Fünf Tage nach dem katastrophalen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten allein in der Türkei nochmals um mehrere tausend Opfer gestiegen. In der Türkei gebe es inzwischen mehr als 30.000 bestätigte Todesopfer, wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte. In Syrien sind bei dem Beben mindestens 5900 Menschen ums Leben gekommen, wie die Deutsche Presse-Agentur meldet.
Noch immer werden zudem viele Menschen in beiden Ländern unter Trümmern vermisst. Anadolu zufolge sind allein in der Türkei mehr als 6000 Gebäude eingestürzt. Mehr als 13 Millionen Menschen seien von den massiven Erdstößen betroffen.
75-Jährige nach 60 Stunden in der Türkei aus den Trümmern gerettet
Dem Sender TRT World zufolge konnten in der Türkei bislang etwa 8000 Menschen aus den Trümmern gerettet werden. Eine Reporterin des Fernsehkanals berichtete über den verzweifelten Kampf gegen die Zeit: "Die Retter weigern sich, aufzugeben." Aber die Momente der Freude über eine weitere Rettung würden immer seltener.
Trotzdem gibt es noch immer Erfolgsmeldungen: So wurde ein 24-jähriger Mann rund 64 Stunden nach dem Beben in der türkischen Provinz Kahramanmaras gerettet. In der Provinz Hatay konnte nach Angaben vom Mittwochabend eine 75-Jährige 60 Stunden nach der Naturkatastrophe aus den Trümmern befreit werden. In der Südprovinz Adiyaman wurde ein sieben Monate altes Baby lebend gefunden.
Kritische Überlebenszeit liegt bei etwa 72 Stunden
Das Beben mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte am frühen Montagmorgen das Grenzgebiet erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region.
Die Rettungsteams arbeiten derweil unermüdlich, um noch Überlebende zu finden. Die kritische Überlebensgrenze liegt normalerweise bei etwa 72 Stunden. Bilder aus den Katastrophengebieten zeigten auch in der Nacht zum Donnerstag Bagger, die Schutt abtrugen. Angehörige Verschütteter warteten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf erlösende Nachrichten. Indes ist weitere Hilfe aus dem Ausland auf dem Weg in die Unglücksregionen – auch aus Deutschland.
Bundeswehr fliegt am Donnerstag 50 Tonnen Hilfsgüter ein
Vor allem im Norden Syriens ist das Ausmaß der Katastrophe nur schwer zu fassen. Hilfe kommt nur langsam voran – nicht zuletzt wegen der politischen Lage in dem Bürgerkriegsland. Die Nothilfe war UN-Angaben zufolge auch wegen einer zerstörten Straße zum Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien erschwert gewesen, die inzwischen laut Weltgesundheitsorganisation repariert werden konnte.
Ausmaß der Katastrophe in Syrien schwer zu fassen
Auch das UN-Welternährungsprogramm (WFP) hat umgehend Hilfe auf den Weg gebracht. "Eine Region, die seit Jahren von immer neuen Krisen geplagt wird, steht vor einer weiteren Krise mit unvorstellbaren Verlusten und Zerstörungen", sagte Corinne Fleischer, WFP-Regionaldirektorin für den Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa.
"Wir sehen viele Menschen, die auf der Straße eine Unterkunft eingerichtet haben", sagte der Leiter der Nothilfeabteilung der Malteser International, Oliver Hochedez, am Mittwochabend im ZDF. Es würden viele Verwundete behandelt. "In den letzten zwei, drei Tagen sind es über 100 Operationen, die wir auch durchgeführt haben mit den syrischen Ärzten vor Ort." Es sei zudem bitterkalt. "Es fehlt an internationaler Unterstützung in dem Gebiet", sagte der Geschäftsführer der Organisation Ärzte ohne Grenzen, Christian Katzer, in der ARD-Sendung "Brennpunkt".
Rund 104.000 Helfer in der Türkei im Einsatz
In der Türkei sind die Such- und Rettungsarbeiten dagegen deutlich schneller angelaufen. Nach Angaben des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay sind rund 104.000 Helfer im Einsatz.
Präsident Recep Tayyip Erdogan wies am Mittwoch Kritik auch aus den Reihen der Opposition zurück, seine Regierung haben das Land nicht für ein erwartbares Erdbeben dieser Größenordnung gewappnet und nach der Katastrophe nicht schnell genug Hilfsmaßnahmen in Gang gesetzt. Es sei nicht möglich, auf ein solches Desaster vorbereitet zu sein, sagte er bei einem Besuch in Kahramanmaras. "Wir haben alle unsere Ressourcen mobilisiert. (...) Unsere Bürger sollten sich keine Sorgen machen."
Temperaturen um den Gefrierpunkt
Die Retter kämpfen zudem teils mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das Wetter klarte sich aber auf – weiterer Schneefall oder Regen ist dem Wetterdienst zufolge in den betroffenen Gebieten vorerst nicht zu erwarten. Auch vielen Überlebenden machen die eisigen Temperaturen zu schaffen. Viele der Betroffenen haben kein Dach mehr über dem Kopf.
Retter in Syrien vermuten, dass noch immer hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib, in der sich staatliche Nothilfe wegen der verfeindeten Kräfte im Bürgerkrieg schwierig gestaltet. Nach mehr als elf Kriegsjahren kontrollieren die Regierungstruppen des Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel Syriens.
Bundeskanzler Scholz: "In Katastrophen müssen wir zusammenrücken"
Ein Erdbeben mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Mittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird erst langsam deutlich.
In seiner Regierungserklärung am Mittwoch kam Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Erdbeben in der Türkei und Syrien zu sprechen. "Schockierende Bilder und Nachrichten erreichen uns seit Montagmorgen aus der Türkei und Syrien. Ich denke, ich spreche im Namen von uns allen, wenn ich sage, ich bin über so viel Leid und Zerstörung erschüttert", sagte Scholz. "Wir liefern Hilfsgüter und stehen im engen Kontakt mit den Vereinten Nationen. Wir erleben eine Welle des Mitgefühls. Dafür bin ich den Bürgerinnen und Bürgern sehr dankbar. In Katastrophen wie dieser müssen wir zusammenrücken und uns gegenseitig unterstützen." (mit dpa)