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Britanniens Straßenkrise: Im Königreich könnten Schlaglöcher sogar eine Wahl beeinflusst haben

Verkehr

Großbritannien ist das Land der Schlaglöcher – zum Ärger von Rod Stewart

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    Schlaglöcher mit Blumen zu bepflanzen, hilft in Großbritannien auch nicht mehr – es sind einfach viel zu viele.
    Schlaglöcher mit Blumen zu bepflanzen, hilft in Großbritannien auch nicht mehr – es sind einfach viel zu viele. Foto: Sandra Wosky, dpa

    Vor zwei Jahren griff der britische Sänger Rod Stewart zum Spaten, um einem Problem zu Leibe zu rücken, das nicht nur ihn, sondern alle britischen Autofahrer zur Verzweiflung bringt. Da sich offenkundig niemand sonst die Mühe machte, die zahlreichen Schlaglöcher rund um sein Anwesen in der englischen Grafschaft Essex zu stopfen, schaufelte er – bekleidet mit einer leuchtend gelben Warnweste – sie einfach selbst zu. Inzwischen scheint er den Kampf aufgegeben zu haben. Ende November postete er einen verzweifelt klingenden Beitrag auf Instagram: Er sei dankbar, dass er fünf wunderschöne Hybrid-Sportwagen sein Eigen nenne, schrieb er. Doch leider müsse er wegen der vielen Schlaglöcher „nun vielleicht neue Besitzer für sie finden“. Luxus-Probleme, könnte man meinen.

    Doch tatsächlich ist das Problem weitverbreitet. Der Royal Automobile Club, ein Pannendienst-Anbieter, schätzt, dass es auf der Insel mehr als eine Million Schlaglöcher gibt, die zu hohen Schäden an Fahrzeugen und im schlimmsten Fall zu Unfällen führen können. 17 Prozent der Straßen seien in einem „schlechten“ Zustand, erklärt die Asphalt Industry Alliance (AIA), eine britische Organisation, die die Interessen der Asphalt- und Straßenbauindustrie vertritt. Die Kommunen verfügten schlicht „nicht über die Mittel“, um angemessene Instandhaltungsmaßnahmen zum richtigen Zeitpunkt durchzuführen. Inflationsbedingte Kostensteigerungen hätten das Problem noch verschärft. „Zusammen mit den Auswirkungen extremer Witterungsbedingungen, mit denen wir häufiger konfrontiert werden, sind die lokalen Straßen immer schneller am Ende ihrer Lebensdauer angelangt“, sagt AIA-Präsident Rick Green.

    Fast die Hälfte der Kleinbetriebe gab an, im vergangenen Jahr von Schlaglöchern beeinträchtigt worden zu sein

    Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich an Orten wie Beckenham im Süden Londons. Bewohner vergleichen einige Straßenzüge mit einem „Kriegsgebiet“, es hätten sich Schlaglöcher groß wie Teiche gebildet. An Autos entstünden hier regelmäßig Schäden in Höhe von Tausenden von Pfund, Krankenwagen sowie Lieferwagen kämen nicht mehr durch. Die schiere Größe der Löcher ließe in ihnen überdies die Angst aufkeimen, dass Kleinkinder darin ertrinken könnten. June Kirby, eine 80-jährige ehemalige Krankenpflegerin, meint: „Das ist Niemandsland. Niemand übernimmt die Verantwortung.” Ihr Auto sei in den letzten drei Jahren mehrmals beschädigt worden, klagt sie.

    Sänger Rod Stewart ist eines der bekanntesten Schlagloch-Opfer. In seinem Fall allerdings könnte man von einem Luxus-Problem sprechen.
    Sänger Rod Stewart ist eines der bekanntesten Schlagloch-Opfer. In seinem Fall allerdings könnte man von einem Luxus-Problem sprechen. Foto: Joe Giddens, dpa/PA Wire

    Das Problem hat auch massive Auswirkungen auf Firmen. Sie erleiden laut dem Verband der Kleinunternehmen (FSB) hohe finanzielle Einbußen. Einer Umfrage der Organisation zufolge gaben 47 Prozent der Kleinbetriebe an, im vergangenen Jahr von Schlaglöchern beeinträchtigt worden zu sein. Ein Unternehmer habe innerhalb von zwölf Monaten drei neue Reifen kaufen müssen, sagt Tina McKenzie, Vorsitzende des FSB. Eine andere Firma, die Pflegekräfte für Heime und Krankenhäuser bereitstellt, erhalte oft Anrufe von Mitarbeitern, die berichteten, dass sie wegen kaputter Straßen nicht zur Arbeit kommen könnten.

    Die Schlaglöcher gelten als Form staatlichen Versagens

    Dass sich das Problem womöglich auch auf die landesweiten Wahlen im vergangenen Juli ausgewirkt hat, legt eine Studie nahe: Bisher war vor allem die Rede davon, dass die rechte Partei Reform UK die Wut über die Einwanderung nutzte, um Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Die Beratungsfirma Stonehaven geht jedoch davon aus, dass auch schlechte Straßen dafür verantwortlich sein könnten, dass die Partei mehr als 14 Prozent der Stimmen erhielt. Der Grund: Am besten schnitt Reform UK in den Küstenstädten im Osten Englands ab, wo der unabhängigen Regulierungsbehörde Office for Road and Rail zufolge die mit Abstand marodesten Fahrbahnen des Landes zu finden sind. Die Schlagloch-Pisten – sie gelten als Form staatlichen Versagens.

    Es ist nun an der Labour-Partei, die die Wahlen im Sommer gewann, etwas zu ändern. Die neue Finanzministerin Rachel Reeves kündigte im ersten Haushalt der Regierung, der Anfang November veröffentlicht wurde, eine Reihe von Maßnahmen an: Dazu gehört eine Aufstockung der Mittel für die Straßeninstandhaltung um 500 Millionen Pfund (rund 600 Millionen Euro) für 2025. Ein Sprecher der Automobile Association bezeichnete dies als einen Schritt in die richtige Richtung. Er wies zudem darauf hin, dass ein Teil des Problems darin bestehe, „dass die meisten Straßeninstandhaltungsarbeiten in Großbritannien nicht von den lokalen Behörden selbst durchgeführt werden“. Beauftragte Firmen versuchten in erster Linie, die Kosten niedrig zu halten, und hätten keinen Anreiz, innovativ und vor allem nachhaltig zu arbeiten. Die Folge: Ein Schlagloch, einmal geflickt, breche schnell wieder auf.

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