Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

US-Traditionen: Warum Thanksgiving in den USA so wichtig wie Weihnachten ist

US-Traditionen

Warum Thanksgiving in den USA so wichtig wie Weihnachten ist

    • |
    Donald Trump begnadigt den Truthahn «Corn» (Mais). Der amtierende US-Präsident hat bei der traditionellen Zeremonie vor dem Thanksgiving-Fest zwei Truthähne vor dem Tod bewahrt.
    Donald Trump begnadigt den Truthahn «Corn» (Mais). Der amtierende US-Präsident hat bei der traditionellen Zeremonie vor dem Thanksgiving-Fest zwei Truthähne vor dem Tod bewahrt. Foto: Susan Walsh, dpa

    Ob sie sich chic machen an Thanksgiving? Edgar Liranzo lacht. „Nein, wir feiern im Pyjama. Sind ja nur wir.“ Der 48-Jährige meint seine Frau, die beiden Töchter und sich. Nicht die zwölf bis 16 Leute, die sich sonst bei der Familie in Long Island an der Ostküste der USA einfinden, um gemeinsam das Erntedankfest zu feiern.

    Sie haben dekoriert wie immer, und wie immer gibt es viel zu essen. Und doch ist diesmal alles anders bei den Liranzos und vielen anderen Familien im Land.

    Thanksgiving ist so wichtig wie Weihnachten

    Thanksgiving ist den Amerikanern so wichtig wie Weihnachten oder der Unabhängigkeitstag. Der Feiertag ist am vierten Donnerstag im November. Viele nehmen ein langes Wochenende, besuchen Verwandte und Freunde, essen Truthahn, Cranberry-Soße und Kürbiskuchen. Vor dem Festmahl danken sie für das, womit sie gesegnet wurden – und dass alle am Tisch vereint sind. Dieser Teil fällt für viele Familien in der Pandemie weg.

    Edgar Liranzo holt den weißen Elektrobräter vom Küchenregal. „Da passen elf Kilo Truthahn rein“, sagt er. An Thanksgiving kocht die Familie zusammen. Den Liranzos geht es um die Gemeinschaft. Und ums Reste-Essen, sagt der groß gewachsene Familienvater mit den kurz rasierten Haaren und dem grau melierten Bart. Er lacht. „Das ist das Beste an Thanksgiving: Am Tag danach essen wir weiter.“

    Jeder Gast bringt an Thanksgiving etwas mit

    Normalerweise bringt jeder Gast etwas mit, Salat, Dessert oder Brot, das zu Beginn des Abendessens gebrochen wird. Dieses Jahr liegen nur vier Tischsets – große Filz-Laubblätter – auf dem Esstisch. Orange-rote Girlanden und Kränze schmücken Türrahmen und das Holzgeländer hinauf in den ersten Stock.

    Aber nur bis Freitagmorgen. Am Black Friday, wenn traditionell die Einkaufssaison für das Christfest startet, holen die Liranzos ihre Weihnachtsdekoration raus. Hinter dem Fernseher im Wohnzimmer hängen bereits Lichterketten.

    Am Abend des Erntedankfestes schaut die Familie Football, tagsüber die Thanksgiving-Parade des Kaufhauses Macy’s, die aus New York übertragen wird. Es ist der bekannteste Festumzug des Landes, der sich normalerweise auf etwa vier Kilometern durch Manhattan zieht – mit Festwagen, Künstlern und riesigen Comicfigur-Ballons, die höher sind als ein Einfamilienhaus.

    Tapfere Teilnehmer der Parade.
    Tapfere Teilnehmer der Parade. Foto:  Eduardo Munoz Alvarez, dpa

    Diesmal gibt es das Spektakel nur als Fernseh-Show ohne Zuschauer. Auch die Parade von Detroit findet zum ersten Mal seit 94 Jahren lediglich virtuell statt. Andere Städte wie Chicago und Houston haben ihre Umzüge abgesagt.

    Die Ureinwohner feiern nicht. Für sie ist die Geschichte, auf die das moderne Thanksgiving zurückgeht, eine andere als das Festessen, das Kinder oft in der Schule als Siedler und Indianer verkleidet nachspielen. Die Kurz-Schulversion geht so: 1620 kommen englische Siedler, die Pilgerväter, mit dem Schiff „Mayflower“ im heutigen Massachusetts an. Freundliche Indianer empfangen sie und zeigen ihnen, wie man Getreide anbaut und in der Region überlebt. Sie besiegeln ihre Freundschaft 1621 mit einem Festmahl. Die Kolonien von Neuengland wachsen und bringen dem Land Freiheit und Demokratie.

    Ureinwohner halten Nationaltrauertag ab

    Für die Ureinwohner geht die Geschichte so: Der Stamm der Wampanoag hilft den hungernden Fremden beim Überleben. Als Dank stehlen die Engländer ihr Land, begehen Völkermord, unterdrücken die Einheimischen – und feiern nun jährlich deren Trauma. Nicht zuletzt schleppten die Europäer Seuchen ein und sorgten für Epidemien, die den Wampanoag-Stamm beinahe auslöschten.

    Die Angst vor Ansteckung bestimmt auch das Jahr 2020. Trotzdem halten die „Indianer von Neuengland“ an diesem Donnerstag, wie seit fünfzig Jahren, ihren Nationaltrauertag ab und marschieren mit Schutzmasken durch Plymouth, Massachusetts, um an ihr Schicksal zu erinnern und gegen anhaltende Unterdrückung zu protestieren.

    Für die Ureinwohner ist Thanksgiving kein Grund zu feiern. Sie verloren ihr Land.
    Für die Ureinwohner ist Thanksgiving kein Grund zu feiern. Sie verloren ihr Land. Foto: Travel Nevada, dpa

    Der Rest des Landes fragt sich: Reisen am Feiertag oder nicht? 2019 taten das laut der American Automobile Association (AAA), dem größten Verkehrsklub der USA, 55 Millionen Amerikaner. Diesmal werden es deutlich weniger sein, nachdem allein in den vergangenen sieben Tagen mehr als eine Million neue Corona-Fälle gemeldet wurden. Inzwischen haben sich mehr als zwölf Millionen US-Amerikaner mit dem Virus infiziert, fast 260000 sind an oder mit Corona gestorben.

    Die Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfiehlt, daheimzu-bleiben und die Familie per Videoanruf zu sehen. Wer reist, soll beachten, welche Einschränkungen im jeweiligen Bundesstaat gelten. Viele verlangen bei Einreise einen negativen Covid-19-Test. Dementsprechend lang waren die Schlangen zuletzt vor Testcentern von Kalifornien bis Connecticut. In New York zahlten Menschen Freiwilligen bis zu 80 Dollar pro Stunde, um für sie in der Schlange zu stehen.

    Epidemiologen feiern Thanksgiving zu Hause

    Die New York Times hat mehr als 600 US-Epidemiologen gefragt, wie sie den Feiertag verbringen. 79 Prozent machen ein Festessen zu Hause oder gar keines. Manche wollen Beilagen mit Freunden austauschen und dann allein essen. Andere beschlossen einheitliche Quarantäneregeln für alle Festteilnehmer, um sich 14 Tage später zu Thanksgiving zu treffen.

    Auch der Gesundheitsexperte Anthony Fauci würde gerne seine Kinder sehen. Doch die lebten in drei verschiedenen Bundesstaaten und müssten fliegen, sagte der 79-Jährige dem Sender CBS News. Das Risiko ist zu hoch.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden