Die Madonna steht in einer himmelblau gestrichenen Glastheke. Hinter ihr der leuchtende Bracciano-See. Auch die Marien-Statue ist in Hellblau gehalten. Vor ihr Dutzende Stühle und Bänke, am Rand sind Busse geparkt. Es ist der dritte Tag des Monats. Wundergläubige aus ganz Italien sind angereist, beten Rosenkranz, singen und warten auf das Wunder. Gisella Cardia steht ganz vorne, immer wieder spricht sie ins Mikrophon. Dann diktiert ihr die Madonna Sätze, die sie erst aufschreibt und dann an die Gläubigen weitergibt.
Es gibt Videos der wundersamen Szenen
Man kann sich diese wundersamen Szenen in Videos ansehen. Seit April 2023 interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft Civitavecchia für den Fall. Sie ermittelt gegen die Italienerin Gisella Cardia wegen Betrugs. Die 54-Jährige wird von ihren Anhängern als Seherin verehrt, ein Kult hat sich hier im Dorf Trevignano Romano, 50 Kilometer nördlich von Rom entfernt, gebildet. An jedem dritten Tag im Monat vergieße die Madonna blutige Tränen, behauptet Cardia. Seit Freitag steht offenbar fest: Die Seherin ist vielmehr eine Betrügerin. Einem Gutachten zufolge stammt das Blut von Cardia selbst.
Cardia heißt bürgerlich Maria Giuseppa Scarpulla, Gisella Cardia ist also so etwas wie ihr Künstlername. Seit 2016 behauptet die Frau, direkt Nachrichten von der Mutter Gottes und von Jesus Christus zu erhalten. Damals hatte Cardia eine Madonnenstatue im bosnischen Wallfahrtsort Medjugorje erworben, die in Italien dann die Wundererscheinungen wie blutige Tränen hervorgebracht haben soll. Schon damals gab es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, wegen „Missbrauch der Leichtgläubigkeit des Volkes“. Sie wurden allerdings eingestellt.
Viele hoffen auf eine Wunderheilung für sich oder Angehörige
Der Kult um Cardia entwickelte sich weiter, zahlreiche Anhänger, von denen viele auf Wunderheilungen für sich selbst oder Angehörige hofften, spendeten Geld. Ein Privatdetektiv zeigte die Frau schließlich wegen Betrugs an. Er behauptete, Cardia und ihr Ehemann Gianni Cardia hätten die Menschen bewusst in die Irre geführt. Bei den blutigen Tränen der Madonna handelte es sich eigentlich um Schweineblut. Das wird nun offenbar auch in dem Laborbericht angezweifelt, der an italienische Medien gelangte und bis 28. Februar den Ermittlungsakten beigefügt werden muss. Das DNA im Blut von der Statue stimme mit der DNA Gisella Cardias überein. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor zwei Marien-Statuen beschlagnahmt.
Laut Solange Marchignoli, Cardias Anwältin, stellt die DNA-Probe noch keinen Beweis dafür dar, dass es sich hier nicht um übernatürliche Erscheinungen handele. Cardia habe die Statuen „benutzt, geküsst, angefasst“, sagte sie. „Wer kennt die DNA der Madonna? Ich nicht“, fügte sie hinzu. Cardia behauptete früher auch, von der Mutter Gottes bereits vor Ausbruch der Pandemie über das Corona-Virus in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Unerklärlich war ihr nach eigenen Angaben, wie sich bei Begegnungen mehrfach Pizzateig wie bei einem Wunder vermehrt hätte. Sogar Stigmata an den eigenen Händen will Cardia gesehen haben. Die zuvor in Sizilien lebende Cardia war in der Vergangenheit bereits wegen betrügerischen Bankrotts ihrer Keramikfirma zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden.
Marienforscher, Theologen und der Vatikan sind sich einig
Der Vatikan hatte den Kult um Cardia im vergangenen Sommer verboten. Bereits im März hatte die für Trevignano zuständige Diözese Civita Castellana ein Verbot ausgesprochen. Zuvor hatten Theologen, Marien-Forscher, Psychologen und Kirchenrechtler das Phänomen untersucht und für nicht authentisch erklärt. Das Glaubensdikastierum folgte dieser Entscheidung und verfügte den Stopp jeglicher Feiern und des Kultes insgesamt. In der Folge erließ der Vatikan auch einen Regelkatalog, wie mit solchen Phänomenen künftig umzugehen sei.
Einerseits will die Kirche die sogenannte Volksfrömmigkeit nicht beschneiden. Andererseits kann sie einen Personenkult oder ein Eigenleben einer Gemeinde wie in Trevignano nicht dulden. Die Ortsbischöfe sollen, wenn sie entsprechende Bewegungen erkennen, deshalb rasch Bericht erstatten und handeln. Cardia muss nun mit einer Anklage rechnen. Wo sich ihrer Mandantin derzeit befinde, könne sie nicht sagen, erklärte Anwältin Marchignoli. „Ich weiß nur, dass sie von einem tiefen Glauben bewegt wird und nicht davon profitiert.“
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