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Verbrechen: Italien schickt kranke Mafiabosse in den Hausarrest

Verbrechen

Italien schickt kranke Mafiabosse in den Hausarrest

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    In Italien ist die Mafia eine Marke: hier Mafia-Boss Don Vito Corleone im Film "Der Pate" als Souvenir für Touristen.
    In Italien ist die Mafia eine Marke: hier Mafia-Boss Don Vito Corleone im Film "Der Pate" als Souvenir für Touristen. Foto: Lena Klimkeit, dpa

    Der Name Zagaria ist berüchtigt in Italien. Pasquale Zagaria war der Chefökonom des Camorra-Clans der Casalesi aus dem Hinterland Neapels, der mit Drogenhandel und Wirtschaftskriminalität zu einem der Mächtigsten in Italien aufstieg. Sein Bruder Michele, Boss des Clans, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Pasquale Zagaria saß bis März in einem Hochsicherheitsgefängnis auf Sardinien seine Haftstrafe von mehr als 21 Jahren ab. Weil er an Blasenkrebs leidet und kontinuierlich behandelt werden muss, wurde der 60-Jährige vor Tagen in den Hausarrest entlassen. Vorübergehend, wegen Krebs und der Gefahr, die durch das Coronavirus für kranke Gefangene ausgeht.

    Seine Freilassung ist nicht die einzige in Italien. Auf einer Liste des Justizministeriums sind 376 verurteilte Schwerverbrecher verzeichnet, die wegen Erkrankungen vorübergehend aus den Haftanstalten entlassen wurden. Bei möglichen Corona-Ausbrüchen im Gefängnis wären sie besonders gefährdet. Die Fälle werfen die Frage auf, wie viel Würde Straftäter verdienen, die sich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht haben. Denn bei den Entlassenen handelt es sich nicht um kleine Fische, sondern in vielen Fällen um einflussreiche Mafiabosse, Mörder und Drogenbarone. Die Aufregung in Italien ist deshalb groß. „Ich kann es kaum glauben“, sagte Antimafia-Staatsanwalt Catello Maresca über die Entlassung Zagarias. „Einer der mächtigsten Clans im Land formiert sich wieder.“

    Es sind alte, schwerkranke Männer - aber eben auch Verbrecher

    Die Liste der Verbrecher, die sich nun zu Hause regelmäßigen Polizeikontrollen stellen müssen, ist lang. Der Sizilianer Franco Cataldo etwa war an der Entführung und Ermordung von Giuseppe Di Matteo, Sohn eines sizilianischen Mafioso, beteiligt. Weil der Vater mit der Justiz zusammenarbeitete, töteten die Männer den 14-jährigen Jungen und lösten seinen Leichnam in Säure auf. Cataldo hat Krebs und wurde vom Haftrichter in den Hausarrest entlassen. Die Mutter des Jungen protestierte: „So jemand muss lebenslang im Gefängnis bleiben, denn mein Leid wird nie enden.“

    Carabinieri kommen in Italien zu einer Schießerei. Die Gefahr durch die Mafiaclans ist in vielen Regionen spürbar.
    Carabinieri kommen in Italien zu einer Schießerei. Die Gefahr durch die Mafiaclans ist in vielen Regionen spürbar. Foto: Roberta Basile/Zuma Press, dpa

    Einflussreiche Bosse der Cosa Nostra und der kalabrischen ’Ndrangheta durften nach Hause. Auch Francesco Ventrici, er koordinierte für die ’Ndrangheta den Kokain-Import aus Kolumbien nach Italien. Heute sind sie allesamt alte, teilweise schwerkranke Männer, aber eben auch Verbrecher.

    Vier der 376 Verurteilten standen gar unter besonders schwerer Haft für Mafiosi, darunter auch Zagaria. Diese Regelung wurde 1992 nach der Ermordung der Ermittler Giovanni Falcone und Paolo Borsellino eingeführt. Bosse werden in dieser Sonderhaft isoliert und 24 Stunden am Tag überwacht. Einmal im Monat dürfen sie zehn Minuten telefonieren. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Männer weiterhin die Fäden in ihren Clans ziehen. Staatsanwälte befürchten nun, die in ihre Heimatregionen zurückgekehrten Bosse könnten trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit wieder aktiv werden, gar die Flucht ergreifen und damit die Mühen der Ermittler zunichte machen. Der Leiter der nationalen Antimafia-Behörde, Federico Cafiero de Raho, zeigte sich „überrascht von den Entlassungen“. Er forderte, die Männer sollten in Justizvollzugskrankenhäuser gebracht werden.

    Ein Dekret soll die Rückkehr der Bosse in die Haftanstalten anordnen

    Entsprechende Anfragen beim Justizministerium versandeten offenbar. Bekannt ist auch, dass die italienischen Gefängnisse chronisch überfüllt sind. Dort ist Platz für gut 45.000 Häftlinge, de facto sitzen in Italien aber etwa 60.000 Menschen in den Haftanstalten. Auf den Krankenstationen soll es ebenfalls kaum freie Plätze geben.

    Von Resozialisierung der Häftlinge, wie sie in der Verfassung garantiert wird, ist kaum eine Spur. „Das Recht auf Gesundheit gilt für jedes Individuum, die Strafe darf nicht gegen das Humanitätsgebot verstoßen“, sagt Patrizio Gonella, Vorsitzender des Vereins Antigone, der sich für die Rechte von Strafgefangenen einsetzt. Er verteidigte die vorübergehende Entlassung Zagarias in den Hausarrest. Justizminister Alfonso Bonafede will nun aber auf den Druck der Öffentlichkeit reagieren. Seine Beamten bereiten ein Dekret vor, in dem die Rückkehr der Bosse in die Haftanstalten angeordnet wird.

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