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Bildung: Warum Jungen in der Schule schlechter sind als Mädchen

Bildung

Warum Jungen in der Schule schlechter sind als Mädchen

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    Jungen können ihre Fähigkeiten in der Schule und bei den Hausaufgaben nicht gut genug ausleben, sagt eine erfahrene Lehrerin.
    Jungen können ihre Fähigkeiten in der Schule und bei den Hausaufgaben nicht gut genug ausleben, sagt eine erfahrene Lehrerin. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolbild)

    In der Schule sind Jungen das schwache Geschlecht. Über ihre gesamte Schullaufbahn hinweg schneiden sie durchschnittlich schlechter ab als Mädchen – inzwischen sogar in Physik, Chemie, Biologie, lange hätte man gesagt: in typischen Jungsfächern. Bei der Einschulung geht es schon los: Der bayerische Bildungsbericht zeigt, dass Jungen im Schnitt später eingeschult werden als Mädchen. An Mittelschulen und Förderzentren sind sie überproportional und an der Realschule und dem Gymnasium unterdurchschnittlich oft vertreten. Dass Jungs nicht weniger intelligent sind als Mädchen, hat die Wissenschaft aber auch längst bewiesen.

    Mädchen entwickeln sich schneller als Jungen

    Diplompädagoge Reinhard Winter erforscht am Sozialwissenschaftlichen Institut in Tübingen seit fast 20 Jahren die Unterschiede der Geschlechter. „Die Intelligenz ist relativ gleich verteilt“, sagt der Wissenschaftler. Vielmehr sieht er körperliche und geistige Entwicklungsunterschiede als wichtigen Grund dafür, dass Jungs in der Schule durchschnittlich schlechtere Noten schreiben. „Mädchen entwickeln sich deutlich schneller als Jungen.“ Das fange schon im Kindergarten an. Selbst Eltern lassen sich unterbewusst davon beeinflussen. „Sie sprechen zu Jungen oft in kurzen Sätzen und mit weniger Wörtern.“ Den Nachteil, vor allem in der Sprachkompetenz, die für alle Fächer entscheidend ist, trügen Jungs dann „wie eine Hypothek durch ihre Bildungskarriere“. Und bis zur Pubertät seien Mädchen ihnen in ihrer Entwicklung durchschnittlich zwei Jahre voraus.

    Einen Vorsprung der Mädchen bestätigt auch das größte Schulzeugnis der Welt, die internationale Pisa-Studie. Sie testet Jugendliche im Alter von 15 Jahren – zum Beispiel auf ihre Lesekompetenz. Bei der letzten Analyse erzielten Mächen nach Angaben der Autoren in allen der fast 80 teilnehmenden Ländern beim Lesen „signifikant höhere“ Werte als ihre männlichen Schulkameraden. Gut jeder vierte Junge in Deutschland bewegt sich mit 15 Jahren beim Lesen auf dem Niveau eines Grundschülers. Die gute Nachricht: Gleichzeitig steigt auch der Anteil der Jungen, die auf Spitzenniveau lesen. In Mathematik erreichen Jungen zwar „signifikant“ häufiger die höchste Kompetenzstufe als Mädchen. Doch auch in diesem Bereich nähern sich die Leistungen einander an.

    Bildungsmythen in der Schule bröckeln

    Der Tübinger Diplompädagoge Winter sicht den Grund vor allem darin, dass ein eingeschliffener „Bildungsmythos“ langsam fällt. Dass Mädchen kein Mathe können, schlecht in Naturwissenschaften sind, dass ihnen eher das Sprachliche liege – diese Annahme war über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte in der Gesellschaft selbstverständlich. So selbstverständlich, dass sogar die Mädchen selbst das irgendwann glaubten. Initiativen wie der „Girls’ day“ an Universitäten und in Firmen wollen weibliche Jugendliche für mathematisch-naturwissenschaftliche Berufe begeistern. Das zeigt Winter zufolge langsam Wirkung. Er registriert einen Bewusstseinswandel: „Mädchen zweifeln immer weniger an ihren naturwissenschaftlichen Fähigkeiten.“

    Heidemarie Brosche ist Mutter von drei Jungs und pensionierte Mittelschullehrerin. Die Pädagogin aus Friedberg schrieb das Ratgeberbuch „Jungs-Mamas“. Sie legt Wert darauf, dass man Jungen wie Mädchen nicht alle über einen Kamm scheren kann. „Man darf eins nicht vergessen: Auch jeder Junge ist anders. Im Idealfall betrachtet der Lehrer jeden einzelnen Schüler mit seinen Bedürfnissen, was leichter klingt, als es ist.“ Sie sagt das aus Erfahrung – ist aber auch überzeugt, dass das System Schule eher Mädchen zugutekommt.

    Jungs können Stärken in der Schule schwer ausüben

    „In der Schule sind Sachen gefordert, die nicht gut zum Wesen vieler Jungs passen. Aufgaben, die man in Ruhe erledigen soll und die feinmotorisches Geschick erfordern, machen ihnen Probleme. Sitz’ still, mal’ nicht über den Rand: Mit solchen Aufforderungen tun Jungs sich in der Regel schwer.“ Diplompädagoge Winter kennt den Fachbegriff dafür: Jungs seinen „Bewegungslerner“, sagt er. Doch genau dieses bewegungs- und abwechslungsreiche Lernen kommt nach Ansicht der früheren Mittelschullehrerin Brosche zu kurz: Selbst in einem Fach wie Technik, das es etwa an Bayerns Mittelschulen gibt, komme es auf präzises Arbeiten und millimetergenaues Messen an. Ihre Stärken wie Kraft und grobmotorische Fähigkeiten könnten Jungen also auch da nicht ausüben.

    Brosche sieht vor allem die Lehrer in der Pflicht, „ein Stück Ungerechtigkeit im Schulsystem“ zu beseitigen. Ihr Tipp klingt einfach. „Unter normalen Lernbedingungen, die hoffentlich nach Corona wieder herrschen werden, sollten Lehrkräfte bewusst möglichst viele Elemente in ihren Unterricht einbauen, die über das Stillsitzen hinausgehen.“ Sie sollten immer „lebhafte, bewegungsfreudige junge Menschen vor Augen haben. Darüber würden sich mit Sicherheit auch Mädchen freuen“.

    Und Pädagoge Reinhard Winter hat einen Tipp für Eltern: Ein Großteil der Jungs träumt irgendwann davon, einmal Fußballprofi zu werden. „Man kann mit den Kindern überlegen: Warum braucht ein Fußballstar Sprache? Um Interviews zu führen. Warum braucht er Mathe? Für Vertragsverhandlungen.“ Das motiviere Jungs – und im Idealfall, wenn Geschlechterunterschiede erst einmal überall überwunden sind, vielleicht auch Mädchen.

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