Diese eine Frage mag Tanja Sommer nicht mehr hören. „Machen Sie Ihren Job gerne?“, fragt die 54-Jährige direkt zurück. „Ja? Genauso ist es bei mir.“ Sommer arbeitet als Prostituierte, seit bald elf Jahren. Früher sechs Tage die Woche, heute zwei. Sommer selbst bevorzugt die Bezeichnung Sexdienstleisterin. „Bei uns passiert nichts Außergewöhnliches“, betont sie. „Wie andere tun wir Menschen etwas Gutes.“ Eine Dienstleistung der besonders persönlichen Art eben.
So gerne Sommer ihren Job macht – etwas stört sie in Deutschland: die anhaltende Stigmatisierung. „Der Beruf ist anerkannt, aber das Stigma ist nicht abgeschafft“, sagt sie. Wer als Prostituierte arbeitet, müsse ein Doppelleben führen. Andernfalls werde man gesellschaftlich ausgegrenzt, habe schlechtere Chancen: auf dem Arbeitsmarkt, im Privatleben, bei der Suche nach einer Wohnung.
Sommer selbst hat damit Erfahrungen gemacht. Als ein Unbekannter sie, die eigentlich gar nicht Tanja Sommer heißt, namentlich outete, verlor sie ihren Job. Heute weiß nur der enge Familienkreis, was die 54-Jährige beruflich macht. Ihr Friseur, ihr Bäcker kennen sie nur unter ihrem echten Namen. Woher sie stammt, will Sommer ebenfalls nicht in diesem Artikel lesen. Sie sei deutschlandweit tätig, sagt sie. Die Prostituierte hofft, dass die gesellschaftliche Ächtung ihres Berufs irgendwann endet. Dass das noch während ihrer aktiven Zeit geschieht, glaubt sie nicht.
Internationaler Hurentag: Berufsverband kritisiert Prostitutionsschutzgesetz
Ein realistisches Bild ihres Berufsstandes zeichnen, für die Rechte von Sexdienstleistern kämpfen: Das ist Sommer wichtig. Die 54-Jährige ist Vorstandsmitglied des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, setzt sich als solches dafür ein, dass Gesetze, die Prostituierte betreffen, von diesen mitgestaltet werden. „Bei uns ist es so, dass uns Außenstehende erklären, wie unser Job sein soll“, bemängelt Sommer. Ein Beispiel: das Prostitutionsschutzgesetz, das derzeit von der Großen Koalition diskutiert und vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen kritisch gesehen wird. Warum, soll es doch Menschen, die in der Branche arbeiten, helfen? Das geplante Gesetz gehe an der Realität vorbei, erläutert Sommer.
Etwa bei der Kondompflicht. „Sie können nicht etwas, das zwei Menschen im Einverständnis miteinander tun, verhindern“, betont Sommer. Nur weil Kondome vorgeschrieben seien, heiße das nicht, dass jeder sie automatisch nutzen würde. Die Prostituierte ist nach eigener Aussage absolut für die Verwendung von Kondomen.
Von der Art und Weise, wie eine Kondompflicht kontrolliert würde, hält sie allerdings wenig. Polizisten würden ohne zu klopfen in den Raum kommen und mit einer Taschenlampe auf die Körpermitte leuchten, beschreibt Sommer eine solche Kontrolle. Oder als Scheinkunden auftreten und Kolleginnen, die sich überreden ließen, bestrafen, ohne das es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Sommer hält Information für den geeigneteren Ansatz: „Es würde vielmehr etwas nutzen, wenn man über die Nutzung von Kondomen aufklärt.“
Prostituierte: Registrierungspflicht würde viele in die Illegalität treiben
Kritisch sieht die 54-Jährige zudem die Registrierungspflicht für Prostituierte, die mit dem Gesetz eingeführt werden soll. Eine Registrierungspflicht würde viele in die Illegalität treiben, erläutert sie. Gerade in kleineren Städten würden Sexdienstleisterinnen zögern, sich zu offenbaren. Denn inwiefern eine solche Information beim zuständigen Amt bleibe, sei unklar. „Da wird geschwätzt“, sagt Sommer. Sie befürchtet, dass Informationen nach außen dringen könnten, etwa wenn Mitarbeiter eines Amts ihre Freizeit zusammen verbrächten.
Zudem seien Prostituierte, auch jene, die den Beruf nur einmal ausprobieren wollten, durch eine Registrierungspflicht „für immer in dem Job festgemeißelt“. Sommer weiß, wovon sie spricht. Aufgrund früherer Kontrollen wisse die Polizei, dass sie als Prostituierte arbeitet. Bei Verkehrskontrollen etwa sei es bereits vorgekommen, dass ihr Polizisten nicht geglaubt hätten, dass sie ihren Sohn gerade in die Arbeit gefahren habe, erzählt sie. Das Verhalten sei ein anderes: „Das merkt man.“
Internationaler Hurentag: Vielerorts dürfen Prostituierte nicht arbeiten
Anstelle des geplanten Prostituiertenschutzgesetzes würde sich Sommer eine Entkriminalisierung der Branche wünschen. In München beispielsweise seien 97 Prozent des Stadtgebietes Sperrgebiet: Dort dürfen Prostituierte nicht arbeiten. Stattdessen würden sie sich dort ballen, wo Prostitution erlaubt sei.
Viel sinnvoller wäre es, wenn Sexdienstleisterinnen dezentral über die Stadt verteilt ihrer Arbeit nachgehen könnten, sagt Sommer. Ein Interesse, in der Nähe von Schulen oder Kindergärten zu arbeiten und möglicherweise erkannt zu werden, hätten diese eh nicht. Wenn es in größeren Häusern mit vielen Wohnungen und vielen Personen, die ein- und ausgehen, eine Bordellwohnung gäbe, fiele das nicht auf: „Da gibt es keinen Ärger, kein Geschrei.“
Um der Stigmatisierung entgegenzuwirken, würde sich Sommer zudem wünschen, dass Prostituierte in den Antidiskriminierungsparagraph aufgenommen werden - um etwa bei der Suche nach einer anderen Arbeitsstelle bessere Chancen zu haben. Zudem sollten Beratungsstellen ausgebaut werden und - das ist Sommer wichtig - Beratung durch jene erfolgen, die selbst Erfahrung in den Beruf haben, die wissen, wovon sie sprechen.
Ist ein Kunde respektlos, schickt sie ihn weg
Sommer selbst gehört nicht zu den Prostituierten, die aus ihrem Job aussteigen wollen. Zumal die Zahl derer deutlicher geringer sei, als immer wieder öffentlich vermittelt werde. Sexdienstleisterin sei vielleicht kein „normaler“ Beruf, sagt sie. Doch das seien Palliativmediziner, Rettungssanitäter oder Rennfahrer auch nicht.
Worauf kommt es Sommer selbst in ihrem Beruf an? Das Aussehen eines Kunden sei es nicht, sagt sie. Behandle ein Kunde sie allerdings respektlos, schicke sie ihn weg. Das komme jedoch nicht häufig vor: Sie erfahre als Sexdienstleisterin ihrer Ansicht nach mehr Wertschätzung als etwa Frauen auf Dating-Portalen wie Tinder, meint die 54-Jährige. Wenn ein Kunde mit einem Lächeln gehe, sei das ein gutes Gefühl. Dabei gehe es nicht nur um Sex: Bei ihr würden Kunden das erzählen, was sie zuhause nicht mehr erzählen könnten.
Eine Sache gibt es allerdings, die Sommer vielleicht ein wenig bereut: „Wenn ich könnte, hätte ich zehn Jahre früher angefangen“, sagt sie. „Ich hab in diesem Job meine Berufung gefunden.“