Jack Sim ist eigentlich jemand, der in Interviews gerne kichert und Witze reißt. Mit Humor treibt der 63-Jährige seit über 20 Jahren den Bau neuer Toiletten voran, klärt über die Bedeutung von Sanitäranlagen und Hygienestandards auf, nennt sich selber "Mister Toilet". Aber in diesen Tagen kichert der Gründer der Welt-Toilettenorganisation weniger. Ans Ende seiner Sätze setzt er statt eines "hihi" immer wieder ein "korrekt?" – allerdings nicht, um die Aussage zu hinterfragen, sondern um sie rhetorisch zu verstärken.
Corona-Pandemie: Weltweites Bewusstsein für Hygiene war noch nie so groß
Seine Botschaft, seine Mission sind schlagartig noch wichtiger geworden. "Hygiene ist eine Verteidigungslinie der Menschheit", sagt Jack Sim. Toiletten und Sanitäranlagen sind nicht länger nur ein effektives Mittel im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Typhus, Cholera und andere Durchfallerkrankungen. Sie sind auch eine wirksame Waffe gegen die Verbreitung des Coronavirus. Die Welt habe aber nach wie vor eine Sanitärkrise, das sei in Corona-Zeiten besonders fatal, wie Jack Sim im Gespräch mit unserer Redaktion anlässlich des Welt-Toilettentags an diesem Donnerstag sagt. Er betont: "Die Pandemie ist auch eine Chance." Durch sie finde im großen Stil ein Umdenken statt.
"Das weltweite Bewusstsein für Hygiene war in der Geschichte noch nie so groß wie heute, korrekt?", sagt Jack Sim. Milliarden Menschen würden durch die Corona-Pandemie lernen oder daran erinnert, dass durch Händewaschen mit Seife ein gefährliches Virus entfernt werden kann. Staatschefs appellieren ans Volk, Hygieneregeln einzuhalten – sogar in Ländern mit hohen Hygienestandards. Das Bewusstsein für Präventionsmaßnahmen steige, hat Jack Sim festgestellt. Das helfe ihm auch bei seiner Arbeit.
Als er am 19. November 2001 die Welt-Toilettenorganisation gegründet hatte, belachten ihn noch viele Menschen, auch in seiner Heimat Singapur. Seine Kinder wurden gehänselt, weil ihr Vater offen und viel über Fäkalien und Toiletten sprach. Inzwischen lacht niemand mehr. Jetzt hört man ihm zu. Jack Sim, der in einem Slum in Singapur aufwuchs und mit 40 als Geschäftsmann Self-Made-Millionär war, wurde vom Time-Magazin als einer der Umwelt-Helden 2008 gekürt, hat viele Staatsmänner und -frauen getroffen und das Thema Toiletten mit Humor aus der Schmuddelecke geholt.
Jack Sim sieht Covid-19 als Gesundheits- und Wirtschaftsproblem mit unvorhersehbaren Kosten
Dabei ist das Thema alles andere als lustig, wie weltweite Zahlen belegen. Jährlich sterben hunderttausende Menschen weltweit an Infektionskrankheiten, weil sie keinen Zugang zu Sanitäranlagen oder sauberem Wasser haben. "Covid-19 ist eine große Plage, aber wir müssen in diesen Tagen auch an diese verdeckte Pandemie erinnern, die besonders in armen Ländern grassiert", betont Jack Sim.
Zahlen und Fakten zum Welt-Toilettentag
Jedes Jahr sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 297.000 Kinder unter fünf Jahren (mehr als 800 pro Tag) an Magen-Darm-Erkrankungen, die sie sich aufgrund schlechter Hygiene, mangelnder Sanitäranlagen oder unsauberen Wassers zugezogen haben.
In fast der Hälfte aller Schulen weltweit haben die Kinder laut WHO und Unicef keine Möglichkeit, sich die Hände zu waschen.
4,2 Milliarden Menschen haben der WHO und Unicef zufolge keinen Zugang zu sauberen Toiletten - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Zwei Milliarden Menschen weltweit benutzen eine Trinkwasserquelle, die von Fäkalien kontaminiert ist.
Die Vereinten Nationen haben das Ziel formuliert, bis 2030 jedem Menschen einen Zugang zu sauberen und sicheren Sanitäranlagen zu ermöglichen, sodass sie nicht mehr ihre Notdurft in der Öffentlichkeit erledigen müssen.
Mehr Infos: worldtoilet.org. (lea)
Milliarden Menschen sind in seinen Augen gerade von zwei Pandemien bedroht. Sie hätten keine Sanitäranlagen, um sich zu schützen, keine Krankenhäuser, in denen ihnen bei einer Infektion geholfen werde, keine staatliche Absicherung, wenn sie ihre Jobs verlieren, und im Niedriglohnsektor auch keine Rücklagen. "Die Menschen hungern", sagt Jack Sim. Neulich habe er mit Freunden gesprochen, die für eine indische NGO arbeiten: "Sie waren verzweifelt, weil sie nicht alle mit Nahrung versorgen können", sagt Jack Sim.
Er sieht Covid-19 als ein Gesundheits- und ein Wirtschaftsproblem mit unvorhersehbaren Kosten. "Und wie teuer ist es, Erkrankungen vorzubeugen, indem man Sanitäranlagen baut und Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht?", fragt er und zitiert als Antwort sogleich eine Weltbank-Studie, wonach ein Dollar, der in Sanitäranlagen investiert werde, fünf Dollar an gesparten medizinischen Kosten und gesteigerter Produktivität einbringe. "Prävention ist immer besser und billiger, dennoch wurden Hygiene und Gesundheitspflege in vielen Ländern immer vernachlässigt", betont Jack Sim. Er habe das Gefühl, dass das nun auch in immer mehr Entscheiderköpfen ankomme.
König Willem-Alexander dankt Jack Sim für dessen Engagement
Nicht nur in Sachen Hygiene werde sich einiges tun, meint Jack Sim. Demnächst habe er ein Gespräch mit dem Industrie- und Handelsministerium in Singapur. In guten Zeiten seien sie dort an seinen Ideen, wie Arme in Beschäftigung gebracht werden können, nicht interessiert gewesen. Aber nun, da große Geschäftsbereiche Singapurs wegbrechen, wollen sie die Ideen aus seinem "Base of Pyramid Hub" hören. Er wird ihnen von vier Milliarden Menschen und deren möglicher Wirtschaftskraft erzählen, von Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit.
Einen hat Jack Sim mit seiner Arbeit schon seit langem überzeugt: König Willem-Alexander der Niederlande, ehemaliger Vorsitzender des UN-Beratergremiums für Wasser- und Sanitärversorgung, hat ihm zum 20. Geburtstag der Welt-Toilettenorganisation geschrieben und ihm für seine wichtige wie weitsichtige Arbeit gedankt. "Wir sind noch weit von unserem UN-Nachhaltigkeitsziel entfernt, allen Menschen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen und Hygiene zu ermöglichen. Ich hoffe und erwarte, dass die jüngsten Erfahrungen mit dem Coronavirus uns neue Impulse geben werden", schreibt der König der Niederlande.
Und er erzählt darin auch eine kleine Begebenheit aus dem Jahr 2008. Damals habe er in Südafrika 3000 Schulkindern nahe Pretoria die Wichtigkeit von Hygiene vermitteln wollen und festgestellt, dass Händewaschen für viele ein abstrakter Begriff gewesen sei. "Niemand hätte sich vorstellen können, dass wir nur elf Jahre später aus erster Hand erfahren würden, dass solch einfache Hygienemaßnahmen eine Frage von Leben und Toten auf der ganzen Welt sind." Korrekt!
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