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Ausmisten: Loslassen lernen: Eine Fachfrau hilft beim Entrümpeln

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Loslassen lernen: Eine Fachfrau hilft beim Entrümpeln

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    Bei Gabi Rimmeles Tauschmobil ist immer etwas los.
    Bei Gabi Rimmeles Tauschmobil ist immer etwas los. Foto: Anna Mohl

    Ein schwarz-weißes Mädchenkleid flattert an einem Bügel in der Julisonne. Noch hat es keinen neuen Besitzer gefunden, doch das könnte sich bald ändern. Auf dem Wochenmarkt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg verbirgt sich hinter den üblichen Ständen ein ganz besonderer: Bei Gabi Rimmeles „Tauschmobil“ können Interessierte jeden Samstag kostenlos Kleidung, Bücher oder andere Gegenstände mitnehmen und hinbringen.

    Und ewig währt der Kampf mit dem Kleiderschrank: Doch auszumisten, ist gar nicht so einfach.
    Und ewig währt der Kampf mit dem Kleiderschrank: Doch auszumisten, ist gar nicht so einfach. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Die Sache mit dem Entrümpeln ist gar nicht so einfach. „Das Problem ist, dass man oft denkt, man müsse alles auf einmal machen“, berichtet Rimmele. Wer ihren Rat suche, wolle meist schnelle Lösungen, erzählt die gelernte Sozialarbeiterin. Entrümpeln auf einen Schlag sei aber oft zu schwer. „Das Problem ist nicht, dass die Menschen nicht wissen, wo sie ihre Sachen hinbringen können, sondern, dass unsere Gefühle damit verbunden sind und wir viel mit Dingen assoziieren“, sagt die Entrümpelungsberaterin.

    Vor zwölf Jahren hatte sie die zündende Idee

    Seit vielen Jahren schon beschäftigt sich Rimmele mit dem Thema. Die fehlende Nachhaltigkeit in einer Gesellschaft, die materiell mehr hat, als sie braucht, war für sie damals der Grund, das Tauschmobil zu starten. Sie habe etwas ökologisch Sinnvolles machen, Ressourcen schonen wollen. „Wir haben alles doppelt und dreifach in den Schränken, oft ungenutzt. Gleichzeitig geben wir so viel Geld aus, um immer wieder Neues zu kaufen“, sagt die 52-Jährige. Sie habe damals, vor etwa zwölf Jahren, in Teilzeit in der Eingliederungshilfe für Autisten gearbeitet und Energie gehabt, mehr zu machen. „Irgendwas, was sinnvoll und überschaubar ist“, erinnert sie sich. Dann hatte sie den Einfall mit dem mobilen Tauschort und der Entrümpelungsberatung.

    Zuerst wurde im Transporter getauscht, später auf der Straße.
    Zuerst wurde im Transporter getauscht, später auf der Straße. Foto: Anna Mohl

    Mit Freunden rüstete Rimmele einen Transporter um und baute zu den vorhandenen Regalen noch Kleiderstangen ein. Quasi ein mobiler Laden, nur eben ohne Bezahlung. Das sorgte am Anfang für Verwirrung. „Es gab Leute, die es gar nicht fassen konnten und das schwer umzusetzen konnten – also zum Beispiel etwas mitzunehmen, ohne etwas gebracht zu haben“, erzählt die Expertin.

    „Da hätte ich anfangen können, zu weinen“

    Dann fand das Tauschmobil Anklang – so sehr, dass ihr das Projekt schon nach zwei Monaten über den Kopf wuchs. Rimmele erinnert sich an einen Samstag, an dem sie von säckeweise Kindersachen umringt war. „Da hätte ich anfangen können, zu weinen. Weil ich gar nicht mehr hinterhergekommen bin, das auszupacken.“ Doch aufgeben wollte Rimmele nicht, also sprach sie eine treue Besucherin an, ob die nicht mithelfen wolle. Andere kamen mit der Zeit dazu, das Team etablierte außerdem Regeln: Nicht mehr als eine mittelgroße Tasche bringen oder abholen, selbst sortieren. Keine kaputten Sachen, keine zu großen Sachen. In der Corona-Zeit wurde das Tauschen im Transporter schwierig, daher lagerten sie es auf die Straße aus.

    Heute ist der Andrang am Tauschmobil immer noch groß, seit einigen Jahren kommen mehr Obdachlose und Geflüchtete hierher, auch viele Ukrainer. Kinderklamotten sind besonders gefragt, ansonsten gibt es viele Damensachen, Schuhe und Bücher. Längst hat es sich für die Entrümpelungsberaterin zum Herzensprojekt entwickelt. „Es ist das Beste, was ich jemals gemacht habe“, berichtet sie mit einem Strahlen. Es sei ein sozialer Treffpunkt geworden, ganz unabsichtlich.

    Betroffene vereinsamen oft, weil sie sich schämen

    Rimmele hat mehrere Bücher zum Entrümpeln geschrieben. Und sie bietet Beratung in Form von Vorträgen, Workshops und Gesprächsabenden an. Dabei habe sie auch immer wieder mit Menschen zu tun, die die Kontrolle über ihren Besitz verloren hätten. Das führe zu Scham und Vereinsamung. Darüber zu sprechen, helfe vielen. „Zu sehen, dass andere das gleiche Problem haben.“

    Für die 52-Jährige ist das Tauschmobil ein echtes Herzensprojekt.
    Für die 52-Jährige ist das Tauschmobil ein echtes Herzensprojekt. Foto: Anna Mohl

    Menschen kämen oft auf sie zu, weil sie sich von äußerem Ballast befreien wollten, doch oft stecke mehr dahinter. Mit professioneller Hilfe können sie insgesamt mehr Leichtigkeit im Leben gewinnen und etwa besser mit missglückten Beziehungen, nicht erreichten Zielen oder selbst auferlegten Pflichten umgehen. Das Nicht-Loslassen-Können sei wie eine Art Skala, auf der das ganze Spektrum vorhanden sei – bis zu einer psychischen Erkrankung, die sich dann bei „Messis“ zeige. Das habe auch mit Sucht und Zwanghaftigkeit zu tun.

    In vieler Hinsicht lasse sich Loslassen erlernen. Es gehe oft darum, eine Routine zu entwickeln und in kleinen Schritten anzufangen. „Also vielleicht nicht mit Büchern oder Fotos, in denen viele Erinnerungen stecken, sondern im Badezimmer.“ Minimalismus müsse dabei nicht unbedingt das Ziel sein, sagt Rimmele. Die Vorstellung, dass es einem besser gehe, wenn man alles weggeben könne, stimme ohnehin nicht mit der Realität überein. Es gehe darum, ein eigenes, gutes Maß zu finden – und nicht darum, die Dinge für jemanden „wegzuzaubern“.

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