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Debatte: Polit-Talkshows sind zu oft auf Krawall ausgelegt

Debatte

Polit-Talkshows sind zu oft auf Krawall ausgelegt

Daniel Wirsching
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    Markus Lanz gilt als einer der hartnäckigsten Fragensteller. Er und seine nach ihm benannte Talkshow wurden und werden viel gelobt. Oft zu Recht.
    Markus Lanz gilt als einer der hartnäckigsten Fragensteller. Er und seine nach ihm benannte Talkshow wurden und werden viel gelobt. Oft zu Recht. Foto: Markus Hertrich, ZDF, dpa (Archivbild)

    Wir müssen reden: über die Corona-Pandemie, über den Ukraine-Krieg, über deutsche Innen- und Außenpolitik. Über den Zustand unserer Gesellschaft. Die öffentliche Debatte ist in diesen Krisenzeiten besonders wichtig – und damit ist es auch und besonders die öffentlich-rechtliche Talkshow. Die wird vielfach und vielfach zu Recht heftig kritisiert. Aber wenn sich ein Millionenpublikum spätabends vorm Fernseher oder via Stream mit relevanten Themen auseinandersetzt, ist das ein nicht zu unterschätzender Wert. Ja, auch Markus Lanz oder Anne Will sind systemrelevant! Und dennoch wird das nicht die große Lobhudelei auf ARD und ZDF und ihre Polit-Talk-Promis.

    Denn die setzen seit Jahren unverändert auf einen kleinen Kreis der immer selben Gäste und immer wieder auf Krawall. Wie zuletzt der ZDF-Talk von Markus Lanz, in dem der Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot – "eine Ikone der Querdenkerszene" (FAZ) – eine Bühne geboten wurde. Gleich mehr dazu.

    Die Gäste der Polit-Talks sind "gecastet" und besetzt nach Rollen, die sie zu erfüllen haben

    Zuvor der allgemeine Befund, den auch dieses Beispiel wieder einmal bekräftigt: Statt mehr als Statements abzufragen, statt Raum für mehr als einen Gedankengang zu bieten, statt in ein (Streit-)Gespräch zu kommen, lassen Polit-Talks Meinungen aufeinanderprallen wie Kinder Spielzeugautos: crash, boom, bang! Eine mediale Massenkarambolage, teilweise in Echtzeit kommentiert in sozialen und Online-Medien. Talkshows funktionieren zuverlässig gut, und das im Rahmen ihrer eigenen Logik, ihrer eigenen Routinen und selbst geschaffenen Zwänge. Die Gäste: "gecastet" und besetzt nach Rollen, die sie zu erfüllen haben. Die Themen: zugespitzt. Die Thesen: steil. Die Moderation: angesichts dieses "Settings" noch das geringste Problem.

    Talkshows sind Shows, das schon. Aber das verkennt ihre Funktion als nicht zu unterschätzende Plattformen des öffentlichen Diskurses und geht allzu leichtfertig über die Verantwortung ihrer Macherinnen und Macher hinweg. Die geben vor, einem breiten Meinungsspektrum zu Öffentlichkeit zu verhelfen, schaden bisweilen allerdings dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Zeiten vielfältiger Emotionalisierungen, Polarisierungen, Spaltungen. Im besten Fall könnten die Talks für Erkenntnisgewinn sorgen und zur Meinungsbildung beitragen. Im schlechtesten Fall sind sie so etwas wie Twitter im Fernsehen: Wutmaschinen. Im schlechtesten Fall befördern sie (Politik-)Verdrossenheit und letztlich eine Verunmöglichung öffentlicher Kommunikation.

    Wohlwollend formuliert kann man sagen: Markus Lanz hat's versucht und ist gescheitert

    Nun zu Guérot/Lanz. Wohlwollend formuliert kann man sagen: Er hat's versucht und ist gescheitert. Und das ist bitter, weil gerade Lanz hart fragen und gewinnbringend diskutieren kann. Er hat also versucht, ihre Meinung zum Ukraine-Krieg einzubinden (gegen Waffenlieferungen/für Verhandlungen). Es ist eine legitime Meinung, die viele teilen, die jedoch einen üblen Beigeschmack bekommt, wenn Guérot den russischen Angriffs- und Vernichtungskrieg unter anderem einen "Bürgerkrieg" und den Invasionsbeginn einen "Grenzübertritt" nennt. Russlands Präsident Putin sei nicht allein der Böse.

    Lanz wusste, wen er einlädt. Seine Redaktion baute vor und lud weiterhin ein: FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sowie die angesehenen Journalisten Natalie Amiri und Frederik Pleitgen. Damit hatte sie ein Setting "Alle gegen eine" gezimmert, das Guérot noch Tage später helfen sollte, sich als Opfer einer vermeintlichen "Cancel Culture" zu stilisieren oder stilisieren zu lassen.

    Die Talkshowgäste gaben ihr Contra; Guérot gefiel das sichtlich nicht. Im Gegenteil zu den Folgen ihres Auftritts. Da hieß es dann: "Kommt man gegen die Argumente nicht an, wird die Person vernichtet" (mit Blick auf den FAZ-Gastbeitrag des Trierer Politikwissenschaftlers Markus Linden: "Wie Ulrike Guérot die Wirklichkeit verdreht"). Oder: Guérot sei "der neue Kimmich, der nächste Punchingball der Nation" – "Erst Kulturkampf, dann Krieg gegen das Virus, jetzt Krieg gegen Russland", wie der "als Corona-Verharmloser bekannte" (BR) Publizist Milosz Matuschek in einem Gastbeitrag für die Berliner Zeitung schrieb, in dem er den "Russland-Ukraine-Konflikt" als "auch ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland" bezeichnete.

    Berührungsängste mit „alternativen“ Medien sind Guérot, wie es aussieht, fremd

    Und Guérot? Bedankte sich auf Twitter herzlich für ein Interview, das sie dem Youtube-Kanal „InfraRot – Sicht ins Dunkel“ gab samt Link auf das Video "Ulrike Guérot … was bei Lanz nicht gesagt wurde". Der Kanal ist laut FAZ ein "Tummelplatz für Putin-Fans"; auf ihm ist unter anderem Ivan Rodionov – früher Chefredakteur des deutschsprachigen Angebots des russischen Propagandakanals RT DE – aktiv. Guérot erzählte in "InfraRot", sie habe in der Lanz-Sendung das Gefühl gehabt, vorgeführt zu werden. Bestimmte kritische Stimmen würden aus dem Diskursraum ausgeschlossen – bei Corona sei das bereits so gewesen und nun beim Ukraine-Krieg. Der Diskurs über diesen sei vom Westen her "diabolisierend", sagte sie. Und sprach von "Erzählungen" und ihrem Misstrauen gegenüber dem, was in der Zeitung stehe.

    Berührungsängste mit „alternativen“ Medien, die Halbwahrheiten oder Unwahrheiten, Verdrehungen oder Verschwörungstheorien oder Rechtspopulismus verbreiten, sind ihr, wie es aussieht, fremd. Für sie sind "alternative" Medien Teil von "Meinungspluralismus". Und so werden mit Gästen wie Guérot die "Grenzen des Sagbaren" weiter und weiter verschoben. Auch, weil es schön "crash, boom, bang!" macht in und nach der Talkshow und in anderen Medien.

    Der Satiriker Jan Böhmermann ("ZDF Magazin Royale") stieß vor kurzem eine Debatte über "False Balance" in Medienkreisen an.
    Der Satiriker Jan Böhmermann ("ZDF Magazin Royale") stieß vor kurzem eine Debatte über "False Balance" in Medienkreisen an. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa (Archivbild)

    Als ZDF-Entertainer Jan Böhmermann vor nicht allzu langer Zeit Markus Lanz vorwarf, durch die Auswahl seiner Gäste „False Balance“ zu betreiben, meinte er damit den wegen mancher Aussagen nicht unumstrittenen Epidemiologen Alexander Kekulé oder den Virologen Hendrik Streeck. Böhmermanns Kritik traf die Falschen, da beide als Experten ernst zu nehmen sind (im Gegenteil zu anderen).

    Offensichtlich wurde nichts gelernt – und "mediale Verzerrung" bleibt ein Problem

    Dennoch ist es wichtig, "mediale Verzerrung" zu problematisieren – wenn zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eine Minderheitsmeinung vertreten, dieselbe Plattform geboten wird wie denen, die den wissenschaftlichen Konsens vertreten. Es ist drei Jahre her, dass der Mediziner Dieter Köhler, unterstützt von "100 Lungenärzten", beliebter Talkshowgast war. Die Behauptung: Für geltende Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte gebe es keine "wissenschaftliche Begründung". Köhler, stellte sich heraus, hatte sich verrechnet.

    Auch aus dieser medialen Massenkarambolage wurde offensichtlich nichts gelernt.

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