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Urteil: Er warf den Stein aus Hass

Urteil

Er warf den Stein aus Hass

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    Einsatzkräfte sichern am 25. September die Unfallstelle. Familie Öztürk wurde damals schwer verletzt, nachdem sie mit ihrem Auto gegen einen zwölf Kilogramm schweren Betonpflasterstein gefahren war
    Einsatzkräfte sichern am 25. September die Unfallstelle. Familie Öztürk wurde damals schwer verletzt, nachdem sie mit ihrem Auto gegen einen zwölf Kilogramm schweren Betonpflasterstein gefahren war Foto: Dennis Straub, Feuerwehr Heidenheim, dpa

    Mitten in der Nacht ist Familie Öztürk auf der Autobahn unterwegs. Mutter, Vater und zwei Kinder. Sie kommen von einer Hochzeit, bis ins heimische Laupheim südlich von Ulm ist es nicht mehr weit. Die Sicht ist gut, die Straße trocken. Der Vater am Steuer bleibt dennoch bei vorsichtigen 120 bis 130 Stundenkilometern. Plötzlich ein Stoß, ein Knall, der Wagen überschlägt sich. Alle vier erleiden schwere Verletzungen.

    Eine Horrorvorstellung für jeden Autofahrer ist für sie wahr geworden: ein Betonbrocken mitten auf der Fahrbahn. Knapp sieben Monate später hat das Landgericht Ellwangen am Dienstag die Strafe für den „Steinewerfer von der A7“ verkündet, wie der 37-Jährige seitdem genannt wurde.

    Das Urteil fiel ungewöhnlich aus. Weniger wegen des Strafmaßes von insgesamt neuneinhalb Jahren für versuchten Mord in vier Fällen, schwere Körperverletzung, schwere Gefährdung des Straßenverkehrs sowie – in einem parallelen Fall – wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Sondern weil der Steinewerfer nicht in ein Gefängnis, sondern in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde. Eine im deutschen Strafrecht-Alltag seltene Entscheidung, sagte der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg.

    Er begründete die Maßnahme mit dem offenbar notwendigen „Schutz der Allgemeinheit“ vor dem Täter. Der Mann habe mit einem heimtückischen Tötungsvorsatz gehandelt, als er in der Nacht zum 25. September 2016 einen zwölf Kilo schweren Betonpflasterstein von einer Brücke bei Giengen an der Brenz auf die Autobahn warf. Allerdings habe man auch berücksichtigen müssen, dass ihm das psychiatrische Gutachten eine schwere seelische Störung und eine stark verminderte Steuerungsfähigkeit bescheinigt.

    Besser verstehen kann das, wer den Angeklagten während des Prozesses beobachtet hat. „Ich sage nichts“, lautete seine genuschelte Antwort, als der Richter ihm vor der Urteilsverkündung das Wort erteilte. Auf der Anklagebank saß er zwischen einem Betreuer aus der Psychiatrie und einem bewaffneten Justizbeamten. Am ersten Prozesstag war er ausgerastet, hatte dem Familienvater gedroht, er würde ihm mit einer Schusswaffe auflauern. Er machte verächtliche Gesten.

    Der Tübinger Psychiater Peter Winckler hat sich stundenlang mit dem Mann, der isoliert auf einem Gartengründstück außerhalb Heidenheims lebte, unterhalten. Der Steinwurf sei letztlich aus einem diffusen Hass auf die Menschheit erfolgt. Vor dem Steinwurf habe er einen „psychischen Zusammenbruch“ erlitten, sagte Winckler. Auslöser sei Wut darüber gewesen, dass er von mehreren Menschen als Nichtsnutz beleidigt worden sei. Bei der Tat habe der Mann aber weder „Stimmen gehört noch Geister gesehen“, erklärte Richter Ilg.

    Familie Öztürk ist der Urteilsverkündung ferngeblieben. Vater Serdal, 33, hat schon vor dem Prozessauftakt angekündigt, dass er und seine Frau sich nicht mit der Verhandlung belasten wollen. Zu frisch noch sind die Erinnerungen, zu mühsam die Aufarbeitung, zu fordernd der Blick nach vorne. Serdal Öztürk sagte nach dem Urteil gegenüber unserer Zeitung nur: „Ich bin froh, dass er verurteilt worden ist.“ Was das Urteil genau bedeutet und wie zufrieden er damit sein kann, möchte er erst bemessen, wenn er mit seiner Anwältin gesprochen hat. Am Dienstag, so erzählt Öztürk, hat er es gemacht wie jeden Tag seit dem Unfall: Er ist zu seiner Frau Deniz, 26, ins Krankenhaus gefahren, er hat ihr etwas zu essen gebracht. „Und ich habe sie in den Arm genommen.“ (dpa, hogs)

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