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Endometriose: „Morgen bin ich keine richtige Frau mehr“

Endometriose

Leben mit Endometriose: Wenn eine simple Unterhaltung zum Kraftakt wird

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    Frauen mit Endometriose haben häufig ungewöhnlich starke Regelschmerzen. Zu lange wurde das als "normal" abgetan.
    Frauen mit Endometriose haben häufig ungewöhnlich starke Regelschmerzen. Zu lange wurde das als "normal" abgetan. Foto:  Christin Klose, dpa

    Als ihr Mann das Zimmer im Krankenhaus betritt, brüllt ihn Monika Stich an: „Du kannst gleich wieder gehen, morgen bin ich keine richtige Frau mehr." Der Arzt hatte ihr sagen müssen, dass es schlimm aussieht. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass die Eierstöcke wahrscheinlich rausmüssen. Sie wollte immer Kinder. Die OP dauert acht Stunden, die Eierstöcke kann er retten.

    Doch weder hat Monika Stich danach Kinder bekommen, noch ging es ihr wirklich besser. Die Fränkin hat Endometriose, eine tückische Krankheit, die bis vor einigen Jahren in der Öffentlichkeit kaum bekannt war. Dabei leiden in Deutschland zwischen acht und 15 Prozent aller Mädchen und Frauen daran. Das sind zwei Millionen Patientinnen. 

    Endometriose ist eine der Hauptursachen für ungewollte Kinderlosigkeit

    Endometriose ist eine häufige Ursache dafür, dass Frauen nicht schwanger werden, obwohl sie sich ein Kind wünschen. Es ist keine Krankheit, die man wegdrücken kann. Sie rast im Körper, sie quält, die Frauen krümmen sich vor Schmerzen. „Ich habe Ibuprofen geschmissen bis zum Abwinken“, erzählt Monika Stich. 

    In der Medizin gibt es eine Schmerzskala in zehn Stufen. Sie reicht von eins – sanfte, kaum wahrnehmbare Schmerzen bis zehn – Schmerzen, die zum Delirium führen. Davor auf neun Schmerzen, die die Leidenden weinen, stöhnen und wimmern lassen. Und Stufe acht – Schmerzen, die die körperliche Aktivität stark beeinträchtigen. Eine simple Unterhaltung wird zum Kraftakt. Endometriose spielt auf den Stufen zwischen acht und zehn. 

    Die Qualen entstehen, weil sich der Gebärmutterschleimhaut ähnliche Zellen irgendwo im Körper ansiedeln. An der Blase, an den Eierstöcken, am Darm, am Bauchfell. Mit der Menstruation blutet auch dieses Gewebe, doch das Blut kann vom Körper nicht richtig abgebaut werden. Das Gewebe vernarbt, verklebt, es bilden sich Zysten. Diese Endometriose-Herde lösen die Schmerzen aus, die die Patientinnen niederzwingen, teilweise über die Regelblutung hinaus. Erst mit der Menopause hat das Leiden für die meisten Patientinnen ein Ende. „Zehn Tage im Monat ging es mir gut, 20 Tage waren ein Albtraum“, sagt Monika Stich.

    Viele Endometriose-Patientinnen glauben, die Schmerzen gehörten zum Zyklus

    Sie ist 26, als sie die Diagnose bekommt und umgehend ins Krankenhaus eingewiesen wird. Es ist der Tag, an dem sie fürchtet, nach dem Eingriff keine Kinder mehr auf die Welt bringen zu können. Vernarbtes Gewebe musste entfernt werden. Das war im Jahr 2001. Schon als Jugendliche hatte sie starke Regelschmerzen, die mit den Jahren heftiger wurden. Die Krankheit wurde nicht erkannt. Weil die Schmerzen oft mit der Menstruation kommen und die meisten Frauen Regelbeschwerden haben, glauben viele, das gehöre zum Zyklus einfach dazu. 

    Sylvia Mechsner leitet das Endometriose-Forschungszentrum der Berliner Charité. Jeden Tag melden sich 30 Patientinnen bei ihr und suchen um Hilfe.
    Sylvia Mechsner leitet das Endometriose-Forschungszentrum der Berliner Charité. Jeden Tag melden sich 30 Patientinnen bei ihr und suchen um Hilfe. Foto: Charité

    „Wir reden deshalb auch vom Chamäleon der gynäkologischen Erkrankungen“, sagt Sylvia Mechsner. Sie ist Professorin an der Berliner Charité und in Deutschland die Endometriose-Koryphäe. Sie leitet das Forschungszentrum der Klinik zu dieser Krankheit. Im weißen Arztkittel empfängt sie in ihrem kleinen Büro. Ein Schreibtisch mit Computer, Bücherregale, ein Waschbecken. Mechsner bietet Schokolade an, die sie geschenkt bekommen hat. 

    Dann erzählt sie, dass im Schnitt zehn Jahre vergingen, bis die Diagnose erkannt sei. Dass der Leidensweg viele Frauen schwer mitnehme und seelisch unheimlich belaste. „Sie kommen mit dem Gefühl, dass ihnen keiner glaubt. Sie bekommen zu hören, das sei halt normal bei der Regelblutung.“ 

    Endometriose wird oft nicht richtig behandelt, weil Geld für Operationen fehlt

    Mechsner hat 900 Patientinnen auf der Warteliste, 30 Anfragen kommen pro Tag dazu, wie sie erzählt. Sie bräuchte ein Jahr, um die Fälle abzuarbeiten, wenn keine neuen hinzukämen. Ein Teil der Patientinnen wird operiert, Mechsner selbst steht im OP. Sie entfernt die Krankheitsherde und dringt dabei bis zur gesunden Hautschicht vor. „Wir machen hier pro Eingriff 1000 Euro Minus“, sagt die Gynäkologin. Fehlendes Geld ist für sie der Knackpunkt, warum Endometriose spät erkannt und nicht richtig behandelt wird. 

    Sie erzählt aus der Praxis. Um Endometriose feststellen zu können, müssen die Frauenärzte eine umfangreiche Aufnahme machen und im Anschluss eine Ultraschall-Untersuchung. Sie können der Professorin zufolge dafür aber maximal 47 Euro abrechnen. Nach sieben bis acht Minuten müsste die Behandlung eigentlich beendet werden, weil sie sich sonst wirtschaftlich nicht lohnt. Ultraschallbehandlungen sind außerdem budgetiert, das heißt, nicht jede Frau, die eine braucht, bekommt sie auch. „Das Hauptproblem ist in meinen Augen, dass kaum jemand bereit ist, mit den Frauen länger zu reden, weil dafür das Geld fehlt“, sagt Mechsner. Die niedergelassenen Gynäkologen müssten für die Untersuchung mindestens 200 Euro abrechnen dürfen, damit es sich wirtschaftlich lohnt, schätzt sie. 

    Der Verband der Frauenärzte fordert genau das: mehr Geld für die Behandlung in den Praxen und in den Frauenkliniken. „In unserem Gesundheits- und Honorierungssystem müssen die Komplexität der Diagnostik und Behandlung der Endometriose deutlich besser abgebildet werden“, verlangte Verbandspräsident Klaus Doubek in einem Positionspapier Anfang vergangenen Jahres. 

    Ein gutes Jahr später debattiert der Bundestag über die Frauenkrankheit

    Es war die Zeit, als es die Krankheit für einige Monate in die Medien schaffte. Die Zeitungen druckten Berichte, Sylvia Mechsner gab Interviews für das Fernsehen und empfing zwei Staatssekretärinnen der Ampelregierung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits Mitte 2022 erklärt, dass Endometriose vom Leidensdruck her unterschätzt werde und oft als Menstruationsbeschwerde abgetan worden sei. Ein gutes Jahr später debattiert der Bundestag über die Frauenkrankheit, Lauterbach verspricht über Instagram 20 Millionen Euro für die Forschung. Bis heute ist in Deutschland nur ein Medikament zur Behandlung zugelassen. 

    Bei der Debatte im Bundestag bringt die Union einen Antrag ein, die Gesundheitsexpertin Emmi Zeulner (CSU) appelliert an die Abgeordneten des Regierungsbündnisses, diesem zuzustimmen, um den Patientinnen besser helfen zu können. Die Koalition stimmt mit ihrer Mehrheit dagegen. „Die Politik hat zu Recht auf diese Krankheit aufmerksam gemacht; in der Realität und Versorgung der Betroffenen hat sich jedoch nichts geändert“, sagt Zeulner heute. 

    Das versprochene Paket zur Verbesserung der Behandlung lässt auf sich warten. Monika Stich hat sich 16 Jahre nach der Diagnose die Gebärmutter herausnehmen lassen. „Mein Vater hat immer gesagt, du musst nach vorne schauen, für hinten kriegst du nichts mehr.“ Seitdem lebt sie weitgehend schmerzfrei.

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