Alle zwei bis sieben Jahre gibt es ein Klima-Phänomen, dass im Pazifikraum auftritt: El Niño. Die Meeres- und Luftströmungen kommen durcheinander, Umweltkatastrophen sind die Folge.
Einer Legende nach haben Fischer in Peru alle paar Jahre die Entdeckung gemacht, dass das Wasser um die Weihnachtszeit herum wärmer wird und weniger Fische im Meer schwimmen. Sie nannten die Beobachtung "el Niño de Navidad", also Christkind. Was sich nach einer netten Geschichte anhört, hat jedoch fatale Auswirkungen auf das Klima der gesamten Erde - auch auf Deutschland.
Was versteht man unter El Niño?
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) erklärt das Wetter-Phänomen so: Die Passatwinde sorgen dafür, dass das warme Wasser auf der Oberfläche des Pazifiks von Osten nach Westen, also in Richtung Indonesien, Australien und anderen Gebieten Südostasiens fließt. Parallel dazu kommt das kalte Wasser aus der Tiefe nach oben - vor allem in den Küstenregionen Latein- und Südamerikas. Dadurch gibt es besonders viele Fische dort, wodurch die Menschen gut von der Fischerei leben können. Normalerweise ist dort das Klima trocken. Auf der anderen Seite des Pazifiks ist es dagegen feucht und regnerisch in den Küstenregionen.
Wenn das El-Niño-Phänomen auftritt, passiert aber genau das Gegenteil: Die Passatwinde lassen nach oder ändern ihre Richtung. So werden die Wolken, die eigentlich auf der feuchteren Seite des Pazifiks sind, in die entgegengesetzte Richtung getrieben. Dadurch kommt es zu Niederschlag in Süd- und Lateinamerika. An den asiatischen und australischen Ostküsten wird es hingegen trocken.
Welche Folgen hat El Niño?
Durch El Niño kommt es laut dem DWD zu heftigen Überschwemmungen in Süd- und Lateinamerika. Da es dort in der Regel sehr trocken ist, kann der Boden die Wassermassen nicht aufnehmen. Wenn dort nun eine große Menge an Regen fällt, kann es zu Erdrutschen kommen. Das passiert vor allem in den Ländern, die westlich der Anden liegen, also über Lateinamerika bis hin nach Kalifornien.
Gleichzeitig kommt es auf der anderen Seite des Pazifiks, an den australischen und asiatischen Ostküsten, zu extremer Trockenheit. Die greift dann auch auf den Südosten Afrikas über. Sogar in Großstädten muss deshalb oft das Wasser rationiert werden.
Neben den extremen Klimaveränderungen hat El Niño aber auch weitere schwerwiegende Folgen für die Länder: die Krankheits- und Seuchengefahr steigt. Ein Jahr lang haben die betroffenen Staaten mit den Folgen zu kämpfen und können diese nicht beeinflussen. Auch die Tierwelt ist von dem Klima-Phänomen betroffen: Viele Seevögel und Robben sterben, da diese auf die Fische und das kühle Wasser des Humboldtstroms angewiesen sind.
Was ist der Unterschied zwischen El Niño und La Niña?
Die kleine Schwester des El Niño, La Niña, tritt oftmals nach dem Abklingen des Klima-Phänomens auf. Sie sorgt dafür, dass die idealen Wetterbedingungen in denen Regionen herrschen, die durch El Niño vorher aus dem Gleichgewicht gerieten. Dadurch bringt der Humboldtstrom wieder kaltes Wasser und die Trockenzeit sowie die Überschwemmungen enden.
Früher folgte auf El Niño stets La Niña. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurde sie schwächer und konnte nicht mehr die Verhältnisse schaffen, die in den betroffenen Ländern gebraucht werden. Der DWD geht davon aus, dass die "kalten Episoden" - also La Niña - mittlerweile nicht mehr so lang und intensiv sind wie in der Vergangenheit. Die neutralen Zeiträume, in denen kein Wetterphänomen stattfindet, verlängern sich somit.
Ist 2023 ein El-Niño-Jahr?
Im September 2022 schrieb der Klima-Experte der Universität Auckland, Kevin Trenberth, dass die Tiefengewässer im tropischen Westpazifik außergewöhnlich warm seien. Das deute auf das nächste El-Niño-Jahr hin. Der Geograph Michael Becht der Katholischen Universität Eichstätt sagte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: "Aber es ist noch nicht absehbar, in welcher Geschwindigkeit und in welcher Stärke El Niño auftreten wird."
Mittlerweile ist klar: Das Wetterphänomen El Niño ist wieder da. Die Weltwetterorganisation (WMO) teilte in Genf mit, dass im tropischen Pazifik erstmals seit mehreren Jahren wieder El-Niño-Bedingungen herrschen. Noch im November 2022 schätzte die WMO die Chancen auf ein El-Niño-Jahr in 2023 auf 25 Prozent. Dass der bisherige Rekord des heißesten Jahres 2016 bis 2026 übertroffen wird, schätzt die Organisation jedoch auf 93 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit für ein Andauern von El Niño bis in die zweite Jahreshälfte liegt der WMO zufolge bei 90 Prozent. Wie stark das Wetterphänomen aber diesmal ausfällt, lasse sich noch nicht sagen.
Dass sich die Anzeichen für den Einzug des Wetter-Phänomens El Niño gemehrt hatten, meldete die WMO nach November 2022 erneut im März 2023 in Genf: "Die Wahrscheinlichkeit, dass sich El Niño entwickelt, ist in der ersten Jahreshälfte zwar gering (15 Prozent im April bis Juni), steigt aber allmählich auf 35 Prozent im Mai bis Juli", erklärte die WMO.
Am 4. Juli 2023 ließ die WMO in einem weiteren Update wissen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung des El-Niño-Phänomens im zweiten Halbjahr bei 90 Prozent liege. Demnach sei zumindest mit einer mäßigen Stärke zu rechnen. WMO-Generalsekretär Petteri Taalas wird so zitiert: "Der Beginn von El Niño wird die Wahrscheinlichkeit von Temperaturrekorden und extremer Hitze in vielen Teilen der Welt und in den Ozeanen deutlich erhöhen."
Noch einen Schritt weiter geht die US-amerikanische Wetterbehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), die am 21. August 2023 einen neuen Bericht zum Thema veröffentlichte. Demnach liegen die Temperaturen der Meeresoberfläche im zentralen und östlichen äquatorialen Pazifik über dem Durchschnitt. Zudem seien die atmosphärischen Anomalien im tropischen Pazifik mit El Niño vereinbar. Mit mehr als 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit wird erwartet, dass das Phänomen über den Winter in der nördlichen Hemisphäre anhält. Hieße: bis Februar 2024.
El Niño: Auswirkungen auf Deutschland
Obwohl El Niño ein weltweites Phänomen ist, hat es nur einen geringen Einfluss auf das Wetter in Deutschland. Ganz auszuschließen ist es jedoch nicht. So betont Dr. Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung beim DWD: "Für Deutschland, das in den mittleren Breiten liegt, zeigen unsere Modelle keine zusätzliche Bedrohung durch Hitzewellen oder Extremniederschläge."
Auf andere Weise wird aber auch die Bundesrepublik die Folgen von El Niño zu spüren bekommen. Stichwort: globalisierte Ökonomie. Denn marine Hitzewellen im Pazifik haben Auswirkungen auf die Fischerei, Dürren und Überschwemmungen machen der Landwirtschaft zu schaffen. "El Niño kann in Deutschland zu steigenden Preisen oder gar Versorgungsengpässen bei importierten Lebensmitteln führen", befürchtet Becker.