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Unesco: Höhlen auf der Schwäbischen Alb sollen Weltkulturerbe werden

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Höhlen auf der Schwäbischen Alb sollen Weltkulturerbe werden

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    Sie wirkt wie ein Tor zu einer anderen Welt: Die „Hohle Fels“, in der bei archäologischen Grabungen die ersten Spuren von Kunst und Musik der Menschheit gefunden wurden.
    Sie wirkt wie ein Tor zu einer anderen Welt: Die „Hohle Fels“, in der bei archäologischen Grabungen die ersten Spuren von Kunst und Musik der Menschheit gefunden wurden. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Nach getaner Arbeit kehren die Jäger zurück in die Höhle. Mit ihren Speeren haben sie einige Bisons erlegt, die durch das kühle und kaum bewaldete Achtal ziehen. Das Essen ist wieder für ein paar Tage gesichert. Während die Männer die Beute weiter zerlegen, sich um das Feuer kümmern oder auf ihren Knochenflöten spielen, zieht sich ein anderer Jäger in seine Ecke zurück. Mit einer scharfen Steinklinge bearbeitet er ein Stück Elfenbein, so hart wie ein Zahn. Es beschäftigt ihn schon seit Tagen. Die Beine und der Rüssel sind schon zu erkennen. Der Künstler – oder ist es eine Künstlerin? – schnitzt ein Mammut. Ohne zu ahnen, dass es einmal eine kleine archäologische Sensation sein wird.

    Rund 40000 Jahre nach den Eiszeitmenschen macht sich deswegen erneut eine Gruppe auf zur Schwäbischen Alb, zu der Höhle, die heute als Geißenklösterle bekannt ist. Diesmal sind es aber keine Jäger, sondern ein paar Männer in Jeans und bequemen Schuhen, die zu der Höhle wandern. Ihre Route führt von der Blaubeurer Altstadt im Auto an ein paar alten Industriehallen und einem Tennisklub vorbei, dann zu Fuß über einen steilen Pfad durch ein Wäldchen den Hang hinauf. Der Archäologe und Museumspädagoge Hannes Wiedmann zeigt den Platz, wo später das Mammut und einige andere Objekte entdeckt wurden, die den Blick auf die Menschheitsgeschichte nachhaltig verändert haben.

    Werden die Höhlen bald in einem Atemzug mit dem Taj Mahal genannt?

    So sehr, dass das Geißenklösterle und fünf weitere Höhlen kurz davor stehen, Weltkulturerbe zu werden – und dann in einem Atemzug mit dem Taj Mahal, den Pyramiden von Gizeh und dem Kölner Dom genannt werden. Diese Aussicht lockt derzeit Journalisten und Fachleute aus ganz Deutschland in die Städte und Dörfer auf der Alb. Schließlich tagt das Unesco-Welterbe-Komitee derzeit im polnischen Krakau. Seine Entscheidung könnte die „Höhlen der ältesten Eiszeitkunst“ – gelegen unweit von Ulm im Achtal bei Blaubeuren und im Lonetal bei Langenau – weltberühmt machen.

    900 Seiten dick ist der Antrag, der vom baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege zusammen mit Wissenschaftlern und dem Wirtschaftsministerium erstellt wurde. Es gibt auch viel zu berichten über die schwäbischen Höhlen. Darin wurden im 20. und 21. Jahrhundert Funde gemacht, die international Beachtung fanden: der Löwenmensch aus dem Hohlenstein-Stadel bei Asselfingen, die „Venus vom Hohle Fels“ bei Schelklingen, aber auch Tierdarstellungen wie das kleine Mammut aus dem Geißenklösterle bei Blaubeuren. Alle werden in die Jüngere Altsteinzeit, genauer gesagt in die Kulturstufe des Aurignacien, datiert, vor etwa 43000 bis 35000 Jahren. Es ist die Epoche, in welcher der moderne Mensch nach Europa kam. Venus, Mammut & Co. sind die ältesten bekannten Zeugnisse für figürliche Kunst überhaupt. Einige Flöten aus Knochen und Elfenbein, die dort entdeckt wurden, gelten als der weltweit älteste Beleg für Musik. Im heutigen Schwabenland, so scheint es, machte die menschliche Kultur einen gewaltigen Sprung.

    Die Entscheidung wird in den kommenden Tagen erwartet

    In den kommenden Tagen wird die Entscheidung aus Krakau erwartet. Entsprechend gespannt ist man auf der Alb. „Die Aufregung ist groß, das spürt man“, sagt Wolfgang Koller. Bei dem Verwaltungsmann aus dem Landratsamt Alb-Donau-Kreis laufen in Sachen Eiszeitkunst viele Fäden zusammen. „Welt-Kult-Ur-Sprung“ heißt die Dachmarke, unter der sich verschiedene Interessengruppen zusammengefunden haben: Kommunen, Museen, die Uni Tübingen, das baden-württembergische Landesamt für Denkmalpflege, aber auch Heimatvereine und der regionale Tourismusverband. Alle hoffen sie auf ein positives Votum der Unesco.

    Koller ist von Berufs wegen zurückhaltend, aber guter Dinge. „Wir können hier Originale präsentieren – und wir haben kurze Wege zu den Fundplätzen“, sagt er. Die Venus und ein Großteil der Funde aus dem Achtal sind im Urgeschichtlichen Museum (Urmu) Blaubeuren ausgestellt, der Löwenmensch ist ein Prunkstück im Museum Ulm. Und bei Niederstotzingen können Eltern und Kinder im „Archäopark Vogelherd“ Feuer machen und grillen wie vor zehntausenden von Jahren. Steinzeit für die Familie.

    Die Höhlenaktivisten aus dem Ländle haben Grund zum Optimismus: Der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos), der auch schon Vertreter auf die Alb entsandte, empfiehlt der Unesco, die Höhlen als Welterbe anzuerkennen. Was nicht selbstverständlich ist: Der zweite deutsche Antrag, der in Krakau verhandelt wird, der Naumburger Dom und die hochmittelalterliche Kulturlandschaft drum herum, ist nach Ansicht des Gremiums nicht titeltauglich. Im Normalfall folgt die UN-Organisation der Einschätzung der Denkmalschützer. Die schwäbischen Höhlen erfüllen laut

    Die Höhle gleicht einer Kathedrale aus Kalkstein

    Dort, genauer in Blaubeuren, ist die Wanderergruppe mittlerweile am Geißenklösterle angekommen. Und die aufkeimende Eiszeit-Euphorie bekommt einen kleinen Dämpfer: Die potenzielle Welterbe-Höhle ist nicht viel mehr als eine Nische im Kalkgestein, die eigentliche Höhlenhalle ist schon vor tausenden Jahren eingestürzt. Noch dazu liegt die Nische, in der noch ein Raster von dünnen Stahlseilen von früheren Ausgrabungen kündet, hinter einem meterhohen, von Stacheldraht gekrönten Gitter, das für normale Besucher versperrt bleibt. Archäologe Wiedmann erklärt: „Wir können nicht für so viele Leute die Höhle öffnen.“ Auch wenn es der Laie zunächst nicht sehen mag: Es gibt hier etwas zu schützen. Denn bei früheren archäologischen Untersuchungen wurde nicht der komplette Boden abgegraben. An den Rändern sind die Schichten noch intakt – und könnten weitere Artefakte enthalten. Was mit Blick auf die Unesco-Bewerbung wichtig ist: Die soll schließlich die Fundstellen für die Zukunft erhalten.

    Das Geißenklösterle mag von den sechs nominierten Höhlen die unspektakulärste sein, auch die anderen sind eher unscheinbar. Außer der Hohle Fels bei Schelklingen. 30 Meter hoch ist die Höhle, eine Kathedrale aus Kalkstein, selbst an trockenen Sommertagen feucht und kühl. Jeden Sonntag können Touristen dieses Wunder bestaunen und sich von Höhlenbären, Tropfsteinen und Eiszeitjägern erzählen lassen. 9000 Besucher kommen im Jahr. Bisweilen sind es auch ganz besondere Gäste, wie einer der Höhlenführer erzählt. Frauen, die an diesem mythischen Ort die Energie der Erdgöttin spüren wollen.

    Schuld daran ist ein Mann. Noch dazu einer, der so gar kein Esoteriker ist. Der Tübinger Archäologie-Professor Nicholas Conard, ein smarter Wissenschaftler in Jeans und Pulli, gräbt seit 1997 in der Höhle. 2008 machte er dort die bis heute wichtigste Entdeckung: die „Venus vom Hohle Fels“, ein kleines, unverkennbar weibliches Figürchen aus Mammutelfenbein. Derzeit ist wieder eines seiner Teams im Einsatz, überwiegend Studenten aus dem Ausland. Sie graben – oder besser kratzen und pinseln – rund um den Fleck, wo einst die Venus aus dem Dreck spitzelte. Nicht in der großen Halle, sondern im Eingangsbereich, in einer etwa vier Meter tiefen Grube. „Was da ist, werden wir finden“, sagt der aus den USA stammende Archäologe. „Aber wir sind noch am Anfang.“

    Das Welterbe-Siegel ist ein mächtiges Marketing-Argument

    Conard ist einer, der Begeisterung wecken will und kann. „Diese Höhlen haben eine universelle Bedeutung für alle Menschen auf der Erde. Wie die Pyramiden von Gizeh.“ Er wünscht sich mehr Interesse für das Thema. „Die Leute sollen merken: Deutschland ist nicht nur Autos, Bier, Nazis und Neuschwanstein.“

    Conards Neuschwanstein-Vergleich mag augenzwinkernd gemeint sein, aber natürlich nährt die Aussicht auf das Unesco-Siegel Hoffnungen im Tourismusgewerbe, vor allem aber bei den Museen, in denen die Funde präsentiert werden. Stefanie Kölbl, Direktorin des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren, hat sich umgehört. Anderswo, etwa in der Hamburger Speicherstadt, seien die Besucherzahlen um 40 Prozent und mehr gestiegen. Das Welterbe-Siegel ist ein mächtiges Marketing-Argument. Das weiß auch „Welt-Kult-Ur-Sprung“-Koordinator Koller: „Es gibt ausgemachte Unesco-Touristen.“ Für die ist allerdings nicht überall so viel geboten wie in Blaubeuren, das mit der Altstadt und seinem Blautopf, der bekannten Karstquelle, ohnehin ein beliebtes Ausflugsziel ist. Im Lonetal hingegen, zwischen Langenau und Giengen an der Brenz, ist die Suche nach einem Restaurant oder Hotel bisweilen fast so schwierig wie eine archäologische Ausgrabung.

    Und wenn es nicht klappt? Wenn das Welterbe-Komitee Nein sagt zu den „Höhlen der ältesten Eiszeitkunst“? Koller will sich selbst dann nicht entmutigen lassen: „Das Thema hat unabhängig von irgendwelchen Labels eine Strahlkraft.“ Zumindest in Blaubeuren ist man auch ohne Siegel weitergekommen. Zu den beiden Höhlen im Stadtgebiet, dem Geißenklösterle und dem Sirgenstein, werden demnächst neue Wege angelegt, damit die Besucher künftig bequemer die Hänge erklimmen können. Die Pfosten für neue Schilder stehen bereits. Ob auf diesen dann das Welterbe-Logo prangen darf, wird sich wohl bis zum Wochenende entscheiden. Dass auf der Schwäbischen Alb Menschheitsgeschichte geschrieben wurde, steht schon jetzt fest.

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