Es kommt nicht sehr oft vor, dass in der Sportberichterstattung vom drohenden Atomkonflikt mit Nordkorea die Rede ist, von Irans Raketenprogramm oder den drängenden Problemen einer Krankenversicherung. Nach diesem Wochenende aber fragen in den USA sehr, sehr viele Kommentare und Sportler, ob der US-Präsident eigentlich nichts Wichtigeres zu tun habe als auf Footballprofis einzudreschen, die während der Hymnenzeremonie knien? Ob das Land wirklich keine anderen Probleme habe?
Trump bezeichnet Sportler als "Hurensöhne"
Es ist dabei nicht mehr entscheidend, wofür oder wogegen die Sportler ursprünglich protestiert haben. Colin Kaepernick hatte 2016 den Anfang gemacht. Als Quarterback der San Francisco 49ers wollte er ein Zeichen setzen gegen Polizeigewalt und kniete nieder. Andere schlossen sich an. Heute ist Kaepernick vereinslos. Einsetzend mit dem Neustart der Saison im September protestierten weitere Spieler.
Dann gefiel es Donald Trump, sich einzumischen. Bei einem Auftritt in Alabama führte sein mäandernder Gedankenstrom aus dem Nichts dazu, den knieenden Spielern den Respekt vor Volk und Vaterland abzusprechen. Er wünsche sich, dass einer dieser "Hurensöhne" gefeuert werde.
Am Samstag legte Trump nach. Und wo er mal dabei war, lud er auch gleich Basketballer-Superstar Stephen Curry von einer Ehrung aus dem Weißen Haus wieder aus, der allerdings eh nicht mehr kommen wollte. Als Tom Brady von den New England Patriots nicht zur Ehrung ins Weiße Haus kam, schwieg Trump. Brady ist weiß.
Der ursprüngliche Anlass und das Ziel des Protests haben sich nun entkoppelt. Die Symbolik richtet sich nun auch gegen den Präsidenten selbst. Sie tritt auch ein für das Recht auf freie Meinungsäußerung, "das für Sportler bitte nicht weniger gilt als für jedermann". Darauf hätte vielleicht nicht erst der New Yorker hinweisen müssen.
Viele NFL-Spieler sind in den USA echte Helden, ihr Leben und ihre Spiele werden mit einer in Deutschland kaum nachvollziehbaren Innigkeit begleitet. Trump riet, der NFL fernzubleiben.
Manchen Anhängern ist es egal, was Trump tut und sagt
Trumps Attacke ist gefährlich. Aber da er sie über das Wochenende fortsetzte und auch seine Büchsenspanner ausschwärmten, wird Trump davon ausgehen, dass seine Linie in seinem Lager einmal mehr verfängt. Dem harten Kern der "Die Hard"-Trumpisten, das zeigen Umfragen, ist es völlig egal, was Trump sich leistet. Er ist ihr Präsident. Strategisch ist das Vorgehen trotzdem rätselhaft. Mit einer Minderheit, sei sie noch so überzeugt, gewinnt man weder Wahlen noch Zustimmung zu Gesetzen.
Mindestens 100 NFL-Spieler trotzten am Sonntag Trumps Kritik, sie knieten während der Hymne oder blieben sitzen. Demonstrativ umarmten sich Teams am Spielfeldrand oder hielten sich an den Händen. Auch drei NFL-Teambesitzer schlossen sich an. Die Pittsburgh Steelers blieben während der Hymne gleich ganz in der Umkleide.
Trump, ganz huldvoll-gestrenger Zampano, erklärte am Sonntag: Unterhaken sei Ok, Knien nicht. Will der Präsident darüber bestimmen, welche seiner Bürger dem Recht auf freie Meinungsäußerung auf welche Weise Ausdruck verleihen möchten? Dann retweetete Trump einen beinamputierten Veteranen: Wie gern dieser Mann doch auf eigenen Beinen vor seiner Flagge stehen würde, für deren Freiheit er gekämpft habe. Der zweite Retweet legte einen Boykott der NFL nahe.
Nachgefragt bei Fans am Sonntagnachmittag in Carson, Kalifornien, auf dem Parkplatz vor dem Spiel der Los Angeles Chargers gegen die Kansas City Chiefs. Arnold Iribarren (32) sagt der dpa: "Ich mag das Knien nicht. Wenn Du für die NFL spielst, repräsentierst Du ja auch Dein Land. Also solltest Du stehen." Sam Garcia (59): "Der Protest gehört auf eine andere Plattform." Ed, ein Chargers-Fan: "Gekniet werden sollte nur in der Kirche." Robin Steiner (52) widerspricht: "Es ist ihr Recht. Wie sie es ausdrücken, ist ihrer Sache."
Trump gehe den Weg der Spaltung des Landes mit aller Konsequenz weiter, meinte die "Washington Post". Die New York Times und eine lange Reihe anderer US-Medien zogen eine gerade Linie von früheren Ausfällen Trumps über seine Gleichsetzung von Neonazis und Gegendemonstranten in Charlottesville bis zu seiner NFL-Beschimpfung.
In Alabama trennte Trump, einmal mehr, vor einem fast ausschließlich weißen Auditorium zwischen dem "Wir, Leute wie Ihr" des von ihm so verstandenen eigentlichen Volkes und "diesen Typen", die da in den Stadien knieten. Die Liga wehrte sich, deutlich und scharf in der Sache, moderat und strikt inhaltlich im Ton. Sogar Robert Kraft, Besitzer der New England Patriots, kritisierte seinen guten Freund.
Das Magazin The Atlantic sieht Trump vom harten Polit-Alltag gelangweilt, er habe wohl ein neues Thema gebraucht. Nordkorea, UN-Debatte, der US-Senat, das mache ihn alles eigentlich fertig. Dann lieber brüllen, streiten, pöbeln - da kenne er sich aus: "Donald Trump ist die Politisierung von Allem und Jedem."
US-Presse: "Natürlich sind Trumps Ausfälle rassistisch"
70 Prozent der NFL-Athleten sind Farbige, die meisten Knienden sind es auch. "Machen wir uns nichts vor", schrieb der New Yorker, "natürlich sind Trumps Ausfälle rassistisch. Warum die Überraschung?" Das Magazin The Daily Beast meinte lakonisch: "Murmeltiertag. Schon wieder." Mit seinen jüngsten Ausfällen dürfte Trump letztlich eine Protestbewegung eigenhändig befeuert haben. Dass das Knien und die wütende Kritik - nicht nur aus der Sportwelt - enden, ist nicht zu erwarten.
Trump liegt mit der NFL seit langem und immer wieder überkreuz, er kann Verlieren einfach nicht ab. Seit längerem kritisiert er die Einschaltquoten ("fallen ständig"), die Regeln ("viel zu lasch"), das Spiel selbst ("wo ist die Härte"). Flammende Studien zu Schädel- und Hirnverletzungen in der NFL scheinen ihm nicht gewärtig.
In den 80er Jahren versuchte Trump, die US Football League als Konkurrenzveranstaltung aufzubauen, was ihm ebenso wenig gelang wie der Erwerb eines NFL-Teams. Dabei hätte das womöglich den Lauf der Geschichte verändert. 2016 sagte Trump einem Reporter der AP: Wäre 2014 sein Angebot für die Buffalo Bills angenommen worden, wäre er niemals in den Wahlkampf ums Weiße Haus eingestiegen. So aber sei Politik dann doch aufregender - und zumal deutlich billiger.
Verkauft wurden die Buffalo Bills für 1,4 Milliarden. Trump bot 1 Milliarde US-Dollar. Nur 400 Millionen zu wenig. dpa