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Titelthema Tradition: Vier Europäer erzählen: Diese kuriosen Bräuche gibt es in ihrer Heimat

Trocken bleibt am Ostermontag in Polen selten jemand. Am „Smigus-dyngus“ oder auch „lany poniedziałek“ ist es Tradition, dass Männer vorzugsweise unverheiratete Frauen nass spritzen.
Titelthema Tradition

Vier Europäer erzählen: Diese kuriosen Bräuche gibt es in ihrer Heimat

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    In Deutschland bringt an Ostern der Hase die Eier und an Weihnachten das Christkind die Geschenke. Doch in anderen Ländern herrschen andere Sitten – und Bräuche. Einige von ihnen sind sehr ausgefallen. Deshalb haben wir Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern und Deutsche mit Migrationshintergrund gebeten, uns ihre interessantesten Traditionen zu erzählen.

    Frankreich Die Franzosen kennen unseren Osterhasen nicht. Die Eier bringen dort die Kirchenglocken, erklärt Anne Noirot-Nérin, die bei Toulouse lebt. Denn als religiöse Tradition gilt in Frankreich an Ostern das Schweigen der Glocken von Gründonnerstag an, um mit der Stille an Jesu’ Kreuzigung und Tod zu erinnern. Erst am Ostersonntag läuten die Glocken wieder, um Christi Auferstehung zu feiern.

    „Den Kindern wird erzählt, dass die Glocken sich am Gründonnerstag nach Rom aufmachen, um sich vom Papst für das kommende Jahr segnen zu lassen, weshalb sie in dieser Zeit nicht mehr läuten“, sagt die 60-Jährige. Aus Rom bringen sie Ostereier und Süßigkeiten oft in geflügelter Glockenform mit, die sie auf ihrem Rückflug für die Kinder fallen lassen. „Sobald die Glocken am Ostersonntag wieder läuten, suchen die Kinder die Eier und Süßigkeiten, die natürlich die Erwachsenen für sie versteckt haben.“ Der Brauch der Osterglocken ist auch in Belgien und Italien bekannt.

    Wasserschlacht: In Polen ist es Tradition, am Ostermontag Frauen nass zu spritzen

    Polen Am Ostermontag werden am sogenannten „Smigus-dyngus“ oder „lany poniedziałek“ (zu Deutsch: nasser Montag) Frauen, vorzugsweise unverheiratete, von Männern mit Wasser nass gespritzt, erklärt Ralf Cyganek. Dabei kommen nicht nur Wasserpistolen, sondern zum Teil ganze Wassereimer zum Einsatz. Oft wehren sich die Frauen und spritzen zurück. Als Kind war der in Oberstaufen (Oberallgäu) aufgewachsene 27-Jährige oft dabei. Seine Eltern stammen aus der Nähe von Kattowitz. Mittlerweile artet der Brauch in große Wasserschlachten auf der Straße aus.

    Zur Herkunft dieser Tradition gibt es mehrere Überlieferungen. Christlich gesehen soll der Brauch auf das Jahr 966 zurückgehen und an die Taufe des polnischen Herrschers Mieszko I. am Ostermontag erinnern. Dadurch kam Polen zum christlichen Glauben. Als andere Möglichkeit gilt ein Reinigungsritual heidnischer Herkunft zum Frühlingsbeginn. Der Brauch existiert auch in Tschechien, Ungarn, der Ukraine und Slowakei.

    Bootsfahrt: In Spanien ist es Tradition, dass Statuen eine Spritztour auf dem Meer machen

    Spanien In vielen Küstenorten Spaniens finden um den 16. Juli Feierlichkeiten zu Ehren der „Virgen del Carmen“, der Jungfrau Maria als Schutzpatronin der Fischer und Seeleute, statt. Auf Teneriffa herrscht am Tag der „Embarcación de la Virgen del Carmen“ Ausnahmezustand, erklärt Rebecca Haid González, die auf der Insel geboren und aufgewachsen ist. Vor zwei Jahren ist die 26-Jährige extra aus Augsburg, wo sie studiert hat, hingeflogen.

    Nachmittags treffen sich alle in der Hafenstadt Puerto de la Cruz, um der Prozession der Marienstatue und der Statue des San Telmo – ebenfalls Schutzpatron der Fischer – beizuwohnen. Tausende Menschen lauschen dem gesungenen „Ave Maria“. „Ein Gänsehautmoment“, sagt Haid González. Anschließend ruft die Menge „Viva la Virgen del Carmen“ und „Viva San Telmo“. „Einige weinen sogar. Manche rufen den Figuren auch Wünsche zu. Spanier sind sehr emotional“, sagt die 26-Jährige. Aber sogar ihr deutscher Vater sei jedes Mal begeistert. Danach werden die Statuen für eine Rundfahrt auf dem Atlantik auf Boote verladen – begleitet von einem Konvoi mit Fahnen geschmückter Fischerboote. Mit Musik, Tanz und Feuerwerk feiern alle bis spät in die Nacht.

    "Helau": In Norditalien ist es Tradition, dass 18-Jährige "Karten ziehen gehen"

    Italien „Ji a tré zedules“ (zu Deutsch: Karten ziehen gehen) heißt es für alle 18-Jährigen im Mai in den norditalienischen Gemeinden St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein. Also dort, wo noch die rätoromanische Sprache Ladinisch gesprochen wird. „18-jährige Männer mussten früher im Mai nach St. Ulrich oder Kastelruth zur Musterung. Dort zogen sie eine Karte mit einer Nummer, nach der sie aufgerufen wurden“, erklärt Marlis Schenk, die in St. Christina aufgewachsen ist. Zur Musterung trugen die jungen Männer Hüte mit langen bunten Bändern. „Wer vom Wehrdienst befreit wurde, hat die Karte auf den Hut gesteckt. Wer tauglich war, hat sie weggeschmissen und stattdessen Blumen und Federn am Hut befestigt“, erläutert die 29-Jährige. Auf dem Heimweg schrien die 18-Jährigen „Helau“, was dem Tag seinen heutigen Namen gab.

    Obwohl der Wehrdienst 2005 in Italien abgeschafft wurde, gibt es den Brauch noch. Nur stecken keine Karten mehr in den Hüten. Und mittlerweile machen auch die Mädchen mit – ohne Hut, aber mit bunten Bändern um den Arm gewickelt. Die 18-Jährigen laufen „Helau“-rufend durch den Ort, wobei die Männer mit den Hutbändern vorbeifahrende Autos peitschen. Und einer von ihnen trägt eine Art geschnitztes Zepter, das es zu verteidigen gilt, sagt Schenk, die jetzt in München lebt. Wer sich von den Männern bei Kraftproben als Stärkster erweist, gewinnt das Zepter.

    Dieser Artikel gehört zum Titelthema Tradition, das unsere Volontäre des Abschlussjahrgangs 2020 gestaltet haben. In ihren Texten setzen sie sich mit verschiedenen Aspekten von Tradition auseinander.

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