Prince hat das Unmögliche versucht. Und er hat dafür wie jeder begnadete Tänzer ein wunderbares Bild geprägt. Bei Michael Jackson war es der „Moonwalk“, dieses Gleiten eines Außerirdischen – als könnte sich der Popstar den Gesetzen der Schwerkraft widersetzen, wohlgemerkt nur rückwärts gewandt. Ein Bestreben, das auch aus seinem Leben sprach, mit dem bekannten Sturz in die Tragödie. Die Bewegung des nun so plötzlich verstorbenen Prince Rogers Nelson war ein elegantes Fließen in den Spagat – und im gleichen Zug das Zurückfließen vom Boden in den Stand. Fast ebenso unbegreiflich für die Sinne des Betrachters, aber dabei richtungslos, schlicht so, als könnte der Popstar über seinen Körper und seine Blickhöhe frei verfügen.
Aber wie sollte das möglich sein? Souveränität als Künstler, wo doch gerade für den Popstar per Definition wesentlich die Popularität das Maß seiner Größe vorgibt?
Diese Bewegung von Prince jedenfalls lässt sich herauslesen aus all dem, was nach dem frühen Aufstieg dieses höchstbegabten, am 7. Juni 1958 als Sohn zweier Jazzmusiker aus Minneapolis geborenen Musikers passierte. Dieser Spagat setzte schon sehr schnell ein, nachdem er, mit 19 als Wunderkind entdeckt, die ersten Alben gleich für Top-Labels komplett selbstständig eingespielt, schließlich 1984 mit „Purple Rain“ in den Pop-Olymp aufgestiegen war. Ewig hätte er seinen Platz dort mit immer noch mehr Bombast-Balladen wie „Diamonds and Pearls“ und Funk-Peitschen wie natürlich „Kiss“, aber auch „Sexy MF“ und „Get Off“ dort schlicht besetzen können.
Prince, der Wüstling
Und wahrscheinlich hätte man diesem Multiinstrumentalisten und Komponisten, diesem Sänger und Entertainer selbst im prüden Amerika für immer auch verziehen, dass sich da ein Wüstling in den Texten immer wieder offenbarte. Da dies offenbar sogar die Zeugen Jehovas toleriert haben, bei denen er Mitglied war. 23 Positionen in einem One-Night-Stand? Ein Sexgott von 1,58 Metern thronte da inmitten jedes seiner aufwendig produzierten Videos und führte Regie über die Lüste aller anderen – während sich Michael Jackson nur kieksend und behandschuht in den Schritt griff. Aber selbst darin geradlinig zu sein, wäre zu viel verlangt gewesen vom Willkürherrscher namens Prince.
Es gibt sehr viele Geschichten, in denen sich sein Verhältnis zur Welt wie in jener fließenden Bewegung darstellt. Er war das öffentliche Popgenie auf der einen Seite, dem gehuldigt werden musste, der das Konzert wie Messen inszenierte und selbst wohl am meisten auf seine unermessliche Schöpfungskraft verwies, indem er gerne von jenem mythischen Privattresor erzählte, wo fertiges Songmaterial für hundert weitere Alben lagere. Und er war der Verächter der Popularität andererseits, der nie „König des Pop“ sein wollte und statt der ihm bereiteten, breiten Wege zu noch mehr Ruhm seine eigenen, eigenwilligen Pfade und Ideen vorzog.
Selbst mit den größten Stars des amerikanischen Show-Geschäfts wollte sich dieser Musiker nicht gemeinmachen, auch nicht für den besten Zweck. Als nämlich einst von Stevie Wonder bis Bruce Springsteen alle zusammenkamen, um für die Hungerhilfe „USA for Africa“ den Song „We Are the World“ aufzunehmen, blieb nur der eine fern, der die Strophe nach Michael Jackson singen sollte …
Prince war mehr Majestät als es Michael Jackson je war
Nicht nur damit war Prince mehr Majestät, als es Jacko je war. Gerade die im fließenden Spagat symbolisierte völlige Souveränität über seine eigenen Belange waren sein Antrieb. So verzichtete er, der zwischendurch ja auch noch Welt-Hits für andere komponierte, auf höchstdotierte Verträge mit Plattenfirmen, um sich so jeglichen Einspruch zu verbitten, und war folgerichtig der erste Superstar, der seine Musik selbstständig im Internet vertrieb. Und als ultimative Verweigerung der Branchengesetze darf bis heute wohl der Schritt gelten, die eigene, längst milliardenschwere Marke öffentlich abzulegen und damit ja auch den eigenen Namen: Prince, fortan bloß noch ein Symbol …
Es wurde viel über diese deutlich erfolgloseren Zeiten des Superstars geschrieben und gerätselt. Kritiker schüttelten die Köpfe über das einsetzende wilde Genrewandern von Prince, während der weithin gekrönte Michael „King of Pop“ Jackson längst nur noch zum Sänger und Interpreten geworden war, sein anfänglich strahlendes Könner-, wenn nicht Künstlertum wie zerrieben wirkte. Wie wunderbar eigenwillig nahm sich da doch die Majestät Prince aus – frei noch immer für das künstlerische Prinzip des Versuchens und Scheiterns. Gott seiner eigenen Musikwelt – und dabei natürlich auch eitel genug, der Welt das blanke Unverständnis für seine Genialität zu unterstellen.
Nun schien es in den vergangenen Jahren, als hätte sich die Geschichte der beiden Pop-Könige endgültig aufgelöst – traurig im Drama um den gekrönten Jacko und glücklich in der Wiederkehr von Prince durch einige ganz reguläre Platten unter seinem eigenen Namen, von der Kritik bejubelt und gut verkauft. Er ging wieder auf Tour, ihm wurde gehuldigt, und er machte, was er wollte. Und so hatte sich eine Kulturgeschichte an seinem Beispiel gerundet. Prince war erschienen, und mit dem Triumvirat aus ihm, Michael Jackson und Madonna setzte der Rummel um die Popstars zu neuen Höchstständen an. Als sich die Flucht aus diesem Hype in Neue Medien eröffnete, nahm er die Ausfahrt – bis der Hype dort losging und alle Freiheit durch Klick-Jadgen nivellierte. Und während seit Beginn des 21. Jahrhunderts die neuen Großstars zuschauen mussten, dass sie nicht nur mit Platten, sondern auch im Netz reüssierten, wandte sich Prince wieder dem Herkömmlichen zu und tourte zuletzt sogar ganz zahm am Piano.
Prince ist tot - Er wäre wohl in Würde gealtert
Man mochte fast meinen, ihm sei das Unmögliche gelungen: Prince sei mit der Öffentlichkeit versöhnt, die einfach froh ist, in ihm einen Künstler zu sehen, wie es ihn in der aktuellen Popwelt nicht von ungefähr kaum noch anzutreffen gibt. Wie viele Spagate waren das auf dem Weg hierhin wohl? So hätte man sich Prince noch 20 Jahre musizieren vorstellen können, das Kunststück also auch noch vollbracht habend, als Popstar in Würde zu altern. Wer hätte das je für Michael Jackson möglich gehalten? Oder für Madonna, die ohnehin längst nur noch Markenstempel für Massenware ist, ohne sich überhaupt noch persönlich einzubringen?
Doch das Happy End mit Prince fällt aus. Er ist tot. Und gestern wurden Gerüchte laut, dass er vor knapp eine Woche nicht wegen einer Erkältung, sondern wegen einer Überdosis an Opiaten behandelt worden sei. Bei der ungeplanten Zwischenlandung seines Privatflugzeugs auf dem Rückweg von einem Konzert sei dem 57-Jährigen im Krankenhaus deshalb eine Rettungsspritze gegeben worden …