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Finanzen: Bürgergeld: Lohnt sich arbeiten überhaupt noch? Ein Fakten-Check

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Bürgergeld: Lohnt sich arbeiten überhaupt noch? Ein Fakten-Check

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    Lohnt sich arbeiten mit dem neuen Bürgergeld gar nicht mehr? An der Erhöhung des Regelsatzes gibt es Kritik.
    Lohnt sich arbeiten mit dem neuen Bürgergeld gar nicht mehr? An der Erhöhung des Regelsatzes gibt es Kritik. Foto: Lino Mirgeler, dpa (Symbolbild)

    Das Bürgergeld ist die Gegenwart und soll auch die Zukunft sein. Mit dem Prestige-Projekt will die Ampel Arbeitslosen einfacher Zugang zu Beschäftigung verschaffen. Zugleich soll auch ein würdevolleres Leben in Zeiten ohne Arbeitseinkommen ermöglicht werden. Dafür wurde das Arbeitslosengeld II – besser bekannt als Hartz IV – begraben.

    Allerdings hat das Bürgergeld auch viele Kritiker auf den Plan gerufen und zwar aus dem Lager der Union und der Arbeitgeber. Der bekannteste Vorwurf lautet: Durch die Erhöhung der staatlichen Unterstützung würde sich Arbeit nicht mehr lohnen. Also: Bürgergeld würde die Menschen eher davon abhalten, sich wieder in Beschäftigung zu begeben. Denn statt sich morgens aus dem Bett zu quälen und gegebenenfalls den Weg zum Arbeitsplatz auf sich nehmen zu müssen, könnten die Leistungsempfänger mit nur geringen Einbußen auf der faulen Haut liegen.

    Aber: Wie nah ist dieser Kritikpunkt wirklich an der Wahrheit? Ein Faktencheck soll die Antwort liefern.

    Bürgergeld: Wie hoch ist der Regelsatz?

    Wie die Übersicht des Arbeitsministeriums von Hubertus Heil (SPD) aufzeigt, beträgt der Regelsatz für Alleinstehende oder Alleinerziehende ebenso wie für Volljährige mit minderjährigen Partnern 502 Euro. Der letzte Hartz-IV-Regelsatz aus dem Jahr 2022 betrug laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 449 Euro. Im Vergleich dazu gab es beim Bürgergeld ein Plus von 53 Euro oder 11,8 Prozent. Bei volljährigen Partnern gab es einen Sprung von 404 auf 451 Euro – hier ging es um 47 Euro oder 11,6 Prozent hoch.

    Weitere Volljährige ohne eigenen Haushalt, die nicht Partner und höchstens 24 Jahre alt sind sowie Personen zwischen 15 und 24 Jahren, die ohne Zusicherung des Jobcenters umziehen, bekommt statt 360 nun auf 402 Euro. Das ist eine Erhöhung um 42 Euro oder 11,7 Prozent. Für Minderjährige mit volljährigen Partnern und für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren beträgt der Bürgergeld-Regelsatz 420 Euro, nachdem es zuvor 376 Euro von Hartz IV gab – hier beträgt der Unterschied 44 Euro oder 11,7 Prozent.

    Kinder zwischen sechs und 13 Jahren haben Anspruch auf 348 Euro Bürgergeld statt 311 Euro zu Hartz-IV-Zeiten – dies sind 37 Euro oder 11,9 Prozent mehr. Für Kinder unter sechs Jahren gibt es 318 statt 285 Euro, also 33 Euro oder 11,6 Prozent mehr.

    Bürgergeld vs. Arbeit: Wie hoch fallen jeweils die Einnahmen aus?

    Es ist schwierig, die Modelle miteinander zu vergleichen. Denn es gibt viele Unwägbarkeiten. So kann das Bürgergeld, das erst beantragt werden muss – etwa online –, noch durch Mehrbedarfe wie für Unterkunft und Heizung, für Ernährung oder für Schwangere steigen. Außerdem können Leistungen zu Bildung und Teilhabe für Personen bis zum Alter von 25 Jahren abgerufen werden, wie Bürgergeld – Verein für soziales Leben schreibt.

    Auf der anderen Seite beträgt der gesetzliche Mindestlohn im Jahr 2023 zwar zwölf Euro pro Stunde. Wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) informiert, greift dieser allerdings etwa für Auszubildende oder Langzeitarbeitslose, die seit weniger als einem halben Jahr einer Tätigkeit nachgehen, nicht.

    Für Arbeitnehmer stellt sich zudem die Frage, wie sie zum Arbeitsort kommen – solange sie nicht im Home Office beschäftigt sind. So braucht es etwa ein – in manchen Fällen auch vom Arbeitgeber bezahltes – ÖPNV-Ticket oder ein eigenes Fahrzeug muss genutzt werden, wenn die Strecke zu Fuß oder mit dem Rad nicht bewältigt werden kann. Auch das ist mit Zusatzkosten verbunden, ebenso wie weitere Versicherungen – etwa die Berufsunfähigkeitsversicherung.

    Neben den reinen Zahlen darf nicht außer Acht gelassen werden, was einem Bürger die zusätzliche Freizeit wert ist, die ein Arbeitsloser im Vergleich zu einem Beschäftigten hat. Dieser Punkt lässt sich nicht objektiv in Euro bemessen, was einen Vergleich zusätzlich verkompliziert.

    Dennoch zeigte der DGB noch vor Einführung des Bürgergelds anhand von vier Beispiel-Rechnungen auf, dass ein Arbeitnehmer finanziell deutlich besser wegkommt als ein Leistungsbezieher. So habe ein alleinstehender Arbeitnehmer, der 38 Stunden pro Woche zum Mindestlohn beschäftigt ist, ein verfügbares Einkommen von 1583 Euro (1527 Euro Netto-Gehalt plus 56 Euro Wohngeld), dagegen stehe ein Bürgergeld-Bezieher bei 913 Euro (502 Euro Regelsatz plus 411 Euro Warmmiete). Der Unterschied beträgt 670 Euro, der Arbeitnehmer verfügt über 73,4 Prozent mehr Einkommen.

    Im zweiten Beispiel geht es um eine Familie mit einem zwölf- und einem achtjährigen Kind, ein Elternteil arbeitet in einer 38-Stunden-Woche zum Mindestlohn. Hier käme der Arbeitnehmer auf ein verfügbares Einkommen von 3206 Euro (1578 Euro Netto-Gehalt plus 500 Euro Kindergeld plus 500 Euro Kinderzuschlag plus 628 Euro Wohngeld), würde die Familie vom Bürgergeld leben, stünden ihr 2368 Euro (1598 Euro Regelsatz plus 770 Euro Warmmiete) zur Verfügung. Hier beträgt das Plus für die Familie mit arbeitendem Elternteil bei 838 Euro oder 35,4 Prozent.

    Beispiel drei handelt von einer Familie, zu der ebenfalls ein zwölf- und ein achtjähriges Kind gehören, diesmal arbeiten beide Elternteile in Teilzeit – also 28,5 Stunden in der Woche – zum Mindestlohn. Das verfügbare Einkommen beträgt laut DGB in diesem Fall 3620 Euro (2382 Euro Netto-Gehalt plus 500 Euro Kindergeld plus 271 Euro Kinderzuschlag plus 467 Euro Wohngeld), während die auf das Bürgergeld angewiesene Familie wieder von 2368 Euro leben müsste. Der Unterschied ist also diesmal vierstellig: 1252 Euro, was 52,9 Prozent des verfügbaren Einkommens einer vom Staat unterstützten Familie entspricht.

    Schließlich gibt es noch den Vergleich einer alleinerziehenden Person mit zwölfjährigem Kind, auch hier wird in Teilzeit zum Mindestlohn gearbeitet. So kämen 2124 Euro (1219 Euro Netto-Gehalt plus 250 Euro Kindergeld plus 250 Kinderzuschlag plus 405 Euro Wohngeld) zusammen. Dagegen stünden beim Bezug von Bürgergeld 1470 Euro (850 Euro Regelsatz plus 60 Euro Mehrbedarf plus 560 Euro Warmmiete) zur Verfügung. Macht 654 Euro mehr, das sind 44,5 Prozent des Einkommens bei staatlicher Unterstützung.

    Die Unterschiede wirken also auf den ersten Blick alles andere als gering. Demnach würde sich Arbeit also auch im Bürgergeld-Zeitalter lohnen – immer vorausgesetzt, der Bürger begnügt sich nicht schon mit sehr wenig in der Tasche und schätzt seine Freizeit mehr als ein mögliches Einkommen. Wie groß die Differenz des verfügbaren Einkommens letztlich tatsächlich ist, hängt aber sehr vom Einzelfall ab.

    Bürgergeld vs. Arbeit: Welche Effekte sind durch die Anhebung der Regelsätze zu erwarten?

    Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schreibt, dass Haushalte mit geringem Einkommen "vor allem durch das höhere Bürgergeld und die Wohngeldreform überproportional profitieren" dürften. Allerdings würden Simulationsrechnungen zeigen, "dass sich das höhere Bürgergeld im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen nicht negativ auf das Arbeitsangebot von Geringverdienern auswirkt".

    Die Rechnungen beziehen sich auf die verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung im dritten Entlastungspaket, wozu auch die Erhöhungen von Kindergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld zählen. Demnach werden die "Personen aus dem untersten Zehntel (Dezil) der Einkommensverteilung" am stärksten entlastet, hier wird eine "Steigerung des nominalen größengewichteten Einkommens von durchschnittlich 5,6 Prozent" berechnet. Zu dieser Gruppe zählen Personen, die über "ein durchschnittliches äquivalenzgewichtetes Haushaltseinkommen von ca. 790 Euro pro Monat" verfügen.

    In dieser Einkommensgruppe hängt der positive Einkommenseffekt demnach "zum größten Teil" mit der Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes zusammen. Es wird darauf verwiesen, dass von der Anhebung auf 502 Euro Erwerbstätige und Erwerbslose im Leistungsbezug gleichermaßen profitieren.

    Zwar dürfte laut IAB "eine Erhöhung der Regelbedarfe tatsächlich negative Auswirkungen auf das Arbeitsangebot im unteren Einkommensbereich haben". Die Experten betonen aber auch weitere Effekte, die zum Teil gegenläufig sind. Genannt werden Entlastungen für Geringverdienende außerhalb des Bürgergelds wie die Wohngeldreform oder die Erhöhung des Kinderzuschlags. Erwerbstätige im Leistungsbezug genießen zudem eine Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten.

    Wie eine zu Beginn des Jahres 2023 präsentierte Untersuchung mit dem IAB-Mikrosimulationsmodell aufzeigte, würde die Regelbedarfserhöhung beim Bürgergeld isoliert betrachtet "zu einem Rückgang des Arbeitsangebots von insgesamt knapp 150.000 in Vollzeit arbeitenden Personen (Vollzeitäquivalente) führen". Besonders groß ist dieser Effekt demnach in der zweiten Gruppe zu erwarten, in der das nominale größengewichtete Einkommen infolge der Entlastungsmaßnahmen insgesamt um durchschnittlich 5,4 Prozent steigt.

    Allerdings würde sich der negative Gesamteffekt über alle Einkommensgruppen hinweg auf 100.000 Vollzeitäquivalente verringern, wenn auch Preis- und Lohnsteigerungen berücksichtigt werden würden. In den ersten beiden Einkommensgruppen hat die Erhöhung des Mindestlohns hier einen besonders starken Effekt.

    Werden dann auch die zusätzlichen Maßnahmen des dritten Entlastungspakets mit eingerechnet, sollte die Änderung des Arbeitsangebots deutlich geringer ausfallen. Hier wird nur noch von 1000 Vollzeitäquivalenten gesprochen. Im Zusammenspiel mit Wohngeldreform und erhöhtem Kinderzuschlag sieht das Modell für die ersten beiden Einkommensgruppen sogar einen positiven Effekt auf das Arbeitsangebot. Unter Geringverdienern müsste das Entlastungspaket also die Nachfrage nach Arbeit erhöhen.

    Eingerechnet wurden zusätzlich auch gestiegene Heizkosten, die demnach doppelt so hoch ausfallen wie zuvor. Hier ist wiederum ein negativer Effekt auf das Arbeitsangebot zu erwarten, denn die zusätzlichen Kosten werden für Grundsicherungsbeziehende – unabhängig von den Entlastungspaketen der Bundesregierung – vollständig übernommen. 80.000 Vollzeitäquivalente müssten demnach dem Arbeitsmarkt verloren gehen, wobei die negativen Effekte alle Einkommensgruppen mit Ausnahme der niedrigsten betreffen.

    Keine Berücksichtigung fanden in den Berechnungen befristete Maßnahmen oder Einmalzahlungen. Das IAB betont, dass diese den negativen Auswirkungen der gestiegenen Heizkosten auf das Arbeitsangebot entgegenwirken könnten. Denn so müssten weniger Bürger Grundsicherung beantragen, um etwa die zusätzlichen Heizkosten finanzieren zu können.

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