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100. Geburtstag: Wie Artur Brauner Deutschlands Film-König wurde

100. Geburtstag

Wie Artur Brauner Deutschlands Film-König wurde

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    Artur Brauner in seinem Wohnhaus in Berlin. Das Foto entstand kurz vor seinem 90. Geburtstag. Das Gemälde direkt hinter ihm zeigt seine Frau Maria in jungen Frauen.
    Artur Brauner in seinem Wohnhaus in Berlin. Das Foto entstand kurz vor seinem 90. Geburtstag. Das Gemälde direkt hinter ihm zeigt seine Frau Maria in jungen Frauen. Foto: Soeren Stache, dpa

    Berlin Als man Artur Brauner noch häufiger auf dem roten Teppich sah, war das ein Spektakel. Der Mann mit den riesigen Ohren, den ausgeprägten Augenbrauen und dem sorgsam gestutzten Menjou-Bärtchen war dann ziemlich lustig, mitunter auch streitlustig. Schillernd auf jeden Fall. „Atze“ – den Namen hatte ihm sein Freund Curd Jürgens verpasst – war ein berüchtigter Partylöwe, der seine Gäste auf Tischen tanzen ließ, pompöse Filmpremieren im Berliner Zoo-Palast feierte und selbst bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gegenüber dem Bundespräsidenten seine Scherze zu machen pflegte. Auffällig war aber auch, dass, wenn er einen begrüßte, der Handschlag jedes Mal sehr weich ausfiel.

    Ist das Sanftmut? Oder geht er vorsichtshalber zu jedem Deutschen, dessen Gesinnung er nicht kennt, auf Distanz? Brauner hat Augen, die schnell fixieren, alles wahrnehmen, alles aufsaugen. Gewinnt er aber einmal zu einem Gesprächspartner Vertrauen, kann er sehr herzlich sein.

    Seit 2017 ist alles anders. Da starb Maria Brauner, nach 71 Jahren an der Seite ihres Mannes, im Alter von 90 Jahren. Sie war alt, völlig überraschend kam der Tod nicht. Und doch war die Familie darauf nicht vorbereitet. Die große Wohltäterin der jüdischen Gemeinde, für die sich Maria Brauner mehr als 60 Jahre ehrenamtlich engagiert hatte, begleitete ihren Mann bis zuletzt zu Veranstaltungen.

    Artur Brauner mit seiner Ehefrau Maria im Jahr 2012 auf der Berlinale.
    Artur Brauner mit seiner Ehefrau Maria im Jahr 2012 auf der Berlinale. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Er, wichtigster Filmproduzent der deutschen Nachkriegsgeschichte, der mit seiner Firma CCC-Film hunderte Streifen drehte. Es geschah am hellichten Tag, Der Tiger von Eschnapur, Das indische Grabmal, Der brave Soldat Schwejk, Old Shatterhand, Der Schut, Durchs wilde Kurdistan – die Filmografie ist gigantisch. Und sie, die starke Frau hinter dem Film-König, fröhlich, mitteilsam, lebensklug und mit viel Einfluss.

    Tochter Alice führt heute die Firma von Artur Brauner

    Als sie starb, überkam ihn die große Leere. Seitdem meidet er die Berliner Gesellschaft, aus der er über Jahrzehnte seine Energie, seine Anerkennung gesogen hatte. „Sie hat mich jeden Moment meines Lebens glücklich gemacht“, sagt er. Deshalb gibt es heute, wenn Artur Brauner 100 Jahre alt wird, in seiner noblen Villa im Grunewald keine Feier. Immerhin, am 8. September soll zu Brauners Ehren im Zoo-Palast eine Gala stattfinden. Seine Tochter Alice Brauner, 52, sagt: „Mein Vater hat gute und schlechte Momente, aber er ist geistig völlig klar und streitet noch immer gern mit mir.“ Da geht es dann um sein Erbe, die Central Cinema Compagnie. Inzwischen hat Alice als Geschäftsführerin des CCC das Sagen auf dem Studiogelände.

    „Atze“ wurde 1918 als Abraham Brauner im polnischen Lódz geboren. Er war Sohn eines jüdischen Holzgroßhändlers. Als die Judenhatz der Nazis begann, wurden 49 seiner Verwandten ermordet. Er selbst hatte sich mit seinen Eltern und vier Geschwistern im damaligen Grenzgebiet zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion versteckt, bei Partisanen in der Nähe des Flusses San. „Zu zwölft in einer in die Erde gegrabenen Höhle“, erzählt er in seinen Memoiren. Lautes Sprechen war verboten, Feuer wurde nur bei starkem Nebel entzündet.

    Von seinem Überleben in der Nazi-Zeit gab Artur Brauner nie viel preis. Er kam 1946 in die Stadt der Mörder: Berlin. Er hatte einen Pappkarton, eine Idee, womöglich schon einen Plan – und ein Gelübde. Das hatte er sich selbst auferlegt. Im Sommer 1945 nahe der Autobahn von Lemberg, dem heutigen Lwiw, nach Kiew.

    Ein Bauer nahm ihn damals auf einem Strohwagen mit. Der Feldweg führte am Wald entlang. Plötzlich stoppte der Bauer sein Pferd. Hier dürfe man nicht hin, sagte er, etwas Schlimmes sei passiert. Brauner sprang vom Wagen und lief über einen von Autoreifen ausgefahrenen Weg. Die SS hatte in dem Wald kurz vor Kriegsende hunderte Juden erschossen. Danach flüchtete sie überhastet, das Massengrab wurde nicht mit Erde überdeckt.

    Auf der Spitze des Leichenberges lag ein Junge, etwa zwölf Jahre alt. „Er schaute mich mit offenen Augen an“, berichtete Brauner später. „Ich hatte das Gefühl, dass er mir sagte: ‚Du sollst uns nicht vergessen.‘“ Brauners Erschütterung wirkte lebenslang nach, sein Gelübde vergaß er nie: „Du musst alles, was möglich ist, unternehmen, um den Opfern des Nationalsozialismus ein Denkmal zu setzen.“

    Artur Brauner drehte einen der ersten deutschen Filme über den Holocaust

    Das erste Denkmal war „Morituri“ (Sterbende), einer der ersten deutschen Filme, die den Holocaust thematisierten. Brauner drehte ihn 1947 in einem Wald nördlich von Berlin unter aberwitzigen Umständen. Er bestach sowjetische Soldaten mit Wodka und aus dem Westsektor herausgeschmuggelten Lebensmitteln, als Statisten zu agieren. Schreckschusswaffen gab es nicht, die Rotarmisten schossen mit scharfer Munition.

    Für den Film hatte sich Brauner Geld erbettelt, unter anderem von seiner Schwiegermutter. Die Premiere fand in Hamburg statt, die Menschen im Saal verfolgten ungläubig das Geschehen auf der Leinwand. Der Film wurde danach regelrecht boykottiert. Es war auch Brauners eigene Geschichte.

    Auf dem roten Teppich fühlte er sich bis vor Kurzem wohl: Artur Brauner 1974 mit der späteren Moderatorin Petra Schürmann.
    Auf dem roten Teppich fühlte er sich bis vor Kurzem wohl: Artur Brauner 1974 mit der späteren Moderatorin Petra Schürmann. Foto: Georg Göbel, dpa

    In seiner Not verfilmte er das Lustspiel „Herzkönig“ mit Hans Nielsen und Sonja Ziemann. Das füllte die Kinosäle. Dennoch brauchte er Jahre, um seine Schulden abzustottern. Und was den Holocaust betraf, kam er zu der Erkenntnis: Die Leute wollen nicht wissen, was war. Sie wollen es nicht im Ganzen erfassen. Sie wollen lachen und vergessen.

    Erst kürzlich hat er seiner Enkelin Laura, die eine von ihm gefertigte Familienchronik las, erzählt: „Wärst du damals in einem Raum von 100 Personen gewesen, so wären 90 davon fähig gewesen, einen Juden umzubringen.“ Die Judenvernichtung in der NS-Zeit ist Artur Brauners Lebensthema. Nach dem Krieg, sagt er, habe er noch gedacht, Juden würden auf Händen getragen. „Ich war naiv“, gibt er zu.

    Aber auch konsequent. Er, der alle Stars der fünfziger und sechziger Jahre, von Heinz Rühmann bis O. W. Fischer, nach Berlin holte, sagte anderen Stars ab. Denen, die einst auf der „falschen Seite“ standen. Marika Rökk beispielsweise schrieb er: „Ich werde nie mit Ihnen drehen, denn Sie haben 1937 Hitler schriftlich zu seinem Geburtstag gratuliert.“

    Oder Hildegard Knef. Sie war die Geliebte von Ewald von Demandowsky, einem Nazi und Chef der Filmfunktionäre. Auch sie kam ihm nicht in seine Studios.

    Brauner hat 24 Filme über Opfer der NS-Diktatur produziert. Sie laufen ständig in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Er akzeptierte, dass die meisten keine Kinohits wurden, erfüllte dafür aber sein Gelöbnis. Mit Gram denkt er an den Film „Hitlerjunge Salomon“ (1990) zurück, der von der deutschen Auswahlkommission nicht für würdig befunden wurde, ins Rennen um den Oscar zu gehen. Das empfand er als Beleidigung. Einen Triumph gab es trotzdem: Der Film lief weltweit erfolgreich, 1992 erhielt er den Golden Globe. Brauner hatte erkannt, „dass Filme dem Publikum, nicht den Filmschaffenden gehören“.

    In 75 Jahren hat Artur Brauner hunderte Produktionen in seiner CCC realisiert. Schlagerfilme mit Peter Alexander und Caterina Valente, Edgar-Wallace-Verfilmungen, „Kudamm 59“ für das deutsche Fernsehen, derzeit die Netflix-Serie „Dark“, oder der Film „Crescendo“, der demnächst ins Kino kommt, inspiriert von Daniel Barenboims West-Eastern Diva Orchestra, das zu gleichen Teilen aus Israelis und Arabern besteht. Bei „Konsumfilmen“, wie er sie selber nennt, war er in sämtlichen Genres zugange. Sie hießen „Das Mädel aus der Konfektion“ oder „Liebe, Tanz und 1000 Schlager“. Fast alle waren Kinohits, sie machten ihn zum wichtigsten deutschen Nachkriegs-Filmproduzenten.

    Eines der jüngsten Fotos von Artur Brauner. Es zeigt ihn im vergangenen Februar unter anderem an der Seite seiner Tochter Alice (rechts).
    Eines der jüngsten Fotos von Artur Brauner. Es zeigt ihn im vergangenen Februar unter anderem an der Seite seiner Tochter Alice (rechts). Foto: Ralf Hirschberger, dpa

    Zu seinem Geburtstag hat er jede Menge Würdigungen erhalten. Aber es gibt auch, gemessen an der Wucht seines Lebenswerks, verblüffende Aussagen. Fragt man etwa den Filmemacher und Grimme-Preisträger Volker Heise, 56, wie er das Schaffen von Artur Brauner einschätzt, kommt die Antwort: „Ich kenne ihn so gut wie gar nicht. Er ist zwar eine Legende des deutschen Films, aber auch ihr Gespenst. Ich weiß schon, dass er einige gute Filme gemacht hat, aber ich habe keinen einzigen davon gesehen.“ Heise ist durch die Living-History-Serie „Schwarzwaldhaus 1902“ und das Mammutprojekt „24h Berlin“, das 2014 einen ganzen Tag in der ARD lief, bekannt geworden.

    In Berlin ist Artur Brauner beliebt - und gleichzeitig umstritten

    Brauner selbst sagt: „Ich habe alles auserzählt.“ Er fühle sich in den Ruhestand versetzt. Aber wenn ihm heute noch eine gute Idee käme, würde er morgen versuchen, sie umzusetzen. Noch immer hängt er an einem Projekt, das ihm versagt geblieben ist. Brauner wollte das Leben des deutschen Industriellen Oskar Schindler verfilmen, der mehr als tausend Juden vor der Gaskammer bewahrte. Die Kulissen hatte er schon bauen lassen, aber die deutsche Filmförderungsgesellschaft lehnte eine Unterstützung ab. Steven Spielberg übernahm, die Deutschen waren raus. Der Film erhielt sieben Oscars.

    In Berlin ist „Atze“ Brauner beliebt und gleichzeitig umstritten. Er hat schon früh Häuser gekauft, dann ganze Straßenzüge im Westen der Stadt. Dabei hatte er nicht immer ein glückliches Händchen. 59 Immobilien musste er 2007 verkaufen, um Schulden zu tilgen; sie wurden zwangsversteigert. Die Banken, schimpft der Greis, hätten ihn reingelegt. Vor Jahren wollte er eine „Vereinigung zur Bekämpfung der Heuschreckenplage“ gründen. Das ließ er dann doch.

    Lieber genoss er die angenehmen Seiten des Lebens. Zum Beispiel schöne Frauen zu betrachten. Seine Frau Maria nahm das locker. „So ein Flirt ist gut für seinen Blutdruck“, sagte sie. Dass er in 100 Jahren keinen Tag Urlaub gemacht haben will, ist dagegen kaum glaubhaft. Auch wenn er mit der Tochter, wie es heißt, fast täglich leidenschaftlich über Drehbücher diskutiert. Brauners Argument klingt schlüssig: „Sobald ich nicht mehr bin, kann ich aufhören zu arbeiten.“

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