Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Mexiko: Der Krieg gegen die Drogen scheint verloren

"Beschütze Ciudad Juárez und die anderen Städte Mexikos", beten Angehörige: Am "schwarzen Donnerstag des Terrors" wurden hier Mitte August zwei Frauen Opfer des Organisierten Verbrechens.
Mexiko

Der Krieg gegen die Drogen scheint verloren

    • |

    Der Tod kam am Nachmittag jenes "schwarzen Donnerstags des Terrors", wie die Menschen in Ciudad Juárez ihn nennen. Vor dem verkohlten Supermarkt stehen ausgebrannte Kerzen, an der verschlossenen Türe hängen Zettel. "Gott, habe Barmherzigkeit mit deinen Kindern", ist auf einem zu lesen. "Beschütze

    Es war ein normaler Donnerstag Mitte August, an dem die Organisierte Kriminalität zuschlug. Diesmal ging es nicht gegen die Polizei, die Nationalgarde, rivalisierende Gangs oder Journalisten. Diesmal ging es ganz bewusst gegen ganz normale Bürgerinnen und Bürger. An der Straßenkreuzung "Hiedra y Cártamo" im Herzen der Stadt. Unbekannte setzten also den Supermarkt in Brand – während noch Kunden im Laden waren. Dann versperrten sie die Tür. Zwei Frauen im Alter von 18 und 54 Jahren schafften es nicht mehr ins Freie.

    "Wer etwas gegen die Mafia sagt, ist am nächsten Tag vielleicht schon tot"

    "Rapiditos Bip Bip" heißt der Laden. Er ist inzwischen zum Symbol des "jueves negro", des schwarzen Donnerstags, und der Machtlosigkeit des Staates geworden. Drinnen hängt verschmortes Plastik erstarrt von den Wänden, draußen haben Angehörige Kerzen aufgestellt. Mehr können und wollen sie nicht tun.

    Im Kiosk gegenüber, der von einer Tankstelle einen Steinwurf entfernt ist, oder in der Bäckerei um die Ecke bekommt man immer die gleiche Antwort: "Wir haben nichts gesehen. Wir wissen nichts." Einer ruft dem Reporter hinterher: "Und Sie verschwinden besser auch gleich wieder. Ist ein gefährliches Pflaster hier, auch für Journalisten." Ein anderer will dann doch reden, aber nicht, dass sein Name öffentlich wird: "Wissen Sie, wer hier in der Zeitung steht und etwas gegen die Mafia sagt, ist am nächsten Tag vielleicht schon tot", sagt er.

    Der Supermarkt „Rapiditos Bip Bip“ im Herzen der Grenzstadt Ciudad Juárez. Er ist zum Symbol für die Machtlosigkeit des Staates im Kampf gegen die Drogenkartelle geworden.
    Der Supermarkt „Rapiditos Bip Bip“ im Herzen der Grenzstadt Ciudad Juárez. Er ist zum Symbol für die Machtlosigkeit des Staates im Kampf gegen die Drogenkartelle geworden. Foto: Tobias Käufer

    Ciudad Juárez ist eine der gefährlichsten Städte der Welt. Sie liegt an der Grenze zu den USA. Die Downtown von El Paso im US-Bundesstaat Texas ist gut zu sehen. Die riesigen gelben Buchstaben des Bankenwolkenkratzers von Wells Fargo sind zu erkennen, das Luxushotel "

    In Mexiko und anderen Ländern kündigt sich ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik an

    Hier, zwischen Ciudad Juárez und El Paso, zwischen dem sogenannten Globalen Süden und dem Globalen Norden, zwischen den armen Entwicklungs- und Schwellenländern und den reichen Nationen – hier kommt einiges zusammen: von Süden eine immer mächtiger und skrupelloser werdende Drogenmafia sowie eine nicht enden wollende Migrationsbewegung aus Venezuela, Kuba und Nicaragua. Von Norden Waffen aus US-Produktion, legal wie illegal. Und eine nicht enden wollende Nachfrage nach Drogen.

    Wegen des Ukraine-Kriegs, wegen Wirtschaftskrisen und Inflationsproblemen ist dieser Brennpunkt der Gewalt, des Menschen-, Drogen- und Waffenhandels etwas aus dem Blickfeld geraten. Dabei geschieht derzeit Bemerkenswertes. In Mexiko und anderen Ländern. Es kündigt sich ein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik an.

    Vor allem Kolumbiens neuer linker Präsident Gustavo Petro will nicht mehr so weitermachen wie die Vorgängerregierungen. Kolumbien ist neben Mexiko eines der Länder, die den höchsten Preis für das Milliardengeschäft mit Kokain zahlen müssen.

    Auch Francia Márquez, die afrokolumbianische Vizepräsidentin, forderte bereits: Es sei notwendig, die seit vielen Jahren wirkungslose Drogenpolitik zu diskutieren. Diese Politik habe nur dazu geführt, dass das Geld bei den Banken und "die Toten bei uns in den Territorien" landeten. Die bisherige Null-Toleranz-

    Schwer bewaffnete Mitglieder der mexikanischen Nationalgarde in Ciudad Juárez .
    Schwer bewaffnete Mitglieder der mexikanischen Nationalgarde in Ciudad Juárez . Foto: Tobias Käufer

    Tatsächlich ist die Lage in Lateinamerika dramatisch. Die argentinische Industriestadt Rosario zum Beispiel versinkt in Gewalt und Bandenkriminalität. In Gefängnissen Ecuadors toben derart heftige Bandenkämpfe, dass allein in den vergangenen beiden Jahren mehr als 400 Inhaftierte ums Leben kamen. Aus Kolumbien, Peru und Bolivien – die drei Länder, in denen am meisten Kokain produziert wird – mehren sich die Stimmen, die auf einen Politikwechsel drängen.

    Offensichtlich ist man nicht länger bereit dazu, einen "Krieg gegen die Drogen" zu führen – während in US-Talkshows Prominente ihre Bücher, Songs oder Filme vor einem begeisterten Publikum mit Drogenbeichten promoten. Juan Manuel Santos, Kolumbiens Friedensnobelpreisträger von 2016 und ehemaliger Präsident, sagte dazu einmal: "Wir verhaften hier unsere Kleinbauern und die Gringos zünden sich in Ruhe einen Joint an."

    Die weltweit mit Koka angebaute Fläche blieb im Pandemie-Jahr 2020 gleich – doch die Produktion stieg um elf Prozent

    Das internationale Geschäft mit den Drogen besorgt Fachleute dabei sehr. "Die Zahl der Drogenkonsumenten in Afrika soll allein aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten zehn Jahren um bis zu 40 Prozent steigen", heißt es in einem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung. Einige afrikanische Länder sind zu Transitpunkten auf dem See- oder Luftweg für den Drogenhandel geworden. Die weltweit mit Koka angebaute Fläche blieb im Pandemie-Jahr 2020 zwar gleich, doch die Produktion stieg um elf Prozent, angeheizt durch eine Rekord-Kokainproduktion in den Anden.

    Meldungen wie jene von Ende August führen das Drogenproblem eindringlich vor Augen. Nach Angaben des Bundeskriminalamts war im Hamburger Hafen ein Schiffscontainer mit 700 Kilogramm Heroin gefunden worden. Das sei "die größte jemals in Deutschland sichergestellte Menge dieser Droge".

    Ein Etappensieg, der allerdings auch zeigt: Die Mengen, die aus den Drogenproduzentenländern in Lateinamerika oder dem Nahen Osten nach Deutschland kommen, werden größer, die Tricks der Schmuggler raffinierter und der Handel lukrativer. Denn mit größeren Liefermengen erhöht sich der Gewinn für das Organisierte Verbrechen. Größerer Gewinn wiederum bedeutet: mehr Macht, mehr Waffen, mehr ökonomischer Spielraum, um Sicherheitskräfte zu korrumpieren und um in neueste Technologie zu investieren. Es bedeutet, der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein.

    "Umarmen statt schießen": Der mexikanische Präsident will auf die Banden zugehen

    Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2018 bereits einen Paradigmenwechsel angekündigt: Er wolle auf die Banden zugehen. "Umarmen statt schießen", heißt sein Motto.

    Verbessert hat sich dadurch noch nichts. In keinem anderen Land sterben momentan mehr Journalisten oder Umweltschützer, die über die allgegenwärtige Korruption und die Drogenmafia berichten. Nahezu wöchentlich kommt es zu Massakern. Obrador sah sich daher, entgegen seinem Plan, gezwungen, eine Militärreform anzukündigen. Doch Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass eine weitere Militarisierung Mexikos die Gewalt weiter anheizen wird.

    Auch Kolumbien schlägt einen neuen Weg in der Drogenbekämpfung ein. Präsident Gustavo Petro, der erst Anfang August vereidigt wurde, will auf die bewaffneten Banden zugehen und einen Frieden aushandeln. Ein Akt der Realpolitik sozusagen. "Die Erwartung, dass es keine Nachfrage nach illegalen Drogen geben wird, ist unrealistisch", untermauerte dies jüngst Juan Carlos Garzón von der Stiftung "Ideas para la Paz" in der Tageszeitung El País. Was Kolumbien bisher erlebt habe, sei eine sehr starke Politik gegen die Schwachen gewesen, aber auch eine sehr schwache Politik gegen diejenigen, die eine Mitverantwortung für die Korruption und Gewalt hätten.

    Kolumbiens erster linker Präsident: Gustavo Petro.
    Kolumbiens erster linker Präsident: Gustavo Petro. Foto: Cristian Bayona, LongVisual/Zuma/dpa

    Für Aufsehen sorgte kürzlich die erste Rede, die Petro vor der UN-Generalversammlung hielt. Der Krieg gegen Drogen – er nannte ihn "irrational" – sei gescheitert. "Um den Drogenkonsum zu senken, braucht es keine Kriege, stattdessen müssen wir alle eine bessere Gesellschaft aufbauen", sagte er.

    "Was ist giftiger für die Menschheit: Kokain, Kohle oder Öl?", fragte Kolumbiens Präsident Gustavo Petro

    Und wies auf einen "Widerspruch" hin: Die Zerstörung von Kokapflanzen durch Gifte zerstöre den Regenwald, ebenso wie die Förderung von Kohle und Öl. "Was ist giftiger für die Menschheit: Kokain, Kohle oder Öl?", fragte Petro. Kokain werde als Gift betrachtet und verfolgt, führe jedoch zu wenigen Toten durch Überdosen. Kohle und Öl aber würden geschützt, selbst wenn deren Förderung die gesamte Menschheit auslöschen könne, meinte er mit Blick auf den Zustand des Regenwaldes im Amazonasgebiet und den Klimawandel.

    Zurück in Ciudad Juárez, der mexikanischen Stadt an der Grenze zu den USA. Dort hat der "schwarze Donnerstag" Spuren hinterlassen. Neben dem Supermarkt griff die Drogenmafia weitere zivile Ziele an. Insgesamt neun Menschen starben. Die Botschaft, die von den Attacken ausging: Das Organisierte Verbrechen hat nichts und niemanden zu fürchten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden