Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Ehrengarde steht Spalier. Vatikan, Damasushof, es ist der Pfingstsamstag. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Privataudienz bei Papst Franziskus vorfährt, kommt ihr – wie es das Protokoll vorschreibt – der Präfekt des Päpstlichen Hauses entgegen. Begrüßung auf Deutsch. Der Präfekt, der für den Terminkalender des Papstes, für die Audienzen und die Betreuung der Staatsbesuche zuständig ist, ist ein Deutscher. Er heißt Georg Gänswein. Der 56-jährige smarte Erzbischof, den sie ob seines guten Aussehens den „George Clooney des Vatikans“ nennen.
Papst Franziskus' Protokollchef in Rom sehr beliebt
Dann gibt es einen zweiten Gänswein. Der zugleich Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ist. Dem der deutsche Pontifex zwei Monate vor seiner Rücktrittsankündigung im Februar das ranghohe Vatikanamt übertragen hat. Und der darüber hinaus vom Prälaten zum Erzbischof aufstieg.
Als Franziskus Papst wurde, hat er erst einmal alle hohen vatikanischen Ämter bestätigt – was er beileibe nicht hätte tun müssen. Alles weist darauf hin, dass er auch an den Aufgaben Gänsweins so schnell nichts ändern will – mögen „Don Giorgio“, wie er in Rom gerne familiär genannt wird, auch Chancen auf einen deutschen Bischofsstuhl nachgesagt werden.
Georg Gänswein: Verbindung zwischen den zwei Päpsten
So ist der Priester aus dem Schwarzwalddorf Riedern am Wald in einer geradezu historisch einmaligen Position im Kirchenstaat, nämlich Diener zweier Herren und zugleich Verbindungsbrücke zwischen zwei Päpsten – ohne zwischen den Stühlen zu sitzen. Eine solche Position, das erklärt sich von selbst, erfordert Feingefühl. Entsprechend ist der Erzbischof – ohnehin nicht als Plaudertasche bekannt – noch zurückhaltender geworden. Selbst als kürzlich in der deutschen Vatikanbotschaft in einer Feierstunde ein Benedikt-Porträt des Malers Michael Triegel enthüllt und als ständige Leihgabe im Hause aufgehängt wurde, hielt er sich diskret im Hintergrund. Dabei war er sozusagen in Vertretung des zurückgetretenen Papstes anwesend.
Anfang Mai ist er zusammen mit Benedikt XVI. nach gut zwei Monaten in Castelgandolfo in das für den ehemaligen Papst umgebaute Kloster Mater Ecclesiae in den vatikanischen Gärten eingezogen. Das jedoch offenbar nur vorläufig. „Wenn die derzeit in Renovierung befindliche Dienstwohnung des Präfekten fertig ist, wird Erzbischof Gänswein dort einziehen“, verlautet aus seiner Umgebung. Benedikt werde er dennoch treu bleiben: „Das Kloster ist doch nur wenige Minuten entfernt.“
Papst Benedikt will "verborgen der Welt" leben
Es ist nicht schwer, sich das Doppelleben des Sekretärs des einen und Haus-Präfekten des anderen Papstes vorzustellen. Frühmesse und Frühstück wird Gänswein sicherlich mit Benedikt verbringen, vielleicht auch weitere gemeinsame Mahlzeiten und wie früher üblich den Spaziergang beim Rosenkranzgebet, sofern es Gänsweins Zeit erlaubt. Vielleicht kümmert er sich auch um die Korrespondenz, die sich aber jetzt in Grenzen halten dürfte. Schließlich will der Papst a. D. auf eigenen Wunsch „verborgen vor der Welt“ leben und der Kirche vornehmlich durch sein Gebet dienen.
Gänswein als Präfekt des Päpstlichen Hauses hat hingegen bedeutende vielseitige Aufgaben wahrzunehmen. Er ist Protokollchef und muss die Audienzen für alle hohen Gäste wie Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Minister und Botschafter organisieren, die Papst Franziskus besuchen. Er ist verantwortlich für die Durchführung der Generalaudienzen. Er begleitet den Pontifex zu Terminen – auch außerhalb der Vatikanstadt.
Italienische Klatschblätter interessieren sich für Erzbischof Gänswein
Der Haus-Präfekt und seine Mitarbeiter sind zudem zuständig für „Disziplin und innere Ordnung“ der Papstwohnung sowie aller Säle, die das Kirchenoberhaupt normalerweise für Audienzen nutzt. Unter Franziskus ist die Zahl der zu kontrollierenden Räume noch gestiegen. Denn bisher nimmt er sein Appartement im Apostolischen Palast nur für die Sonntagsansprachen in Anspruch. Er wohnt weiterhin im vatikanischen Gästehaus Santa Marta und empfängt dort auch ab und zu offizielle Gäste.
Viel zu tun also für Erzbischof Gänswein, den Kirchenmann, mit dem sich wegen seines guten Aussehens selbst Italiens Klatschblätter beschäftigen. Gerade erst wurden im Frauenmagazin Chi Fotos veröffentlicht, die ihn mit einem angeblich jugendlichen Haarschnitt zeigen, passend „zu seinen faszinierenden Grau-Nuancen“. Die italienische Ausgabe der Vanity Fair zeigte sein Gesicht im Januar auf der Titelseite mit der Schlagzeile „Essere bello non è peccato“ – schön zu sein ist keine Sünde. Das Männermagazin GQ hob ihn in seiner Februarausgabe auf Platz 16 in der Rangliste der 100 bestgekleideten Männer Deutschlands. Seine blauen Augen, sein meliertes Haar, seine elegante Erscheinung haben 2006 die italienische Modeschöpferin Donatella Versace zu einer Herrenkollektion inspiriert, die sie als „spirituell und sittenstreng“ beschrieb.
Erzbischof Gänswein: eleganter Liebling der Mächtigen
Georg Gänswein ist Pop. Weil er so attraktiv aussieht. Weil man ihm die Leidenschaft für Tennis und Skifahren anzusehen glaubt. Weil er immer eine gute Figur macht, wenn er den Mächtigen und Berühmten begegnet, die zum Papst wollen. In seiner Funktion als Präfekt sieht man Gänswein mit Eleganz Gäste wie Israels Staatspräsidenten Schimon Peres oder jetzt Angela Merkel durch die Kunstschätze im Apostolischen Palast zur päpstlichen Privatbibliothek begleiten. Und man darf vermuten, dass er aus seiner langjährigen Erfahrung an der Seite Benedikts dem Papstneuling aus Argentinien bei so mancher Protokollfrage mit Rat zur Seite steht.
Bei der wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz, zu der mitunter weit über 100.000 Menschen strömen, sitzt Gänswein nicht mehr im Papst-Jeep. Das macht jetzt Prälat Alfred Xuereb aus Malta, früher „der Zweite“ in Benedikts Büro und jetzt persönlicher Sekretär von Franziskus. Gut eine halbe Stunde fährt der Argentinier dann durch die Reihen, lässt immer wieder halten und küsst Kinder, steigt aus und schüttelt Hände. Erst wenn das vorbei ist und der Papst vor dem Petersdom Platz genommen hat, tritt Gänswein hinzu. Als Präfekt sitzt er während der gesamten Generalaudienz rechts vom Pontifex.
Bistum oder Diplomat: Gänsweins Zukunft noch offen
Bei so viel Abwechslung im Amt – warum sollte Gänswein nun einen Posten außerhalb des Vatikans anstreben? Die Gerüchte stehen im Raum, er könnte einen deutschen Bischofsstuhl bekommen. Gerade wird er als Nachfolger des Kölner Kardinals Joachim Meisner, 79, gehandelt. Auch in Gänsweins Heimatbistum Freiburg wird der 75-jährige Erzbischof Robert Zollitsch bald um seinen Rücktritt ersuchen. Oder leitet der Mann bald als Diplomat eine prestigeträchtige Nuntiatur im Ausland, sagen wir bei den Vereinten Nationen in New York?
Mitnichten, deutet er selbst an und verlautet auch aus seiner Umgebung. Gänswein wolle lieber Karriere in Rom machen. Sofern Papst Franziskus mitmacht, hätte er beste Aussichten darauf. Wie das Beispiel seines Vorgängers zeigt. US-Erzbischof James Michael Harvey, 63, war 14 Jahre Präfekt unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Beim letzten Konsistorium machte der deutsche Papst ihn zum Kardinal und Erzpriester der Basilika St. Paul vor den Mauern des Vatikans.
Erzbischof Gänswein entlarvt Dokumentendieb Paolo Gabriele
Gänswein und Harvey verbindet übrigens einiges. Beide hatten mit dem Vatileaks-Skandal im Jahr 2012 zu tun. Gänswein entlarvte den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele als den Dokumentendieb. Harvey hatte diesen vor Jahren als Kammerdiener empfohlen. Er wurde von Benedikt mit der Kardinalswürde belohnt, so heißt es rund um den Vatikan, weil er wegen jener Fehleinschätzung so demütig um Entlassung gebeten habe.
Erbischof: Deutsche Bischofkonferenz soll Weltbild verkaufen
Freilich: Durch die Vatileaks-Affäre hat die Öffentlichkeit auch von der wahren Macht Gänsweins erfahren. Sechs Zeilen des Papstsekretärs auf einem internen Vermerk genügten, um im Augsburger Weltbild-Verlag die Fundamente zu erschüttern. Als wieder einmal von einem Netzwerk konservativer Katholiken in Deutschland an den Papst herangetragen wurde, dass der kircheneigene Buchversender auch 2500 erotische und esoterische Titel im Sortiment führe, notierte Gänswein am 2. November 2011 auf Italienisch: „Der Heilige Vater hat entschieden. Es muss sofort gehandelt werden.“ Noch im selben Monat entschied die Deutsche Bischofskonferenz, Weltbild verkaufen zu wollen – was mittlerweile wieder vom Tisch ist.
Vatileaks förderte auch zutage: Viele vertrauliche Briefe an das Kirchenoberhaupt waren nicht an Benedikt persönlich adressiert, sondern an seinen Privatsekretär Georg Gänswein. An ihn wandten sich die Prälaten mit ihren Gesuchen, ihren Denunziationen, ihren Rechtfertigungen. In Interviews rühmte sich Gänswein des „wirklich uneingeschränkten Vertrauens des Heiligen Vaters“. Damit wird der Erzbischof zu einer äußerst heiklen Personalie im Vatikan, dessen weitere Verwendung gut überlegt sein will...