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Corona-Krise: Esst mehr Käse! Wie die Franzosen ihr Kulturgut schützen sollen

Corona-Krise

Esst mehr Käse! Wie die Franzosen ihr Kulturgut schützen sollen

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    Was früher eine Festung war, dient heute als Reifekeller für tausende Laibe Comté: Unser Bild zeigt Claude Querry, der den würzigen Bergkäse regelmäßig kontrolliert
    Was früher eine Festung war, dient heute als Reifekeller für tausende Laibe Comté: Unser Bild zeigt Claude Querry, der den würzigen Bergkäse regelmäßig kontrolliert Foto: Hervé Hughes

    Wenn es zu einem der Merkmale des Coronavirus gehört, an allen Ecken und Enden der Welt für Chaos gesorgt zu haben, so gibt es doch ein paar solcher Ecken oder Enden, wo es sich weniger stark bemerkbar machte, zumindest auf den ersten Blick. Die Festung Fort Saint-Antoine ist so ein Ort. Unerschütterlich wie eh und je seit ihrer Errichtung Ende des 19. Jahrhunderts thront sie auf 1100 Metern Höhe im französischen Juragebirge nahe der Grenze zur Schweiz, umgeben von dichten Bäumen. Oft sucht das Handy hier vergeblich nach einem stabilen Netz. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Pandemie und ihre Folgen auch hier eingeschlagen haben.

    Für militärische Zwecke diente das Fort nur kurz und lag dann jahrzehntelang ungenutzt da, bis der Käsehersteller Marcel Petite dem imposanten Bauwerk ab 1966 zu einer neuen Bestimmung als Reifekeller verhalf. Heute ruhen darin in hohen Regalen rund 100.000 Laibe des würzigen Bergkäses Comté – runde Brocken von jeweils 35 bis 40 Kilogramm, die einen strengen Geruch von fermentierter Milch verströmen. Bis zu drei Jahre lang entwickeln sie sich in der Atmosphäre einer natürlichen Höhle mit konstant kühler Temperatur, strikt überwacht von Claude Querry, Chef des Reifekellers, und seinem Team.

    Zu ihrer Arbeit gehört es, die Prachtexemplare regelmäßig abzuklopfen, in sie hineinzuhorchen, schmale Scheiben herauszuschnitzen und zu probieren. Der jeweilige Reifegrad wird mit hieroglyphenartigen Zeichen notiert. "Jede Geste für jeden Laib ist wichtig", erklärt Querry, der in normalen Zeiten auch kostenlose Führungen für Besucher anbietet.

    Der Umsatz mit regionalem Käse ging um 60 Prozent zurück

    Querry ist stolz auf seine Traditionsarbeit: Die Geschichte des Comté, der sich lange aufbewahren lässt und die Bergbevölkerung durch entbehrungsreiche Winter bringt, reiche acht Jahrhunderte zurück, sagt er. "Was auch passiert, ob während der Schwarzen Pest oder der Kriege, dieser Käse hat die Menschen immer ernährt."

    Das tut er zwar auch zu Zeiten von Covid-19; aber manche Gewissheiten gerieten ins Wanken. Immer noch überwachen Querry und seine Kollegen den gemächlichen Alterungsprozess der Käselaibe. Doch auch im Fort Saint-Antoine gibt es Veränderungen seit Mitte März, als in Frankreich eine strikte Ausgangssperre in Kraft trat, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen. Nicht nur stoppten Führungen; ohnehin kommen keine Touristen mehr in die grüne Region mit ihren Seen und Wäldern. Auch ging der Absatz des Comté, eines großen Verkaufsschlagers an französischen Käsetheken, massiv zurück, wie bei den weiteren 44 Käsesorten, die mit dem Siegel AOP ("Appellation d’Origine Protégée") eine geschützte Ursprungsbezeichnung tragen. Durchschnittlich liegen die Einbußen bei 60 Prozent.

    Der Kampf um das Käseland Nummer eins

    Konsum: Frankreich ist in der Tat ein Käseland – noch mehr, als das für Deutschland zutrifft. Schließlich isst jeder Franzose im Schnitt 26,4 Kilo Käse im Jahr – das ist der höchste Pro-Kopf-Käse-Konsum innerhalb der Europäischen Union. Die Deutschen verzehren aber nur unwesentlich weniger, nämlich zuletzt rund 24,1 Kilo pro Mensch und Jahr. Damit hat der Pro-Kopf-Konsum von Käse in Deutschland in den letzten 20 Jahren um mehr als fünf Kilogramm zugenommen.

    Produktion: Was die Produktion aber angeht, hat Deutschland die Nase vorn. Denn hierzulande werden etwa 2,3 Millionen Tonnen Käse hergestellt, in Frankreich sind es knapp zwei Millionen Tonnen. Innerhalb Deutschlands ist Bayern das Käseland Nummer eins. Auf den Freistaat entfallen etwa 40 Prozent der gesamten deutschen Käseproduktionsmenge. Den größten Anteil hat nach Informationen des bayerischen Landwirtschaftsministeriums Frischkäse, gefolgt von Mozzarella, Schnittkäse sowie Hartkäse.

    Export: Deutschland exportiert so viel Käse wie kein anderes Land in der EU. 2018 waren es 1,2 Millionen Tonnen. Die wichtigsten und größten Abnehmer deutscher Käseprodukte sind Italien, die Niederlande und Frankreich innerhalb der EU. (sok)

    Die Produzenten von AOP-Käse müssen sich an strenge Kriterien vom geografischen Ursprung über die traditionellen Herstellungsbedingungen bis zu den typischen Merkmalen bei Konsistenz, Rinde oder Aroma halten. Der "Camembert de Normandie" (aber nur mit dem Zusatz "aus der Normandie") gehört ebenso dazu wie der elsässische Munster oder der südfranzösische Blauschimmelkäse Roquefort. "Wie wollen Sie ein Land regieren, das 258 Käsesorten kennt?", lautet ein beliebtes Bonmot des früheren Präsidenten Charles de Gaulle. Es drückt den Stolz auf diese urfranzösische Spezialität aus.

    Aufgrund der aufwendigen Herstellungsweise ist der Preis von Sorten mit AOP-Siegel meist etwas höher als bei jenen, die ohne diese strikten Anforderungen hergestellt werden. Das wurde ihnen während der Coronavirus-Krise mitunter zum Verhängnis. Denn in dieser Phase der Ungewissheit stürzten sich die französischen Konsumenten, von denen viele von Einnahmeausfällen, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen waren, in den Supermärkten vor allem auf Lebensmittel des Grundbedarfs wie Mehl, Eier und Nudeln und verzichteten auf luxuriöse Käseteller. Und wenn, dann griffen sie überwiegend zu pasteurisierten, lange haltbaren Sorten.

    Camembert lässt sich nicht besonders lange lagern

    Für die Hersteller machte sich zudem die Schließung von Restaurants, auf die in Normalzeiten fast 20 Prozent des Absatzes von Käse mit AOP-Schutzsiegel entfallen, sowie von Kantinen und Märkten stark bemerkbar. Auch der Export brach ein. Darüber hinaus schlossen einige Supermärkte aufgrund von Personalmangel und strengen Hygienebestimmungen ihre sonst so üppig angerichteten Theken mit frisch abgepacktem Käse. Bauernhöfe wurden ihre Ware oftmals nicht mehr los. Sie sitze auf hunderten unverkauften Camemberts, klagte etwa die Milchbäuerin Jeannine Lelouvier: "Wir fragten uns, wie wir es bekannt machen könnten, dass wir sie weiter direkt am Hof verkaufen? Die Leute glauben, wir hätten geschlossen." Trotzdem zog sich die junge Landwirtin weiterhin täglich eine Hygienehaube über den Kopf und ging in ihre Käseproduktionsstätte, die sie mit ihrem Mann Denis betreibt, um die geronnene Milch vom Vortag aus riesigen Bottichen mit einer Kelle in seine Formen zu gießen – fünf Kellen pro Exemplar. In der Folge trocknen und reifen die Camemberts, bis sie drei Wochen später zum Verkauf kommen. Dann aber könne sie ihre Ware nicht lange lagern, so Lelouvier: "Camembert ist nicht wie Hartkäse, der besser wird, wenn er altert."

    Allein zwischen dem Beginn der Ausgangssperre am 17. März und dem 30. April bezifferten die AOP-Käsehersteller ihre Verluste insgesamt auf 157 Millionen Euro. Seit 11. Mai wurden zwar die strikten Beschränkungen in Frankreich gelockert, doch Restaurants bleiben bis mindestens 2. Juni geschlossen, in besonders vom Coronavirus betroffenen Regionen wie dem Großraum Paris sogar noch länger. Auch Kantinen öffnen höchstens nach und nach, nachdem die Regierung die Unternehmen dazu aufgefordert hat, Mitarbeiter nach Möglichkeit weiterhin von zu Hause aus arbeiten zu lassen.

    In der Not hat die Käsebranche nach dem Vorbild der belgischen kartoffelverarbeitenden Industrie, deren Markt ebenfalls einbrach, bereits Mitte April eine nationale Kampagne gestartet: Mit "Fromagissons" – das Wort setzt sich aus "fromage" ("Käse") und "agissons" ("handeln wir") zusammen – appellierten die Milchbauern an die Bürger, "das Frankreich der 1000 Käsesorten" zu retten. Sie sollten mehr davon essen, um die Ware vor dem Verderben und die Hersteller vor dem Ruin zu bewahren. "Käse ist nicht nur ein Lebensmittel, er stellt die Identität Frankreichs, seines Kulturerbes, seiner Geschichte, seines einzigartigen Könnens dar", heißt es in dem Aufruf. Ihm schlossen sich auch Bäcker und Winzer sowie Prominente an, unter ihnen der Élysée-Koch Guillaume Gomez, der Konditor Pierre Hermé oder der frühere Fußball-Nationaltrainer Bernard Laporte. Tausende Tonnen Käse warten demnach bis Herbst auf Abnehmer. Manche Höfe haben einen Lieferdienst eingerichtet, andere einen "Drive-in", wo die Kunden vorfahren und sich ihre Bestellung vom Auto aus mitnehmen können.

    Die strikten Vorgaben bei der Käseherstellung wurden gelockert

    Von der Pleite bedroht seien vor allem die kleineren Hersteller und Familienunternehmen, warnte Michel Lacoste, Präsident der nationalen Dachorganisation für AOP-Milchprodukte: "Wenn die kleinen Betriebe verschwinden, bleibt nur noch Standard-Käse." Auch deswegen wurden im April die strikten Vorgaben für die Käsesorten mit der geschützten Ursprungsbezeichnung gelockert. Die Kühe, die seit dem Frühjahr aus den Ställen auf die Weiden durften, erhalten weniger Zusatzernährung mit Getreide. Vorübergehend darf die Milch für manche Sorten länger als sonst gelagert werden. Auch wurde das vorgeschriebene Milch- und Käsevolumen gesenkt, um auf das Überangebot an Milch zu reagieren, das laut Landwirtschaftsminister Didier Guillaume ein europaweites Problem sei. Seiner Forderung an die EU-Kommission, Beihilfen für die private Lagerhaltung von Milcherzeugnissen zu gewähren, kam diese inzwischen entgegen.

    Beim Comté wird bis einschließlich Juni acht Prozent weniger produziert. Dabei ist der Käse aus der jetzt gemolkenen Milch seit dem Wechsel der Ernährung der Kühe von Heu auf frisches Gras besonders würzig und geschmacksintensiv. Ohnehin ruht er vorerst im Fort Saint-Antoine oder in anderen Kellern, bis er in ein bis drei Jahren zur perfekten Reife gelangt ist. Wie wird man dann auf diesen außergewöhnlichen Frühling 2020 blicken? Von den 1100 Metern des Fort Saint-Antoine aus erscheint er wie ein kurzer Zwischenfall, wenn auch ein außergewöhnlicher, in einer unendlich langen Geschichte.

    Mehr zu den Auswirkungen der Corona-Krise in Frankreich:

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