Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Corona: Long-Covid-Forscher warnt: Auf Deutschland könnte Alzheimer-Welle zu rollen

Corona

Long-Covid-Forscher warnt: Auf Deutschland könnte Alzheimer-Welle zu rollen

    • |
    Die Hauptsymptome von Long Covid: extreme Erschöpfung und Müdigkeit sowie Konzentrationsstörungen bis hin zu starkem Schwindel und Herzrasen. All das kann arbeitsunfähig machen. Frauen sind davon mehr betroffen als Männer.
    Die Hauptsymptome von Long Covid: extreme Erschöpfung und Müdigkeit sowie Konzentrationsstörungen bis hin zu starkem Schwindel und Herzrasen. All das kann arbeitsunfähig machen. Frauen sind davon mehr betroffen als Männer. Foto: Oliver Killig

    Auch wenn die Corona-Pandemie am Abklingen ist, zeigt sie weiterhin massive Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen. Ein Aspekt ist dabei Long Covid, ein bis heute nicht genau geklärtes Syndrom, das viele Erkrankte nach einer Infektion betrifft. Der an der TU Braunschweig forschende Neurobiologe Martin Korte beschäftigt sich intensiv mit

    Long Covid: 1,5 Millionen Betroffene in Deutschland

    Schon allein zahlenmäßig ist Long Covid ein Thema, das die Medizin hierzulande nicht außer Acht lassen kann. Korte hat erhoben, dass 70 bis 80 Prozent der auf Intensivstationen Behandelten nach einer Corona-Infektion unter Langzeitfolgen leiden, rund zehn Prozent auch nach einem milderen Verlauf. Der Wissenschaftler spricht von 1,5 Millionen Long-Covid-Betroffenen und daher von einer „Volkskrankheit“.

    Je nach Definition liegt Long Covid vor, wenn nach einem negativen PCR-Test Beschwerden länger als vier Wochen anhalten (und beim sogenannten Post Covid sogar zwölf Wochen) – wobei bei den meisten der größte Teil der Symptome innerhalb eines Jahres wieder abklingt. Leitsymptom ist laut Korte dabei – neben Geruchs- und Geschmackseinschränkungen – die sogenannte Fatigue, von vielen Patientinnen und Patienten auch „Gehirnnebel“ genannt. Sie ist durch extreme Erschöpfung, Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme sowie tiefe Erschöpfung charakterisiert – und bessert sich auch durch Schlaf und Erholungsbemühungen nicht. „Die Patienten beschreiben ein Gefühl der Benommenheit im Kopf, vergleichbar mit übermäßigem Alkoholgenuss. Wir vermuten, dass Fatigue mit entzündlichen Prozessen im Gehirn zu tun hat, die dort die Energiebereitstellung vermindern“, sagt Korte. Das Gehirn reagiere mit einer Verlangsamung der Prozesse, mit weniger Rechenkapazität, zum Teil sogar mit Abbauprozessen.

    Großhirnrinde schrumpft bei Long Covid

    „Man hat festgestellt, dass die Großhirnrinde bei Long-Covid-Patienten kleiner geworden ist. Die Nervenzellen sind regelrecht geschrumpft. Doch wir wissen durch Tierexperimente, dass viele dieser Prozesse sich auch wieder erholen. So können Nervenzellen schrumpfen und Energie sparen, doch wenn der Zustand sich verbessert, auch wieder wachsen“, berichtet der Professor im Gespräch mit unserer Redaktion weiter. Bis heute sei nicht geklärt, warum die entzündlichen Prozesse im Gehirn bei manchen in größerer Tragweite stattfinden und bei manchen womöglich gar nicht. Gleichwohl weiß man, dass Frauen mehr von Long Covid betroffen sind – ebenfalls Menschen mit Autoimmunerkrankungen, Übergewicht oder Diabetes. 

    Die Auswirkungen auf Betroffene können erheblich sein. Für das Privatleben sehr einschränkend ist der Geruchsverlust. In den allermeisten Fällen wird es nach sechs Monaten bis einem Jahr wieder besser. „Man kann seinen Geruchssinn tatsächlich wieder trainieren, indem man jeden Tag an Geruchsfläschchen riecht“, sagt Korte. „Bei Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten kommt es auf den Beruf an, den jemand ausübt. Meine Doktoranden haben darunter sehr gelitten.“ Dagegen ruiniere eine Fatigue das gesamte Leben, privat wie beruflich.

    "Für Wissenschaftler ärgerlich, für Dachdecker lebensgefährlich"

    „Beim sogenannten POTS-Syndrom bekommen Betroffene unkontrolliert Herzrasen und Schwindel. Hier haben sich periphere Nerven entzündet“, so Korte. Das führe zu Fehlsteuerungen, sodass, wenn man die Körperlage ändere, das Herz anfange, schneller zu schlagen. „Für Wissenschaftler ist das ärgerlich, da muss man beim Aufstehen kurz warten, für Dachdecker ist das lebensgefährlich.“

    Erfolgversprechende Therapien gegen Long Covid gibt es noch nicht. Was man weiß: Eine Impfung verhindert Long Covid zwar nicht, verringert aber die Risiken des Syndroms. Korte betont, dass weiterhin eine intensive Forschung nötig sei. Auch deshalb: „Entzündliche Prozesse im Gehirn sind ein Risikofaktor für das Auftreten von Erkrankungen wie Alzheimer. Wenn wir Long Covid ignorieren, verstärken wir in zehn bis 20 Jahren die ohnehin schon starke Alzheimerwelle, die auf uns zurollt.“

    Der Neurobiologe hofft, „dass wir ganz schnell etwas finden, das gegen Long Covid zumindest im Gehirn wirkt. Und dass wir uns und unser Immunsystem an das Virus anpassen, unterstützt durch die Impfungen, sodass hoffentlich 2023/24 deutlich weniger Menschen an Long Covid erkranken“. Ansonsten, sagt er, komme eine Alzheimerwelle.

    Das Buch: Prof. Dr. Martin Korte: "Long Covid. Wenn der Gehirnnebel bleibt." Deutsche Verlags-Anstalt, 256 Seiten, 18 Euro

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden