ein Sprecher bezeichnete die Äußerungen als "humanitäre Geste und weniger als politisch". Dieses Jahr tritt für die Ukraine das Elektropop-Duo Tvorchi mit dem Song "Heart of Steel" an.
Auch wenn politische Botschaften eigentlich nicht erwünscht sind, spielten diese selbstverständlich eine Rolle, bestätigt Adams. Dass Nachbarstaaten beim ESC häufig füreinander stimmen, habe aber auch oft etwas mit dem geteilten Musikgeschmack zu tun. Zu behaupten, dass bestimmte Bands oder Sänger nur aufgrund von Sympathien gewinnen, hält der Blogger für falsch. "Ein guter Song setzt sich immer durch."