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Türkei: "Säuberungen": Türkische Regierung wird immer schärfer kritisiert

Türkei

"Säuberungen": Türkische Regierung wird immer schärfer kritisiert

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    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach dem Putsch eine »Säuberung» der Armee angekündigt und von einem »Krebsgeschwür» im Staat gesprochen.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach dem Putsch eine »Säuberung» der Armee angekündigt und von einem »Krebsgeschwür» im Staat gesprochen. Foto: Str, dpa

    Seit der Niederschlagung des Putsches wurden in der Türkei mehr als 6000 Menschen festgenommen. Das teilt die türkische Regierung mit. Darunter sollen sich 103 Generäle und Admiräle befinden sowie der frühere Kommandeur der Luftwaffe, Akin Öztürk, der als einer der Putschistenführer gilt. 8777 Staatsbedienstete wurden laut der Nachrichtenagentur Anadolu suspendiert, darunter 7899 Polizisten. CNN zeigt auf Twitter verstörende Bilder zusammengepferchter Gefangener, die in Unterwäsche scheinbar in einer Reithalle sitzen:

    Das Vorgehen der türkischen Regierung wird derweil scharf kritisiert. Erdogan hatte nach dem Putsch eine "Säuberung" der Armee angekündigt und von einem "Krebsgeschwür" im Staat gesprochen.  Als tragisch bezeichnete es Bundestagspräsident Norbert Lammert, dass  Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zunächst durch den mutigen Einsatz tausender Zivilisten bewahrt wurden - und nun von der Staatsregierung  selbst beseitigt zu werden scheint.

    EU-Kommission: Türkei verstößt gegen Rechtsstaatlichkeit

    Die EU-Kommission wirft der türkischen Regierung Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Man habe nach den Ereignissen betont, dass die Aufarbeitung nach internationalem Recht erfolgen sollte, sagte der für die EU-Beitrittskandidaten zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn. "Nach dem, was wir sehen, ist das nicht wirklich der Fall."

    Er soll laut der türkischen Polizei militärischer Anführer des Putsch-Versuches gewesen sein: der ehemalige Kommandeur der türksichen Luftwaffe Akin Öztürk.
    Er soll laut der türkischen Polizei militärischer Anführer des Putsch-Versuches gewesen sein: der ehemalige Kommandeur der türksichen Luftwaffe Akin Öztürk. Foto: Str, dpa

    Hahn zeigte sich speziell über die Festnahme von Richtern beunruhigt. "Das ist genau das, was wir befürchtet haben", sagte er. Zudem äußerte er die Vermutung, dass die türkische Regierung ein Vorgehen gegen Gegner bereits länger geplant hatte. "Dass Listen direkt nach den Vorkommnissen vorhanden waren, deutet darauf hin, dass sie vorbereitet waren und zu einem bestimmtem Moment genutzt werden sollten."

    Ähnlich sieht das die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) : Im rbb-Info-Radio sagte sie, es sehe derzeit so aus, als ginge es Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan darum, schnell diejenigen festzunehmen, die ohnehin im Visier gewesen seien.

    CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen äußerte die Befürchtung, dass Erdogan "den Putsch ausnutzen wird, um seine Macht im Staat weiter auszudehnen und zu festigen, vor allem durch Ausschaltung von Kontrolle und Opposition". Die Entlassung von fast 3000 Richtern am Tag danach sei dafür ein "erstes massives Beispiel", sagte

    Ministerpräsident Yildirim: "Nach dem 15. Juli ist nichts mehr wie früher"

    Die türkische Regierung hat derweil 1800 zusätzliche Spezialkräfte der Polizei in Istanbul zusammengezogen. Diese Kräfte mit gepanzerten Fahrzeugen würden an strategisch wichtigen Einrichtungen und Straßen der größten Stadt des Landes eingesetzt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. Der

    Wie es aus Regierungskreisen hieß, patrouillierten in der Nacht zu Montag im gesamten Luftraum der Türkei F16-Kampfflugzeuge. Putschisten hatten bei ihrem Umsturzversuch in der Nacht zu Samstag Kampfjets sowie Hubschrauber gekapert und unter anderem das Parlament in Ankara bombardiert.

    In einer Rede vor Demonstranten in der Hauptstadt Ankara sagte Ministerpräsident Binali Yildirim in der Nacht zum Montag, dass "nach dem 15. Juli nichts mehr wie früher" sein werde. Yildirim deutete erneut an, dass die Todesstrafe in der Türkei wiedereingeführt werden könnte. Lautstarke Forderungen der Menge nach der Todesstrafe beantwortete er mit: "Wir haben eure Botschaft erhalten." Die Putschisten würden "in strengster Weise zur Rechenschaft gezogen". Griechenland hat entgegen der Darstellung der türksichen Regierung noch nicht über die Ausweisung von acht türkischen Militärs entschieden. Die Soldaten hatten sich am Samstag nach dem Putschversuch mit einem Hubschrauber von der Türkei nach Nordgriechenland abgesetzt.

    Wie zuvor Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan forderte auch Yildirim das Volk auf, sich weiterhin zu versammeln und gegen den Umsturzversuch zu demonstrieren. "Wir werden morgens zur Arbeit gehen und abends weiter auf den Plätzen Wache halten", erklärte Yildirim.

    Dem folgten auch Demonstranten in Istanbul, Ankara und anderen Städten. Tausende Anhänger Erdogans versammelten sich mit türkischen Flaggen auf dem Kizilay-Platz in Ankara und dem Taksim-Platz in Istanbul. Der Putsch war nicht zuletzt gescheitert, weil zehntausende Türken in der Nacht zu Samstag dem Aufruf von Erdogan gefolgt waren, sich auf öffentlichen Plätzen dem Umsturzversuch entgegenzustellen.

    Anhänger der türkischen Regierung attackieren Minderheiten

    Verteidigungsminister Fikri Isik forderte die Menschen nach Angaben des türkischen Senders NTV auf, "jede Äußerung unseres Präsidenten aufmerksam zu verfolgen und solange draußen zu bleiben, bis er sagt: Es reicht, ihr könnt wieder nach Hause gehen." Vor Anhängern Erdogans, die sich vor dem Wohnsitz des Präsidenten in Istanbul versammelt hatten, fügte Isik hinzu: "Der Putsch wurde verhindert, doch wir können nicht sagen, dass die Gefahr vorbei ist." 

    Bei Demonstrationen gegen den Putschversuch kam es Medienberichten zufolge zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Regierungspartei AKP und Minderheiten. In der zentralanatolischen Stadt Konya hätten AKP-Anhänger versucht, ein überwiegend von christlichen Aramäern bewohntes Viertel zu stürmen, berichtete die Zeitung "Cumhuriyet". Polizisten hätten das verhindert, bei Zusammenstößen seien aber fünf Aramäer verletzt worden. 

    Die Nachrichtenagentur DHA meldete, auch in der osttürkischen Stadt Malatya sei es zu Spannungen gekommen. In einem alevitisch geprägten Viertel hätten AKP-Anhänger gerufen: "Die AKP-ler sind hier, wo sind die Aleviten?" Sicherheitskräfte hätten Warnschüsse abgeben müssen, um Zusammenstöße zu vermeiden. dpa/AFP

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