Der Kammerdiener des Papstes sitzt im Vatikan in Untersuchungshaft. Paolo Gabriele soll vertrauliche Dokumente aus den Gemächern von Benedikt XVI. gestohlen haben. Dem 46 Jahre alten Familienvater wird schwerer Diebstahl vorgeworfen. Seine Anwälte sagten den vatikanischen Behörden am Montag volle Kooperation zu. "Paolo wird sobald wie möglich alle Fragen beantworten und mit den Ermittlern zusammenarbeiten, damit die Wahrheit ans Licht kommt", sagte einer der beiden Verteidiger, Carlo Fusco.
Spekulationen um Verschwörung im Vatikan
Die Aussage wird mit Spannung erwartet. Denn in den Medien wird über mögliche Mittäter Gabrieles spekuliert. Nach einem Bericht der rechtsliberalen TageszeitungCorriere della Serakönnte auch ein italienischer Kardinal unter Verdacht geraten sein. Auch die Nachrichtenagentur Ansa schreibt, eine Beteiligung hoher Würdenträger sei nicht ausgeschlossen. Doch alle Angaben dazu bleiben vage. Berichte, dass neue Festnahmen bevorstünden, dementierte Vatikansprecher Federico Lombardi. Es gebe keine weiteren Ermittlungen, sagte er am Montag.
Vatikan spricht von "Vatileaks"
In den vergangenen Monaten waren aus dem Vatikan mehrfach Enthüllungen an die Medien durchgesickert. Unter anderem sind geheime Schreiben in dem gerade erschienenen Buch "Sua Santit"" (Seine Heiligkeit) veröffentlicht. Der Vatikan hatte die Publikation vertraulicher Unterlagen selbst als "Vatileaks" bezeichnet und so auf die Enthüllungsplattform Wikileaks angespielt.
Kleines Kirchenlexikon
Apostolische Reise: Die "Dienstreisen" des Papstes außerhalb Italiens werden als Apostolische Reisen bezeichnet. Bei offiziellen Reisen innerhalb Italiens spricht der Vatikan von Pastoralbesuchen. Der Deutschlandbesuch ist die 21. Auslandsreise Benedikts XVI.
Eucharistiefeier: Höhepunkt einer Eucharistiefeier (von griech. eucharistía = Danksagung) ist die Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi. Da die Protestanten diese Glaubensüberzeugung nicht teilen, untersagt ihnen die katholische Kirche die Teilnahme an der Heiligen Kommunion, bei der gewandelte Leib Christi meist in Form einer Hostie ausgegeben wird. Papst Benedikt XVI. plant auf seiner Reise öffentliche Eucharistiefeiern in Berlin (Olympiastadion), Erfurt (Domplatz) und Freiburg (Flughafengelände).
Ökumene: Der Begriff Ökumene stammt aus dem Griechischen (oikouméne = das Bewohnte, die bewohnte Erde) und wird in erster Linie für das Ringen um die Einheit der Christen verwendet. Die moderne ökumenische Bewegung entstand an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Papst Benedikt XVI. trifft sich auf seiner Deutschlandreise im evangelischen Augustinerkloster Erfurt mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einem Gespräch und einem ökumenischen Gottesdienst. In Freiburg steht ein Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirche auf dem Programm.
Orthodoxe Kirche: Die orthodoxen Kirchen (von altgriech. orthós = richtig, geradlinig und dóxa = Verehrung, Glaube) haben ihre Wurzeln im östlichen Mittelmeerraum und in Süd- und Osteuropa. Mit der römisch-katholischen Kirche besteht eine weitgehende Übereinstimmung in Glaubensfragen. Derzeit gibt es weltweit rund 300.000 Millionen Orthodoxe, in Deutschland rund 1,5 Millionen. Der Papst trifft in Freiburg Vertreter der orthodoxen Kirchen in Deutschland.
Angelusgebet: "Der Engel des Herrn" (Angelus) ist ein katholisches Gebet, das morgens, mittags und abends gesprochen wird. Der Papst will auf seiner Deutschland-Reise am Samstagnachmittag im Freiburger Münster ein Angelus-Gebet halten.
Vesper: Die Vesper (von lat. vespera = Abend) ist der abendliche Teil des Stundengebetes der katholischen Kirche und wird in der Regel gegen 18.00 Uhr gebetet. Wichtige Elemente sind die alttestamentarischen Psalmen sowie Gesänge und Lesungen aus dem Neuen Testament. Bei einer Marianischen Vesper, wie sie im Marien-Wallfahrtsort Etzelsbach in Thüringen gefeiert wird, schließt das Gebet mit einem Mariengesang ab.
Vigil: Die Vigil (von lat. vigilia = Nachtwache) ist ein Teil des katholischen Stundengebets und bezeichnet eine Gebetszeit in der Nacht oder am frühen Morgen. Papst Benedikt XVI. feiert auf seiner Deutschlandreise eine Vigil mit Jugendlichen auf dem Messegelände in Freiburg. Auf den Weltjugendtagen hat der Papst in den vergangenen Jahren regelmäßig die Vigil mit Jugendlichen gebetet, zuletzt am 20. August in Madrid.
Die Apostolische Nuntiatur: Nuntius ist lateinisch und bedeutet Botschafter. Der Apostolische Nuntius ist der Botschafter des Papstes im jeweiligen Land, in Deutschland ist seit 2007 Nuntius Erzbischof Jean-Claude Périsset. Der Standort ist in Neukölln, Lilienthalstraße, neben St. Johannes-Basilika und Hasenheide.
Auf Gabrieles Spur kamen die Ermittler laut Ansa, weil unter den veröffentlichten Dokumenten auch eines im Zusammenhang mit der Joseph Ratzinger-Papst-Benedikt-XVI.-Stiftung war. Dieses Schriftstück sollte nie wie die anderen in den Archiven des Heiligen Stuhl landen, sondern konnte nur vom Schreibtisch des Papstes oder seines Privatsekretärs Georg Gänswein stammen. Deshalb müsse der Täter einer der wenigen Menschen sein, die Zugang zur päpstlichen Wohnung haben. Gabriele gehörte neben den Privatsekretären Gänswein und Alfred Xuereb sowie vier Ordensfrauen zu den nächsten Mitarbeitern des Kirchenoberhaupts.
Papst ist betroffen
Der Papst sei schmerzlich betroffen, sagte Lombardi am Montag. Nun müsse mit Respekt gegenüber den betroffenen Personen der Fall aufgeklärt werden. Am Wochenende hatte der Papst aus dem Evangelium zitiert: "Das Haus, das auf Fels gebaut ist, stürzt nicht ein." Dies wurde in den Medien auf den Skandal bezogen.
Da Gabriele im Vatikan lebe, sei auch die Gerichtsbarkeit des Vatikan zuständig, sagte Sprecher Lombardi am Samstag. Das Verfahren führt Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet. In den Medien wird bereits über die Möglichkeit einer hohen Haftstrafe spekuliert.
Gabrieles Festnahme habe die Menschen im Vatikan überrascht, sagte Lombardi. "Im Vatikan kannten ihn alle, natürlich gibt es Erstaunen und Schmerz und großes Mitgefühl mit seiner Familie, die sehr beliebt ist", betonte der Vatikansprecher. Er hoffe, dass die Familie diese Prüfung überstehen könne. Am Montag habe Gabriele neben seinen Anwälten auch seine Frau sehen dürfen.
Vatikanbank-Chef tritt zurück
Der Autor des Papst-Buches "Sua Santit"", der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi, kritisierte die Ermittlungen innerhalb der Vatikanmauern und verwies auf die Pressefreiheit. "Die Dokumente sind ein Teil des journalistischen Geistes", sagte er zum Vorwurf, illegale Quellen zu nutzen. In den Dokumenten ging es unter anderem um Interna der Vatikanbank IOR. Erst am Freitag war deren Chef Ettore Gotti Tedeschi nach einem Misstrauensvotum zurückgetreten. Ihm wurde unter anderem schlechte Amtsführung vorgeworfen. Lombardi sagte am Montag, zwischen beiden Fällen gebe es keinen Zusammenhang. dpa