Es war dieser Moment am 27. Oktober 2011 gegen 14 Uhr. Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi kam mit seiner Ehefrau und Mittäterin Helene die große Haupttreppe des Kölner Landgerichts herunter, wie Bonnie und Clyde, strahlend, im Blitzlichtgewitter, hinaus in den milden Herbsttag. Da wussten alle, diese Geschichte ist mit dem Strafurteil noch lange nicht zu Ende.
Nun, viereinhalb Monate später, gewinnt die Fortsetzung Konturen. Die Show geht weiter – obwohl das Ehepaar Beltracchi in einer Woche seine Haftstrafen von sechs und vier Jahren antreten muss. Ein großes Interview im Magazin Spiegel, neue Arbeitsstellen bei einem Fotografen, ein neues Kunstprojekt, ein Buch über sein Leben, ein Dokumentarfilm. Wolfgang Beltracchi, der mit seinen langen Haaren und seinem Bart optisch irgendwo zwischen Jesus, Rockstar und Musketier steht, scheint besser im Geschäft als je zuvor. Und diese Erkenntnis wirft die Frage auf, ob bei der juristischen Aufarbeitung des größten Kunstfälschungsskandals der deutschen Geschichte alles richtig gelaufen ist.
Zehn Tage Erholung in Südfrankreich
Mitte März sollen Wolfgang, 61, und Helene Beltracchi, 53, ins Gefängnis einrücken. Er in Euskirchen, sie in Köln-Ossendorf. Wenn man mit Wolfgang Beltracchi sprechen will, muss man sich an seinen Anwalt Reinhard Birkenstock wenden, der zu einer Art Manager avanciert ist, nachdem er im Prozess mittels eines Deals eine milde Strafe herausgeholt hat. Doch Birkenstock ist „einige Tage auf einem auswärtigen Termin“, gibt seine Kanzlei Auskunft. Es scheint sich zu bestätigen, was zu hören ist: Die Beltracchis machen noch zehn Tage Urlaub auf ihrem Weingut im südfranzösischen Mèze, bevor es ins Gefängnis geht.
Ein Richter hat das erlaubt. Aber weil er immer noch einen Rest Fluchtgefahr bei dem Ehepaar sieht, hat er – quasi als Aufpasser – Anwalt Birkenstock mitgeschickt. Das ist eine Form des nordrhein-westfälischen Strafvollzugs, die aus dem fernen Bayern betrachtet ungläubiges Staunen hervorruft. Man wird nicht allzu weit von der Realität entfernt sein, wenn man vermutet, dass sich die Beltracchis mit Anwalt Birkenstock noch eine feine Zeit machen und die Tage mit einem Glas gutem Rotwein ausklingen lassen.
Wer Sympathie für den Kunst-Hippie Beltracchi hegt, könnte nun sagen, lass sie doch, sie müssen danach ja für Jahre ins Gefängnis. Der sollte jedoch wissen: Wolfgang und Helene kommen vom ersten Tag an in den offenen Vollzug. Das bedeutet, abends einrücken, morgens wieder rauskommen. Denn das Ehepaar hat eine feste Anstellung im Fotostudio von Manfred Esser in Bergisch-Gladbach. Esser ist ein Freund aus früheren Tagen. Und wer eine feste Arbeitsstelle hat, darf in NRW in den offenen Vollzug.
Zusammen mit Esser ist Beltracchi auch wieder künstlerisch tätig. Er malt – vornehmlich sich selbst in verschiedenen Variationen. Die Bilder sind im Internet unter beltracchi-project.de zu sehen. Bis neulich standen auch Preise dabei: 20.000 bis 25.000 Euro sollte man für einen Beltracchi hinblättern. Das ist eine Menge Geld. Aber verglichen mit den Summen, die für seine gefälschten Bilder der Avantgarde und der Klassischen Moderne gezahlt wurden, sind es Peanuts. Beltracchi und seine Frau wurden wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt, weil sie über Jahrzehnte gefälschte Gemälde etwa von Max Ernst, Heinrich Campendonk und Max Pechstein in den Kunstmarkt geschleust und so 16 Millionen Euro ergaunert haben. Wolfgang Beltracchi, der früher Fischer hieß und den Namen seiner Frau angenommen hat, ist ein Talent. Er kann malen. Er kopierte nicht einfach. Er malte Bilder, die, wie er sagt, „im Werk der Künstler fehlen“.
Experten bescheinigen Beltracchi großes Talent
Großes Talent bescheinigen ihm auch die Experten, die auf ihn hereingefallen sind. Wie der bekannte Kunsthistoriker und Max-Ernst-Kenner Werner Spies, der sage und schreibe sieben Beltracchi-Fälschungen für echt befunden hat. Ohne diese Zertifizierung wäre eine Wertsteigerung in Millionenhöhe nicht möglich gewesen. Spies gibt auch das Max-Ernst-Werkverzeichnis heraus. Er sagt bis heute: „Ich habe noch nie so einfühlsame Fälschungen gesehen.“ Ist das die Wahrheit oder ist es die gekränkte Eitelkeit eines angesehenen Experten, der sein Lebenswerk in Gefahr sieht?
Beltracchi und seine Frau machten sich jedenfalls ein schönes Leben. Neben ihrem französischen Weingut besitzen sie noch ein Haus in Freiburg inklusive eines Pools, der einen atemberaubenden Blick über die Stadt bietet. 700000 Euro hat allein das Schwimmbecken gekostet, sagte Beltracchi dem Spiegel.
Die Kunstfälscher-Bande hat eine Menge Sammler um Millionen gebracht, um sich ein exklusives Leben zu gönnen. Doch anstatt Verachtung erntete vor allem das Ehepaar Beltracchi von Anfang an Sympathien. Sie haben die Absurdität des Kunstmarkts entlarvt, in dem Gemälde berühmter Maler nur vordergründig Bilder sind, vor allem aber eine spekulative Kapitalanlage. Sie führten vor, was viele Laien immer schon ahnten: Dass Kunst von vielen Dingen abhängt, nicht aber ausschließlich von der Qualität des Werkes. Und sie bedienten das Klischee der Gentleman-Gangster, die die Reichen ausnehmen, also niemandem richtig wehtun.
Wenn René Allonge so etwas hört, dann wird der sachliche Mecklenburger sauer. Der Kriminalhauptkommissar steht der Abteilung Kunstdelikte im Landeskriminalamt Berlin vor, die den Fall Beltracchi gelöst hat. „Es ging ihnen nur ums Geld“, sagt Allonge. Er will das Bild der harmlosen Hippies zerstören. Mehr als ein Jahr lang hat er gegen die Beltracchis ermittelt. Er gab das Gutachten in Auftrag, das Titanweiß in einem Bild fand. Ein Farbpigment, das es erst nach der Zeit gab, zu der das angebliche Original entstanden ist. Beltracchi selbst berichtet im Brustton der Überzeugung, dass er diese Falle selbstverständlich im Blick hatte. Er habe immer Zinkweiß verwendet, sei aber an eine Tube aus den Niederlanden geraten, die Spuren von Titanweiß enthielt, ohne dass dies deklariert gewesen sei. „Die Sache flog also nur wegen einer falsch etikettierten Tube auf“, so Beltracchis Schlussfolgerung im Spiegel.
Frische Ware für einen gierigen Markt
Beltracchi hat das Selbstbewusstsein eines Mannes, der sich für ein Genie hält. Er lieferte einem gierigen Kunstmarkt frische Ware. Und er wird als Fälscher selbst zur Ware. Der ganze Prozess, bei dem der Betrüger wie die Hauptperson in einem Film wirkte, kann wie eine große Werbeaktion für die Marke Beltracchi gesehen werden.
Seine Biografie schreibt er schon. Ein Filmdrama ist praktisch unausweichlich. Und ein Dokumentarfilm ist schon im Entstehen. Praktischerweise ist Arne Birkenstock, der Sohn von Anwalt Birkenstock, ein recht renommierter Dokumentarfilmer. Er dreht den Streifen. So bleibt die Story sozusagen in der Familie. Geld sei dabei nicht geflossen, hat Birkenstock senior einem anderen Medium gesagt. Birkenstock junior ist telefonisch ebenfalls nicht zu erreichen. Ob er auch auf dem Weingut der Beltracchis in Frankreich sitzt?