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Interview: Virologe Hendrik Streeck über Corona: "Das Virus wird bleiben"

Interview

Virologe Hendrik Streeck über Corona: "Das Virus wird bleiben"

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    Professor Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn.
    Professor Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Hendrik Streeck ist noch etwas müde, er hatte einen Talkshow-Auftritt - mal wieder. Seit das Coronavirus Deutschland erreicht hat, ist der Virologe des Uniklinikums Bonn gefragt. Früh schon hat er sich auf die Fährte des Virus gemacht, als er begann, im Kreis Heinsberg zu forschen, einem der ersten Corona-Hotspots der Republik. Darüber hat er nun ein Buch geschrieben: "Hotspot. Leben mit dem neuen Coronavirus". Es liegt während des Gesprächs mit der Deutschen Presse-Agentur auf dem Schreibtisch seines Büros. Ein Interview über das Leben im Lockdown, die Aussicht auf den Sommer und Anfeindungen im Netz.

    Herr Streeck, Corona begleitet uns in Deutschland ziemlich genau ein Jahr. Haben Sie am Anfang gedacht, dass wir jetzt - also im Frühjahr 2021 - deutlich weiter sein werden in der Bekämpfung der Pandemie?

    Hendrik Streeck: In der ersten Pressekonferenz, auf der ich war, habe ich gesagt: Das Virus ist da, wir müssen lernen, mit ihm zu leben. Das Problem ist aber nach wie vor, dass wir es nicht schaffen, die Bevölkerung kommunikativ über die nächsten drei Wochen hinaus mitzunehmen. Momentan hangeln wir uns von Verordnung zu Verordnung. Mir fehlt ein Langzeitplan. Schleswig-Holstein hat nun einen Stufenplan vorgelegt, an dem man an Stellen noch drehen und andere Parameter reinnehmen kann. Aber per se finde ich das ausgezeichnet. Wenn man den Leuten sagt, was ab bestimmten Inzidenzen wieder möglich ist, gibt es eine Perspektive. Es gibt Zuversicht.

    Zugleich betonen Sie häufig, man dürfe die Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche - nicht als alleinigen Maßstab nehmen.

    Streeck: Und meine damit, dass man noch weitere Parameter reinnimmt. Natürlich sollte man die Inzidenz nicht über Bord werfen. Aber als Arzt interessiert mich vor allem, ob ein Patient krank wird. Deswegen ist es so wichtig, die stationäre und intensivmedizinische Belegung einzubeziehen. Die Zahl der Neuinfektionen wird nie zuverlässig vergleichbar sein, weil sie von der absoluten Zahl an Tests abhängt - und wir haben zwischendurch die Teststrategie geändert. Wir brauchen also weitere, stabile Parameter.

    Halten Sie denn die momentanen Maßnahmen, den Lockdown, für richtig?

    Streeck: Da wir nicht genug über das Infektionsgeschehen wissen, bleibt uns gar keine andere Möglichkeit. Das ist allerdings der Hammer, mit dem wir zuschlagen. Uns fehlen Daten, was man guten Gewissens öffnen kann - ob nun den Einzelhandel oder Restaurants. Dieses Wissen wird zur Zeit nicht generiert, es fehlt an Forschung. Die Wissenschaft könnte das leisten - aber nicht ein einzelnes Institut. Das müsste eine konzertante Aktion sein ohne Partikularinteressen. Die gibt es aber leider noch nicht.

    Eine Begründung für die weiterhin harten Maßnahmen ist die Angst vor den Mutationen des Virus, die zum Beispiel in Großbritannien aufgetreten sind und als ansteckender gelten. Ist das für Sie auch ein Argument?

    Streeck: In der momentanen Situation halte ich es für richtig, den Lockdown zu halten. Die Mutationen muss man genau ansehen, da sie ein Gefahrenpotenzial bedeuten können - aber heute sind sie dafür nur bedingt ein Argument, weil auch hier noch ausreichend Studien fehlen. Die Veränderungen ausschließlich im Labor zu untersuchen, genügt nicht. Die Maßnahmen in England, Irland und Dänemark - die ähnlich sind zu unseren - zeigen aber, dass das Virus mit unseren momentanen Mitteln kontrollierbar ist. Die Zahlen gehen nach unten, auch wenn die neue Variante dominant wird.

    Stichwort Zahlen. Glauben Sie, dass wir wie im vergangenen Jahr eine deutliche Entspannung bei den Neuinfektionen erleben werden, wenn es wärmer wird?

    Streeck: Diese Annahme ist realistisch, aber man kann das nicht vorhersagen. Allerdings verhalten sich respiratorische Viren meistens saisonal, sprich sie treten im Sommer weniger auf. Dass es davon eine Ausnahme geben könnte, zum Beispiel aufgrund von Mutationen - das wäre dann eine unerfreuliche Erkenntnis.

    Ihr Kollege Christian Drosten hat vor einem verfrühten Ende der Corona-Maßnahmen gewarnt. Er sprach im schlimmsten Fall von 100.000 Neuinfektionen pro Tag. Was halten Sie von dieser Zahl?

    Streeck: Ich halte es für gar nicht so unwahrscheinlich, dass wir schon Dunkelziffern hatten, die an solchen Werten kratzten. Wenn man annimmt, dass rund zwei Prozent der Infizierten intensivmedizinisch behandelt werden müssen, dann kommt man bei 5000 belegten Intensivbetten auf entsprechend viele Neuinfektionen, die es vorher gegeben haben muss.

    Man erlebt gerade, dass all die schlechten Nachrichten zu einer gewissen Müdigkeit bei den Menschen führen, zu einer Mattheit. Viele dachten, dass man 2021 schon mehr Licht sieht.

    Streeck: Es ist leider ein Marathon. Wir dürfen dabei nicht den Fokus verlieren, um was es geht, und sollten unser Leben nicht von Viren bestimmen lassen. Aber ich erlebe wie Sie, dass Angst und Spaltungen entstanden sind, die gesellschaftlich schwierig geworden sind. Doch wir müssen für uns beantworten, wie wir unser Leben mit dem Virus gestalten wollen - denn es wird bleiben.

    Sie meinen, dass sich unser Leben langfristig verändern wird, auch wenn wir mit dem Impfen Erfolg gehabt haben sollten?

    Streeck: Ich finde, es hat fast schon etwas Philosophisches. Manchmal kommt es mir vor wie die vierte Kränkung der Menschheit. Freud hat das formuliert: Die ersten Kränkungen waren, dass der Mensch doch nicht im Mittelpunkt des Universums steht, dass wir irgendwie vom Affen abstammen und dass wir triebgesteuert sind. Gerade kränkt uns, dass wir als technologisierte Gesellschaft nicht Herr über dieses kleine Virus werden. Die notwendige Souveränität, damit umzugehen, haben wir noch nicht erlernt.

    Sie haben ein Buch geschrieben, es handelt unter anderem von ihrer Forschung im Kreis Heinsberg, einem der ersten Hotspots. Wie haben Sie dafür Zeit gefunden?

    Streeck: Ich habe von Anfang an ein Videotagebuch geführt, als wir nach Heinsberg gefahren sind, und danach viel aufgeschrieben. Somit hatte ich eine Basis. Aber ohne die Hilfe des Verlages hätte ich das nicht machen können.

    Sie forschen immer noch, unter anderem zu der mittlerweile weltbekannten Karnevalssitzung in der Gemeinde Gangelt, bei der sich viele Menschen infizierten. Gibt es da schon neue Erkenntnisse?

    Streeck: Wir sind mittendrin. Die Kappensitzung ist schwierig zu rekonstruieren. Was wir mittlerweile ziemlich klar sagen können: Es war nicht so, dass nur ein Mensch das Virus an dem Abend hatte. Wir nehmen an, dass es an dem Abend mehrere Infizierte gegeben hat. Das macht die Analyse nicht einfacher.

    Sie selbst wurden durch die Pandemie und durch ihre Auftritte in Talkshows zu einer öffentlichen Figur. Auf Twitter werden Sie mitunter hart angegangen für ihre Aussagen. Hat Sie das verändert?

    Streeck: Es geht immer in beide Richtungen, es gibt sehr viele positive, aber auch die negativen Rückmeldungen. Das Fell wird dabei auf jeden Fall dicker. Manche Vorwürfe sind nur absurd, weil absichtlich etwas falsch verstanden wird. Was mich teilweise wundert ist, aus welcher Richtung die Anwürfe kommen, zum Beispiel von einigen Mitgliedern der Grünen. Diese vertreten auf Twitter die Auffassung, dass es nur eine wissenschaftliche Meinung geben kann. Dass Politiker so einen wissenschaftlichen Diskurs unterbinden wollen, kann ich nicht nachvollziehen. Auch keinen interdisziplinären Diskurs. Stattdessen hat man Lagerdenken entwickelt. (Jonas-Erik Schmidt, dpa)

    Zur Person: Hendrik Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn. Unter anderem hat er für eine Studie die Ausbreitung des Coronavirus im Kreis Heinsberg untersucht, einem der ersten deutschen Corona-Hotspots. In seiner Laufbahn war der 43-Jährige, der bei Göttingen aufwuchs, unter anderem an der Harvard Medical School in Boston tätig.

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