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Wort des Jahres: Whistleblower - ein Wort macht Karriere

Wort des Jahres

Whistleblower - ein Wort macht Karriere

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    Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hatte bei seinem Treffen mit Edward Snowden in Moskau nach eigenen Angaben von diesem ein Schreiben an hohe deutsche Stellen erhalten.
    Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hatte bei seinem Treffen mit Edward Snowden in Moskau nach eigenen Angaben von diesem ein Schreiben an hohe deutsche Stellen erhalten. Foto: Hans-Christian Stroebele Office/ dpa

    Manchmal reicht ein Blick in den Duden, um zu erkennen, womit die Deutschen sich schwer tun. Neuer Eintrag aus diesem Sommer, 26. Auflage, Seite 1174: "Whistleblower - jemand, der Missstände an seinem Arbeitsplatz öffentlich macht." Durch die Enthüllungen des amerikanischen Ex-Geheimdienstlers Edward Snowden über seinen alten Arbeitgeber NSA machte der Begriff so richtig Karriere. Gut möglich, dass "Whistleblower" - nach Wutbürger, Stresstest und Rettungsroutine - am Freitag zum Wort des Jahres erklärt wird.

    Whistleblower das Wort des Jahres?

    Anderswo heißen sie Glockenläuter oder Alarmgeber. Daher ist es erstaunlich, dass es keinen deutschen Ausdruck für das Wort Whistleblower gibt. Informant oder Enthüller trifft die Sache nicht exakt. Hinweisgeber klingt zu bürokratisch. Denunziant, Nestbeschmutzer, Petze zu negativ. Anderswo in Europa ist man schon weiter: In Holland heißt der Whistleblower "klokkenluider", zu Deutsch "Glockenläuter", in Polen "sygnalista", was man im Deutschen mit "Signalist" wiedergeben kann. Die Schweden haben ihn als "visselblasare" sprachlich gleich eingemeindet.

    "In Deutschland haben wir keine entsprechende politische Kultur", sagt der Medien-Professor Johannes Ludwig aus Hamburg, Mitbegründer eines Whistleblower-Netzwerks. "Wir kennen den Denunzianten, der anderen schaden will und sich eigenen Vorteil erhofft. Der Whistleblower handelt dagegen im Interesse der Allgemeinheit und geht dabei selbst ein Risiko ein."

    Begriff kommt aus dem Englischen

    Der Begriff erklärt sich daraus, dass englische Polizisten früher auf der Verbrecherjagd in ihre Trillerpfeife, der "whistle", bliesen ("to blow"). Heutzutage kennt man das nur noch von Sportplätzen, wenn der Schiedsrichter einen Regelverstoß feststellt. In seiner aktuellen Bedeutung tauchte der Whistleblower erstmals in den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten auf - einer Zeit der großen Enthüllungen.

    Berühmte Vorgänger Snowdens waren der FBI-Agent Mark Felt alias "Deep Throat" in der Watergate-Affäre, die US-Präsident Richard Nixon 1974 zum Rücktritt zwang, oder der Wikileaks-Informant Bradley Manning. In Deutschland gibt es keine solch bekannten Namen. In Erinnerung ist allenfalls der Lkw-Fahrer Miroslaw Strecker aus Brandenburg, der vor einigen Jahren den entscheidenden Hinweis auf den Gammelfleisch-Skandal gab.

    Der Fall Snowden - Eine Chronologie

    Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden ist seit Wochen auf der Flucht. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der Affäre:

    5. Juni: Die britische Zeitung «The Guardian» berichtet, dass der Handynetzbetreiber Verizon dem US-Geheimdienst NSA auf der Grundlage eines geheimen Gerichtsurteils täglich Informationen zu allen Telefonanrufen innerhalb der USA sowie zwischen der USA und anderen Ländern übermitteln muss.

    6. Juni: Berichten der «Washington Post» und des «Guardian» zufolge dürfen die NSA und die Bundespolizei FBI auf Serverdaten der Internetkonzerne Google, Microsoft, Yahoo, Facebook, Apple, Youtube, Skype, AOL und PalTalk zugreifen. Das geheime Überwachungsprogramm wurde demnach 2007 eingeführt.

    7. Juni: US-Präsident Barack Obama spricht von einem notwendigen Kompromiss zwischen Privatsphäre und Sicherheit.

    9. Juni: Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der über Hawaii nach Hongkong geflohen war, gibt sich als Quelle der Enthüllungen zu erkennen. Drei Tage später beschuldigt er Washington, weltweit «hunderttausende Computer» zu überwachen.

    21. Juni: Die US-Regierung beschuldigt Snowden der Spionage, des Diebstahls und der illegalen Nutzung von Regierungseigentum. Washington verlangt von Hongkong die Auslieferung des IT-Experten.

    23. Juni: Snowden, gegen den inzwischen ein Haftbefehl vorliegt, reist nach Moskau. Sein Reisepass wurde von den US-Behörden ungültig gemacht. Der ecuadorianischen Regierung liegt nach eigenen Angaben ein Asylantrag Snowdens vor. Washington warnt Moskau und Peking vor diplomatischen Konsequenzen.

    25. Juni: Russlands Präsident Wladimir Putin bestätigt, dass sich der Ex-Geheimdienstmitarbeiter weiterhin im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhält.

    30. Juni: Auch die EU ist laut Berichten des Magazins «Der Spiegel» Opfer der NSA-Spionage geworden. Der Geheimdienst habe unter anderem die EU-Vertretung in Washington und New York abgehört. Frankreich und Deutschland verlangen Aufklärung von der US-Regierung. Obama verspricht, alle Informationen vorzulegen.

    1. Juli: Putin bietet Snowden ein Aufenthaltsrecht in Russland an, fordert aber, dass der Informant seine Aktivitäten gegen die USA einstellt. Nach Angaben der Plattform «Wikileaks» hat Snowden in zahlreichen Ländern, darunter Deutschland, um politisches Asyl ersucht.

    2. Juli: Mehrere Staaten lehnen Snowdens Asylantrag ab. Nach Ländern wie Deutschland, Österreich, Brasilien, Spanien und Polen erteilen ihm am Tag darauf auch Frankreich und Italien eine Absage.

    3. Juli: Der Fall Snowden führt zu weiteren diplomatischen Verwicklungen. Der bolivianische Präsident Evo Morales muss während eines Flugs von Moskau in seine Heimat einen 13-stündigen Zwangsstopp in Wien einlegen, nachdem ihm mehrere EU-Länder den Überflug verwehrt hatten. Hintergrund sind offenbar Gerüchte, dass sich Snowden an Bord der Maschine befand.

    5. Juli: Nicaragua, Venezuela und Bolivien erklären sich bereit, Snowden aufzunehmen.

    7. Juli: Snowden beschuldigt den Bundesnachrichtendienst in einem «Spiegel»-Interview, schon seit langem mit der NSA zusammenzuarbeiten.

    12. Juli: Snowden beantragt vorübergehendes Asyl in Russland, um anschließend nach Lateinamerika ausreisen zu können. Der russische Parlamentspräsident Sergej Naryschkin, ein Vertrauter Putins, spricht sich dafür aus, Snowden zumindest zeitlich begrenzt politisches Asyl zu gewähren.

    20. August: Die englische Regierung zwingt Redakteure des "Guardian", Material zur NSA-Affäre zu vernichten. Es seien mehrere Festplatten im Keller der Redaktion zerstört worden, berichtet "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger.

    27. Oktober 2013: Durch die Informationen von Edward Snowden kommt ans Licht, dass die USA das Handy der Bundeskanzlerin abgehört haben. Angeblich hat die NSA 35 Staatsführer weltweit belauscht.

    31. Oktober 2013: Der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele reist unter größter Geheimhaltung nach Moskau und trifft Edward Snowden.

    Ströbele bringt einen Brief Snowdens mit nach Deutschland: Darin bietet er an, in Deutschland auszusagen - erbittet im Gegenzug aber Asyl in der Bundesrepublik.

    Whistleblower sollten besser geschützt werden

    Inzwischen gibt es aber auch hierzulande eine Debatte, ob Whistleblower nicht besser geschützt werden müssen. Nach einer Studie der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International über die juristischen Regelungen liegt Deutschland im europaweiten Vergleich allenfalls im Mittelfeld. Nur Beamte haben einen guten Schutz vor arbeitsrechtlichen Folgen, wenn sie Missstände öffentlich machen. Sie dürfen sich an die Staatsanwaltschaft wenden.

    Geheimdienstler können immerhin das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags einschalten, Soldaten den Wehrbeauftragten. Für Tarifangestellte im öffentlichen Dienst und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft gibt es keine vergleichbaren Angebote. Wer den eigenen Arbeitgeber anschwärzt, riskiert die Kündigung - selbst, wenn sein Warnen aus gutem Grund geschieht. Der Arbeitsrechtler Alexander Bredereck sagt: "Das deutsche Arbeitsrecht mag den Whistleblower nicht."

    In anderen Ländern wie Irland, den Niederlanden und Dänemark sind nun Informantengesetze in Planung. Im Bundestag liegt die letzte Debatte darüber schon Jahre zurück. Im neuen Koalitionsvertrag von Union und SPD wird das Thema zumindest erwähnt. Dort heißt es einigermaßen unverbindlich: "Beim Hinweisgeberschutz prüfen wir, ob die internationalen Vorgaben hinreichend umgesetzt sind." Das Wort Whistleblower findet sich nicht. dpa/ az

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