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Arbeitsmarkt: Deutsch für Anfänger: Türken pauken für ein besseres Leben

Arbeitsmarkt

Deutsch für Anfänger: Türken pauken für ein besseres Leben

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    Vor allem immer mehr junge Türken lernen Deutsch. Und die Zahl derer, die nach Deutschland auswandern möchten, ist deutlich gestiegen.
    Vor allem immer mehr junge Türken lernen Deutsch. Und die Zahl derer, die nach Deutschland auswandern möchten, ist deutlich gestiegen. Foto: Imago/Susanne Güsten

    Meryem schlägt das Heft auf und überfliegt ihre Notizen. Hinter der jungen Frau sind aus dem Fenster des Goethe-Instituts in Istanbul das Goldene Horn, die Hagia Sophia und die Blaue Moschee zu sehen, doch Meryem blickt nach vorne: auf die Zwischenprüfung in ihrem Deutschkurs heute und auf eine Zukunft in Deutschland. „Wie alle in diesem Raum will ich in

    Auf jeden Platz kommen drei Bewerber, die abgelehnt werden müssen

    Von morgens um acht Uhr bis um neun Uhr abends wird am Institut unterrichtet, und das sieben Tage die Woche, doch die Nachfrage nach Deutschkursen kann das nicht befriedigen. „Wir schätzen, dass auf jeden Platz in einem Kurs drei Bewerber kommen, die wir ablehnen müssen“, sagt Sabine Haupt, die Leiterin der Spracharbeit am Institut. Fünfmal im Jahr ist Einschreibung für neue Kurse, jeweils vormittags um elf Uhr. „Da sitzen die Leute dann tatsächlich vor der Tastatur, und es kommt wirklich darauf an, dass man möglichst schnell tippen kann“, erzählt sie. „Wir haben innerhalb von zwei Minuten eine volle Belegung.“

    Meryem will als Zahnärztin in Deutschland Fuß fassen. Sie spricht bereits fließend Deutsch – obwohl sie erst letztes Jahr begonnen hat.
    Meryem will als Zahnärztin in Deutschland Fuß fassen. Sie spricht bereits fließend Deutsch – obwohl sie erst letztes Jahr begonnen hat. Foto: Susanne Güsten

    Die türkische Arbeitsmigration prägt das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert. Das Thema dürfte auch eine wichtige Rolle spielen, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Montag in die

    Am Montag trifft Steinmeier den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, der spätestens seit dem Sieg der Opposition bei den Kommunalwahlen Ende März der aussichtsreichste Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist. Nach einem Besuch im türkischen Erdbebengebiet steht für den Mittwoch eine Begegnung mit Erdogan auf dem Programm. Zuletzt war Steinmeier kurz nach dem Putschversuch von 2016 als deutscher Außenminister in Ankara zu Gast. Damals hätten beide Seiten aneinander vorbeigeredet, erinnert sich der Parlamentsabgeordnete und ehemalige AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, der bei dem Treffen vor acht Jahren dabei war. Heute gebe es zwischen beiden Ländern eine „eher belastbare Grundlage, aber die beiderseitigen Erwartungen sind inzwischen auch sehr bescheiden. Es ist einfach zu viel kaputt“, sagte Yeneroglu. 

    Drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland

    Und doch verbindet Türken und Deutsche viel – schon allein, weil drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland leben. Doch heute braucht es hierzulande keine ausländischen Bau- und Bergarbeiter wie damals, als die Gastarbeiter kamen, sondern gut ausgebildete Fachkräfte für eine moderne Volkswirtschaft, die den Sprung ins digitale und klimaneutrale Zeitalter schaffen will. Die Türkei steht für viele deutsche Politiker und Unternehmer bisher nicht in der ersten Reihe der Länder, aus denen die dringend gebrauchten Ingenieure und Ärzte kommen könnten. Doch die Teilnehmer am Sprachkurs von Emine Karaca im Lehrzimmer Sechs im vierten Stock des Goethe-Instituts in der Istanbuler Innenstadt zeigen, dass Politik und Wirtschaft in Deutschland dringend ihr Türkei-Bild überdenken sollten.

    Zwar gebe es in der Türkei schon immer großes Interesse an Deutschland und eine entsprechende Nachfrage nach Sprachkursen, sagt Sabine Haupt. „Aber die Gruppe derjenigen, die nach Deutschland auswandern möchten, um dort zu arbeiten, die ist überproportional stark angestiegen im Vergleich zu den Vorjahren.“ Der Unterschied zu früheren Migrationsbewegungen sei die hohe Qualifikation der Kursteilnehmer – „sehr viele Ärzte, sehr viel Pflegepersonal, Leute, die ein Studium absolviert haben und die als qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland gehen möchten“.

    Sabine Haupt leitet die Spracharbeit am Goethe-Institut in Istanbul. Sie sagt: "Die Gruppe derjenigen, die nach Deutschland auswandern möchten, um dort zu arbeiten, die ist überproportional stark angestiegen im Vergleich zu den Vorjahren.“
    Sabine Haupt leitet die Spracharbeit am Goethe-Institut in Istanbul. Sie sagt: "Die Gruppe derjenigen, die nach Deutschland auswandern möchten, um dort zu arbeiten, die ist überproportional stark angestiegen im Vergleich zu den Vorjahren.“ Foto: Susanne Güsten

    Deutschlands Chance, diese jungen Leute für sich zu gewinnen, ergibt sich durch die Misere der Türkei. Eine seit Jahren anhaltende Wirtschaftskrise mit Währungsverfall, Kaufkraftschwund und steigender Arbeitslosigkeit treibt junge Türken aus dem Land. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wünschten sich im Jahr 2022 rund 63 Prozent der Türken im Alter von 18 bis 25 Jahren ein Leben im Ausland; das beliebteste Zielland war Deutschland.

    Die Zahl der Asylanträge aus der Türkei hat sich verdreifacht

    Bei der Wirtschaftslage in der Türkei bekomme sie kein vernünftiges Material mehr und müsse sich in ihrer Zahnarztpraxis mit chinesischer Billigware behelfen, erzählt Meryem; das mache das Ergebnis ihrer Arbeit schlechter. „Für mich als Zahnärztin wäre es toll, wenn ich mit deutschem Material und deutscher Technik arbeiten könnte.“

    Und: Immer mehr Türkinnen und Türken suchen als Flüchtlinge Schutz in Deutschland. Das registriert man auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Rund 329.000 Menschen haben in Deutschland 2023 einen Erstantrag auf Asyl gestellt – etwa 50 Prozent mehr als im Jahr davor. Die meisten

    Deutschlehrerin Emine Karaca lobt ihre Schüler: „Sie haben Ziele, sie sind motiviert.“
    Deutschlehrerin Emine Karaca lobt ihre Schüler: „Sie haben Ziele, sie sind motiviert.“ Foto: Susanne Güsten

    Der schleichende Demokratieabbau im Land und das autokratische System unter Präsident Recep Tayyip Erdogan sind einer der wichtigsten Gründe, warum so viele Menschen das Land verlassen. Die Zahl der Asylanträge nahm nach Angaben von Diplomaten nach dem Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im vorigen Mai merklich zu. Viele dürften noch die Wahlen im Mai abgewartet haben, bei denen die Opposition auf einen Sieg über Erdogan gehofft hatte, die Wende aber nicht schaffte.. Dabei gab es auch schon eine gegenläufige Bewegung: Auf dem Höhepunkt von Erdogans Reformpolitik nach der Jahrtausendwende und zu Beginn der 2010er-Jahre gingen mehr junge Türken aus Deutschland in die Türkei als umgekehrt.

    „Junge Leute in der Türkei wollen ein besseres Leben, inklusive besserer wirtschaftlicher Bedingungen und einem Leben in einer freieren Gesellschaft“, sagt die Soziologin Demet Lüküslü, die den neuen Trend bei der Migration für das Istanbul Policy Center untersucht hat. Zudem wollten junge Türken, dass ihr Land „zu einer ‚europäischen‘ Gesellschaft wird, die in die Europäische Union integriert ist, auch wenn sie einsehen, dass das schwierig sein wird“.

    Sabine Haupt kann das bestätigen. „Das ganze politische Ambiente ist natürlich ein weiterer Faktor für viele junge Leute, die an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ihres Landes interessiert sind und die dann tatsächlich überlegen, ob sie das Land verlassen sollen.“

    Ceylan möchte in Deutschland ihren Facharzt machen.
    Ceylan möchte in Deutschland ihren Facharzt machen. Foto: Susanne Güsten

    Dazu kommt Deutschlands Ruf als führende Wirtschaftskraft in Europa. Der 24-jährige Erim in der Klasse von Emine Karaca am Goethe-Institut lernt seit eineinhalb Jahren Deutsch; er ist Maschinenbauingenieur und will in Deutschland seinen Master machen. „Ich denke, dass Deutschland ein wunderbares Land für

    Ceylan sagt: "Es ist sehr schwer, eine Ärztin in der Türkei zu sein."

    Auch die 24-jährige Ceylan hat einen Platz im Intensivkurs für das Zertifikat ergattert, das Mediziner für die Beschäftigung in Deutschland brauchen. „Ich bin Ärztin und möchte in Deutschland meinen Facharzt machen“, sagt die junge Frau. Deutschland sei für sein hohes Niveau in der Medizin bekannt, und außerdem seien die Arbeitsbedingungen dort gut, sagt sie und zögert kurz. „Und es ist sehr schwer, eine Ärztin in der Türkei zu sein“, fügt sie dann hinzu. „Deswegen möchte ich nach Deutschland gehen.“

    Unter den Auswanderern sind viele Ärzte, die über schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Bezahlung klagen. Ärzte in der Türkei werden häufig von wütenden Angehörigen ihrer Patienten zusammengeschlagen, wenn eine Behandlung weniger gut läuft als erhofft. Im vergangenen Jahr beantragten rund 3000 Mediziner bei der türkischen Ärztekammer ein Führungszeugnis, um im Ausland zu arbeiten; das waren mehr als doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Vor zehn Jahren waren es nur 90 Anträge pro Jahr. „Sollen sie doch gehen“, kommentierte Präsident Erdogan zunächst die Meldungen über die hohe Zahl auswanderungswilliger Ärzte. Inzwischen versucht seine Regierung, türkische Mediziner aus dem Ausland zurückzuholen.

    Efe will in Deutschland Psychologie studieren.
    Efe will in Deutschland Psychologie studieren. Foto: Susanne Güsten

    Dazu wären viele Veränderungen in der Türkei nötig, auch bei den akademischen Standards. „Ich lerne Deutsch, weil ich in Deutschland studieren will“, erzählt der 22-jährige Efe in flüssigem und gut verständlichem Deutsch. „Ich habe recherchiert, dass die Universitäten dort sehr gut sind, besonders in Psychologie, zum Beispiel Heidelberg oder Osnabrück.“ Efe hat schon einen Abschluss in Psychologie von einer renommierten türkischen Universität, die auf Englisch unterrichtet. Für seinen Master will er sich auf klinische Psychologie spezialisieren, das sei auf Englisch nicht möglich – „also brauche ich sehr gute Deutschkenntnisse“. Freiburg hat er sich schon einmal angesehen, die Stadt hat ihm gut gefallen. „Ich hatte immer gehört, dass die Deutschen ein bisschen kalt sind, aber ich hatte die gegenteilige Erfahrung“, sagt er. „Sie waren sehr freundlich zu mir, sehr – wie sagt man? - sehr gastfreundlich.“

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