TV-Brutalität an Weihnachten hat in Deutschland Tradition. Küchenpsychologisch gedeutet, kommt ihr eine Ventilfunktion zu – mit Blick auf den Familienfrieden, den es zu wahren gilt. Oder dem Überdruss an zuckrigen Filmen wie „Sissi“. Also lässt man andere stellvertretend für einen selber um sich schlagen. Dank sei „Stirb langsam“, in dem Bruce Willis als New Yorker Polizist John McClane sich einen Gangster nach dem anderen vorknöpft. Oder „Rambo“ mit Sylvester Stallone als Vietnamkriegsveteran, der sich – genau – wenig zimperlich einen Gegner nach dem anderen vorknöpft.
Der Weihnachts-„Tatort“ gehört ebenfalls in diese Reihe. Auch wenn Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Göttingen weiß Gott nicht mit John McClane oder John J. Rambo vergleichbar ist. Am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten reist sie in der Folge „Alles kommt zurück“ nach Hamburg. Der Mann, den sie dort zu einem Blind Date im Hotel Atlantic treffen will, aber liegt erstochen im Bett, und sie ist tatverdächtig.
"Tatort" ist auf typisch deutsche „Tatort“-Weise skurril: Er will zu viel und scheitert
Und jetzt wird es leider auf typisch deutsche „Tatort“-Weise skurril – und nicht auf fantastisch-schwarzhumorige britische Art.
Wenig originell bekommt es Lindholm als Einzelkämpferin (siehe McClane und Rambo), der niemand Glauben schenkt, mit Udo-Lindenberg-Doppelgängern zu tun, und mit diesen kuriosen Figuren: Ermittler Ruben Delfgau, den Jens Harzer wie eine Mischung aus Gespenst und Anzug-Model spielt; Aggro-Ermittlerin Jana Zimmermann, die Anne Ratte-Polle derart überzeichnet, dass es wehtut; mit Detlev Buck, der in einer Nebenrolle einen grässlich gekleideten Puffbesitzer gibt; oder mit Kida Khodr Ramadan, der als Nebenrollen-Jimmy die Lindholm plump anmacht.
Das Problem dieses „Tatorts“, bei dem Buck auch Regie führte und den Furtwängler erstmals als Produzentin mitverantwortete, ist nicht seine Besetzung aus Gaststars. Sein Problem ist: Er ist nicht skurril und abgedreht genug, um zu funktionieren – unter anderem, weil Lindholm Lindholm bleibt (ernsthaft, Liebe suchend) in diesem Kuriositätenkabinett mit plattem Plot.
Udo Lindenberg freut sich über PR: Der "Tatort" schenkt ihm einen Musikvideoclip
Und weil auch dieser, zugegeben ungewöhnliche „Tatort“ – altes „Tatort“-Problem – sich nicht entscheidet und alles sein will: Gruselgeschichte, Psychothriller, Hotel- und Liebesfilm, Tragödie und Komödie. Daher gibt es völlig unmotivierte Reminiszenzen an Kubricks „The Shining“ (Hotelflur!) und einen schmalzigen Musikvideoclip, in dem der echte Lindenberg, der bekanntlich im Atlantic wohnt, vor Kaminfeuer musiziert – während Liebesszenen Lindholms und eine Alster-Schwan-Szene darüber gelegt werden. Das ist zwar irgendwie skurril, aber vor allem ärgerlich kitschig. Udo zumindest wird sich über die PR freuen.
Die Idee für „Alles kommt zurück“ ist nicht übel. Und in einer 30-Minuten-Fassung hätte sie vielleicht funktioniert. So jedoch ist alles mehr wirr denn witzig. Wie’s geht, macht die rabenschwarze britische Serie „Inside No. 9“ vor. Zu sehen in der Arte Mediathek. Und wer Action zum Abreagieren braucht, hat ja „Stirb langsam“ und „Rambo“.