Plötzlich outet sich ein Freund als Impfgegner, ein Verwandter spricht davon, dass es das Coronavirus nicht gebe und der Nachbar sagt, die Geschäfte hätten nur schließen müssen, weil böse Mächte der Wirtschaft schaden wollten. Das alles sind Verschwörungstheorien. Und sie finden durch die Corona-Pandemie gerade regen Zulauf. Viele Menschen sind deshalb damit konfrontiert, dass Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder solche Mythen teilen. Sie fragen sich: Wie kann reagieren? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht. Aber: Der Versuch lohnt sich.
Um jemanden zu helfen, wieder aus der Welt der Verschwörungsmythen aufzutauchen, lohne es sich, zunächst zu fragen: Warum glaubt die Person überhaupt an eine Verschwörung, sagt Andrea Kockler. Sie engagiert sich ehrenamtlich für den Verein "Der Goldene Aluhut", der versucht, Fake News und Verschwörungserzählungen zu entlarven, aufzuklären und Betroffene und deren Angehörige zu beraten.
Existenzangst kann ein Grund sein, an Verschwörungsmythen zu glauben
Vielen Menschen kommen laut Kockler mit Verschwörungstheorien in Kontakt, weil sie verunsichert sind oder sich über etwas ärgern. "Wenn ein Selbstständiger sagt, das Schließen der Geschäfte sei vollkommen unnötig gewesen, da stecke etwas Böses dahinter, lässt sich nachvollziehen, dass er Angst um seine Existenz hat", sagt Kockler. Existenzangst oder große Verunsicherung können demnach ein Grund sein, Verschwörungsmythen zu glauben. "In diesem Fall könnte man etwa gemeinsam nach Hilfsprogrammen suchen, um die finanziellen Sorgen zu schmälern", sagt Kockler. Viele Menschen, die jetzt verschwörungsideologische Inhalte teilen, seien noch nicht in die Welt hineingesogen worden, sondern stünden erst am Anfang. Deshalb sind sie noch für Argumente zugänglich, sagt sie. "Je eher man mit den Menschen darüber spricht, desto besser."
Ähnlich sieht es auch Klaudia Hartmann. Sie leitet die Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen im Bistum Augsburg. Normalerweise befasst sie sich mit Sekten, berät Angehörige von Sektenmitgliedern und Aussteiger. Doch auch das Thema Verschwörungstheorien ist ihr nicht fremd. Zusammen mit Bernd Hader von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften gibt sie regelmäßig Kurse an Schulen, um Schüler für das Thema Verschwörungstheorien zu sensibilisieren. Hartmann sagt: "Es ist ein Unterschied, ob jemand glaubt, eine Verschwörungstheorie sei wahr, oder ob er nur annimmt, sie könnte möglich sein." Letztere Personen könne man noch vom Gegenteil überzeugen. Bei Ersteren werde es immer schwerer.
Psychologe Raab: Fast jeder glaubt an irgendeine Verschwörung
Der Bamberger Psychologe Marius Raab befasst sich ebenfalls schon länger mit dem Thema Verschwörungstheorien. An der Universität Bamberg betreibt er das Forschungsprojekt "Verschwörung online". Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass praktisch jeder eine Verschwörungsheorie glaube - aber nur manche dieser Verschwörungstheorien seien bedenklich. Und warum halten Menschen solche Verschwörungen für plausibel? "Weil es ihnen hilft, sich wieder handlungsfähig zu fühlen." Wer denkt, er sei macht- und hilflos, bekommt laut Raab durch diese Ideologien das Gefühl, wieder etwas tun zu können - und sei es nur, Videos zu verbreiten, zu demonstrieren oder sich nicht impfen zu lassen.
Wie hilft dieses Wissen nun im Umgang mit Bekannten oder Freunden, die plötzlich an Verschwörungstheorien glauben? Alle drei Experten sind sich in einem Punkt einig: Wer wirklich helfen möchte, muss sein Gegenüber ernst nehmen - auch wenn er dessen Meinung nicht teilt. Belehren zu wollen, den anderen für irre zu erklären oder von oben herab zu behandeln, bringe nichts. Auf dieser Basis ein Gespräch zu führen, sei oftmals nicht einfach, sagt Kockler. "Aber es lohnt sich, das Gespräch zu suchen und Zweifel zu säen", sagt die Augsburgerin Klaudia Hartmann. Denn dann sei Zweifel da.
Umgang mit Verschwörungstheoretikern: Fragen stellen kann helfen
Wichtig bei einem solchen Gespräch sei es, selbst ruhig zu bleiben, sagt Kockler. Sobald man selbst oder das Gegenüber aggressiv oder wütend werde, sollte man die Unterhaltung abbrechen und auf einen ruhigen Moment verschieben, rät die Expertin. "Wichtig ist in so einem Moment auch, nicht die absolute Gegenposition zum Gegenüber einzunehmen", sagt der Bamberger Psychologe Marius Raab. "Wenn jemand etwa von einer Zwangsimpfung spricht und Impfgegner ist, kann ich sagen: Ich möchte auch nicht, dass ein ungetesteter Impfstoff an mir ausprobiert wird. Aber ist es denn wahrscheinlich, dass so etwas passiert?" Schon habe man eine Basis für ein Gespräch hergestellt. Eine Strategie für eine solche Unterhaltung sei es, Fragen zu stellen, sagen die Experten. Etwa:
- "Warum glaubst du das?"
- "Woher hast du diese Informationen?"
- "Wie vertrauenswürdig ist die Quelle?"
- "Was teilt die Quelle sonst noch für Inhalte?"
- "Für wie plausibel hältst du es, dass es eine so große Verschwörung gibt, an der Tausende Menschen beteiligt sein müssen und niemand auspackt?"
- "Warum sollte ausgerechnet ein Youtuber dahinterkommen?"
Verschwörungstheorien mit Faktenchecks entlarven
Wer wirklich eine inhaltliche Diskussion sucht, sollte sich selbst gut vorbereiten. Denn viele Verschwörungstheoretiker werfen mit angeblichen Fakten um sich, sodass es für einen unvorbereiteten Laien schwer ist, dagegen anzukommen. "Man kann auch mal gemeinsam recherchieren, was an solchen Fakten dran ist", sagt Kockler. Oder bei Videos gucken, ob es schon Faktenchecks gibt, die sich mit solchen Filmen auseinandersetzen. Die Internetseite Mimikama oder auch der ARD-Faktenfinder bieten gute Anhaltspunkte. Die Augsburger Sektenbeauftragte Klaudia Hartmann ergänzt: "Ich kann versuchen, demjenigen klar zu machen, dass es auch Gegenargumente gibt. Und dass er sich die doch mal anschauen soll." Denn jeder müsse Kritik aushalten können.
Ein weiterer Tipp von Andrea Kockler: Sich mit rhetorischen Stilmitteln vertraut zu machen, die Verschwörungstheoretiker gerne verwenden. "Ein solche Mittel ist es zum Beispiel in Gesprächen immer von einem Thema zum nächsten zu springen", sagt sie und gibt ein Beispiel: Wenn sie einen Impfgegner frage, was er denn genau gegen das Impfen habe, erlebe sie es oft, dass er das Thema wechsle, sobald er nicht mehr weiter weiß. "Dann wird auf einmal von Chips geredet, die allen implantiert werden sollen", sagt sie. "Ich erwidere dann: Nein, jetzt bleiben wir erst mal beim Thema Impfen." Das helfe, Verschwörungsmythen zu enttarnen.
Auch auf Facebook Faktenchecks posten - das hilft Mitlesern
Oft sind solche Diskussionen langwierig. Oft braucht es mehrere Gespräche. "Da ist es wichtig, auch selbst zu schauen, wo die eigene Belastungsgrenze liegt." Aber Kockler sagt auch: Es lohnt sich immer, das Gespräch zu suchen und sei es nur, um zu zeigen, nicht alle sind dieser Meinung, oder um Zweifel zu säen.
Das gelte auch im Umgang mit Fake News oder Verschwörungstheorien, die einem im Internet oder in sozialen Medien begegnen. Wenn sie dort auf jemanden stoße, der ein verschwörungsideologisches Video teilt, schreibe sie oft drunter: "Guckt dir doch mal die Quelle an, was die sonst noch so teilt", oder sie postet einen Fakten-Check zu dem Video darunter. "Ist jemand schon in dieser Weltanschauung gefangen, wird es ihn kaum noch überzeugen", sagt Kockler. "Aber es gibt auch viele Mitleser. Und in so einem Fall kommuniziert man eher mit denen."
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