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Augsburg: Wie der Brexit den Artenschutz in Europa gefährdet

Augsburg

Wie der Brexit den Artenschutz in Europa gefährdet

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    Als Nashornkinder haben die Halbgeschwister Kibo (links) und Keeva zusammen auf dem Afrikapanorama gerangelt. Bald verlassen sie den Zoo.
    Als Nashornkinder haben die Halbgeschwister Kibo (links) und Keeva zusammen auf dem Afrikapanorama gerangelt. Bald verlassen sie den Zoo. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    Wenn Großbritannien Ende des Monats aus der EU austritt, sollten Keeva und Sanjai bereits in ihrer neuen Heimat angekommen sein. Die Nashorndame aus Augsburg und ihr männlicher Artgenosse aus Nürnberg werden bald auf die britische Insel gebracht. Der Transport ist aufwendig. Immerhin bringt ein Nashorn bis zu zwei Tonnen auf die Waage. Doch die Zeit drängt. Denn nach dem 29. März wird sich die Einfuhr der Tiere nach Großbritannien erheblich erschweren. Gesetze oder Richtlinien für den Tierimport aus der EU gibt es nach dem Brexit erst einmal nicht mehr. Die Folgen kann niemand so genau abschätzen. Klar ist jedoch: Sie sind enorm. Vor allem für britische Zoos.

    Keeva und Sanjai sollen zur Rettung der Nashörner beitragen

    Dass die beiden Nashörner überhaupt das Land verlassen müssen, hat mit dem Artenschutz zu tun, der im Falle der Zootiere über die Europäischen Erhaltungszuchtprogramme (EEP) koordiniert wird. Insgesamt gibt es solche Programme für mehr als 200 vom Aussterben bedrohte Tierarten. Sinn und Zweck ist es, die Aufzucht der Spezies in den Zoos europaweit zu koordinieren. Dazu wird jedes Tier in einem Zuchtbuch – mit Daten beispielsweise zu Besonderheiten im Verhalten oder Krankheiten – erfasst. Wenn die Tiere geschlechtsreif sind, wird ihnen ein Partner in einem anderen Zoo zugewiesen. Dadurch soll die genetische Vielfalt geschützt und Inzucht vermieden werden. Keeva und Sanjai sollen mit ihrer Reise also zur Rettung der Nashörner beitragen.

    Damit das auch funktioniert, werden die Tiere mitunter über sehr weite Strecken transportiert. Das Augsburger Nashorn Keeva wird beispielsweise nach Knowsley nahe Liverpool gebracht, der Nürnberger Bulle Sanjai ins schottische Edinburgh. Bisher ist ein solcher Transport aus rechtlicher Sicht relativ einfach. Durch Richtlinien der EU sind Zuständigkeiten geklärt, Zollbestimmungen für Zootransporte aufgehoben und Hygienekontrollen dank europaweiter Standards hinfällig. Wenn Großbritannien die EU jedoch verlässt, sind diese Richtlinien plötzlich außer Kraft. Volker Homes, Geschäftsführer des deutschen Verbandes der zoologischen Gärten, warnt: „Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt. Die Briten haben bisher nichts geregelt.“

    Zusammenarbeit mit britischen Zoos nach dem Brexit ist unklar

    Die Konsequenzen aus dieser Ungewissheit sind Homes zufolge schon jetzt spürbar: „Sämtliche Zoos in Europa, die noch Transporte mit den Briten abwickeln müssen, versuchen diese natürlich noch vor dem 29. März hinzubekommen.“ So ist es auch im Fall von Keeva und Sanjai. Dag Encke, Direktor des Tiergartens in Nürnberg, gibt sich zuversichtl ich: „Bisher sieht es so aus, als ob der Transport für Sanjai hinhauen würde“, sagt er. Die knapp 100 britischen Zoos, die sich laut Homes an den Erhaltungszuchtprogrammen beteiligen, scheiden wegen des Brexit im Übrigen nicht daraus aus. „Nur der Transport wird wesentlich schwieriger“, erklärt er.

    Anfangs, so seine Vermutung, werden wohl erst mal gar keine Tiere nach Großbritannien gebracht werden können. Homes und viele seiner Kollegen befürchten jedoch, dass sich die Transporte grundsätzlich um einiges verlängern werden, in beide Richtungen. Für die Tiere wäre das eine zusätzliche Belastung. Ob eine weitere Zusammenarbeit mit britischen Zoos überhaupt möglich ist und wie diese aussehen wird, könne er nicht abschätzen.

    Manche Tierarten könnte es in Großbritannien bald nicht mehr geben

    Sind die Erhaltungszuchtprogramme also in Gefahr? Homes gibt Entwarnung: „Wir haben in Europa genügend Zoos, das sollte auch ohne die Briten klappen.“ Auf der anderen Seite des Ärmelkanals ist die Lage jedoch nicht ganz so einfach. Schon seit Längerem warnen Zoobetreiber dort vor den Folgen eines ungeregelten Brexit. In der Zeitung The Guardian erklärte die Geschäftsführerin des britischen und irischen Zooverbandes, Kirsten Pullen, bereits 2017, dass der Brexit seltene Tierarten gefährde. Britische Zoos alleine können ihr zufolge nicht für die genetische Vielfalt sorgen, die für die Erhaltungszucht notwendig ist. Dafür seien es schlicht zu wenige. Besonders Tiere mit niedriger Lebenserwartung, wie verschiedene Nagerarten, seien deshalb bedroht. Pullen warnte damals: Manche Spezies könnte es in Großbritannien bald nicht mehr geben.

    Doch auch auf dem Festland ärgert man sich über die Entwicklungen. Dag Encke vom Nürnberger Tierpark sagt: „Das ist einfach ein riesiger Rückschritt, für die Programme, wie für die ganze Gesellschaft.“ Er ist sicher: „Mit dem Brexit verlieren wir die Grundlage für ein problemloses Zusammenarbeiten mit britischen Zoos.“ Davon sei nicht zuletzt auch die Wissenschaft betroffen. Denn auch Forschungsreisen und sonstige Kooperationen würden durch den Brexit schwieriger.

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