Richter und Staatsanwälte in Italien wechseln, auch wegen ihrer Prominenz, nicht selten in die Politik. Giuseppe Pignatone hingegen ging zum Ende seiner Laufbahn als Magistrat in den Vatikan. Papst Franziskus ernannte den 72-jährigen Sizilianer und bekannten Mafia-Jäger vor zwei Jahren zum Vorsitzenden des Vatikan-Gerichts. Dort wird an diesem Dienstag der spektakuläre Prozess gegen Kardinal Giovanni Angelo Becciu und neun weitere Angeklagte fortgesetzt. Wegen der Corona-Pandemie tagt das Gericht nicht im alten Gerichtsgebäude des Vatikans, sondern in den geräumigen Vatikanischen Museen.
Pignatone wird eines Tages entscheiden müssen, ob die Anklagen in Zusammenhang mit einem Immobiliengeschäft des Vatikans in London begründet sind. 350 Millionen Euro aus Spendengeldern von Gläubigen aus der ganzen Welt sollen in den dubiosen Deal und an fragwürdige Geschäftsleute geflossen sein. Die Angeklagten müssen sich unter anderem wegen Amtsmissbrauchs, Veruntreuung, Geldwäsche, Betrug und Erpressung verantworten. Becciu soll Investitionen in Londoner Luxuswohnungen genehmigt haben. Pignatone und seine zwei Beisitzer werden im Fall einer Verurteilung auch das Strafmaß festsetzen.
Der Präsident des Vatikan-Gerichts muss praktizierender Katholik sein. Und das ist Pignatone. Er wurde 1949 in eine katholische Familie in Caltanissetta geboren, sein Vater war Abgeordneter für die Christdemokraten in Rom. Pignatone, bekannt für seine Ausdauer und fast schon zur Schau gestellte Ruhe, studierte Jura in Palermo und jagte anschließend als Staatsanwalt über Jahrzehnte hinweg Mafiosi. Erst 30 Jahre lang in Palermo, dann in Reggio Calabria in Kalabrien. Dort schickte ihm die ‘Ndrangheta einmal eine Bazooka ins Büro, zur Einschüchterung. Illegale Vatikan-Machenschaften dürften insofern nichts Überwältigendes für ihn sein.
Papst Franziskus ist Staatsoberhaupt, Richter und Gesetzgeber
Doch Giuseppe Pignatone hat sich da in eine ganz eigene Welt mit eigenen Regeln begeben. Über dem Chef des Tribunals steht nämlich mit Papst Franziskus der eigentliche Herr des Verfahrens. Der Papst ist im Vatikan Staatsoberhaupt, oberster Richter und Gesetzgeber zugleich. Das führte im aktuellen Verfahren bereits zu verschiedenen von den Verteidigern Kardinal Beccius hervorgehobenen Widersprüchen: Viermal habe Papst Franziskus mit der Verfügung von neuen Prozeduren in das laufende Verfahren eingegriffen.
Dass der Gesetzgeber die Regeln im laufenden Verfahren ändert, ist in einem Rechtsstaat im Grunde undenkbar. Franziskus hingegen erlaubte erst im Mai, dass fortan auch nicht-geistliche Richter – wie Pignatone – über Kardinäle und Erzbischöfe urteilen dürfen. Bislang war das Kardinälen selbst vorbehalten. Auch andere Maßnahmen nähren Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des laufenden Verfahrens. So enthob der Papst Becciu im vergangenen Jahr seiner Rechte als Kardinal, beteuerte nun aber, er hoffe auf die Unschuld des Prälaten. Ob Pignatone unbeeinflusst von diesen Eingriffen und Wünschen des Papstes urteilen kann, ist also die Frage.
Pignatone deckte ein Kriminellen-Netzwerk auf
Als Richter schreibt er seit einiger Zeit für die linksliberale Zeitung La Repubblica. Mit dieser publizistischen Tätigkeit zog der 72-Jährige Kritik auf sich. Als Pignatone noch Strafverfolger in Italien war, zeigte er sich meist unbeeindruckt. So koordinierte er die Ermittlungen, die 2006 zur Verhaftung von Bernardo Provenzano – dem „Boss der Bosse“ der Cosa Nostra – führten.
Als Staatsanwalt in Rom legte er sich mit einem Kriminellen-Netzwerk um Politiker und den ehemaligen Rechtsterroristen Massimo Carminati an („Mafia Capitale“). Den von Pignatone erhobenen Vorwurf, es handele sich bei der Gruppe um eine Mafia-Vereinigung, wies der Oberste Gerichtshof 2019 in letzter Instanz aber zurück. Das war eine herbe Niederlage für den damaligen Staatsanwalt, dessen Karriere im Vatikan nun einen unverhofften Höhepunkt erlebt.