Dass es nicht gut ausgehen wird, lassen die ersten Szenen von „Trotzdem“ erahnen (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr). Schwarz-weiß, unterlegt von Barry McGuires „Eve of Destruction“: Wir stehen hier, mitten in Nürnberg, also am Vorabend der Zerstörung. Des Weltuntergangs. Im neuen Franken-„Tatort“ ist die Welt vieler Menschen zerbrochen, nun versinkt sie in einer Gewalteruption, Tarantino-artig. Doch aufgebaut hat sich das (Selbst-)Zerstörerische über lange Jahre, es hat die Menschen zerfressen, am Ende finden sie kein Zurück. Selbst wenn sie versuchen, die Stopptaste zu drücken. Wie singt McGuire? „If the button is pushed, there‘s no runnin‘ away“. Wenn der Knopf gedrückt ist, gibt es kein Weglaufen, kein Entrinnen mehr.
Neuer „Tatort“ aus Nürnberg: „Wie viel Wahnsinn!“
Max Färberböck (Regie; mit Danny Rosness) macht aus dieser Verszeile einen ganzen „Tatort“, einen aus kalten Hochglanzbildern. Vor allem filmt er aus der Froschperspektive. Aus der Untersicht erscheinen die Figuren verzerrt, verstört, die Welt aus den Fugen. Häufig wackelt die Kamera, häufig zoomt sie nah an vom Leid erstarrte Gesichter. „Das ist alles nicht mehr zu tragen. Wie viel Wahnsinn – wie viel Wahnsinn in dieser Welt“, entfährt es einem hilflos wirkenden Polizeipräsidenten Dr. Kaiser (Stefan Merki). Dabei könnte die Welt eine völlig andere sein, abzulesen am Gesicht von Kommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs). Der strahlt seine Honigverkäuferin an wie ein Honigkuchenpferd und spricht auch so, wie man sich ein sprechendes Honigkuchenpferd vorstellt: über die Liebe, die am Ende den Himmel und das Leben zum Strahlen bringe.
Liebe führt, Krimifan-Grundwissen, oft jedoch in den Untergang. Wie die Liebe der Kranz-Schwestern zu ihrem Bruder. Sie glauben nicht, dass er seine Freundin erschlagen hat. Jetzt wird er erhängt in seiner Zelle gefunden. Dr. Kaiser glaubte ebenfalls nicht an Lennis Schuld und bittet Voss und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), sich nochmals alles anzusehen. Der Knopf ist gedrückt – und die Kranz-Schwestern stoßen den vermeintlich wahren Schuldigen am Tod der Freundin ihres Bruders vom Balkon. Und dessen Vater, ein unter seinen Möglichkeiten eingesetzter Fritz Karl, will sich an ihnen rächen. So ist dieser „Tatort“ weniger ein Krimi denn eine Tragödie, die Selbstzerstörung und Selbstjustiz ausbuchstabiert.
Und dann singt Paula Ringelhahn – und es wird ganz still
Färberböck lässt sich damit über eine Stunde Zeit, in der die einzige Dynamik davon kommt, dass die Kommissare im Auto fahren, im Auto telefonieren oder dass Autos und zur Abwechslung eine Straßenbahn vorbeifahren. Ein Tarantino hätte das todsicher anders gehandhabt. Wie nebenbei, was wenig glaubhaft ist, stellt Voss mit tränenfeuchten Augen fest, dass seine „geliebte Paula“ aus dem Dienst ausscheidet. Das wiederum muss man , der mit Stefan Betz auch das Drehbuch verantwortete, hoch anrechnen: Er hat Ringelhahn/Manzel einen würdevoll-leisen Abschied geschenkt. Vor ihren Kolleginnen und Kollegen als erstarrtem Publikum singt sie die ersten drei Strophen von Simon & Garfunkels „Sound of Silence: „Hello darkness, my old friend...“. Es wäre ein perfekter Schluss gewesen. Bloß: Es stellt sich leider keine Stille ein.
Und doch: Von diesem Team der leisen Töne hätte man sich weitere zehn Fälle gewünscht. Mindestens. Manzel verlässt den „Tatort“ unter anderem, um mehr Zeit für ihre Enkel zu haben. Still wird es um sie nicht werden. Auch nicht um Hinrichs. Der ermittelt ohne sie im elften Franken-„Tatort“, Drehtermin: Spätherbst in Nürnberg und Umgebung, Ausstrahlungstermin: 2025. Wer dann ins Team kommt, werde „in Ruhe entschieden“, erklärt der BR auf Anfrage.
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