"Ich bin sogar systemrelevant. Und trotzdem kann ich mir keine Wohnung leisten.“ Der Satz, den Busfahrer Otto Wagner (Peter René Lüdicke) auf dem verwaisten Busbahnhof in seine Bierflasche murmelt, fasst 90 Minuten Film zusammen. Mietwahnsinn, Wohnungskündigungen, ausgesprochen ohne jede Empathie hinter der Mund-Nasen-Maske: Dit is’ Corona-Jahr, dit is’ Berlin.
Die Episode wird als Dokument ihrer Zeit in die „Tatort“-Geschichte eingehen – aber leider nicht in die Historie der besten Fälle. Das Ermittlerteam Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass da noch Platz wäre für ehrliches Interesse an den Menschen in einem Mietshaus im Berliner Wedding, bei denen teils nach Jahrzehnten in denselben vier Wänden das Räumungskommando vor der Tür steht.
Wohnungssuchende im "Tatort" aus Berlin sind nur Staffage
Und der Tatort heute (Regie: Norbert ter Hall, Drehbuch: Katrin Bühlig) muss sich messen lassen am Obdachlosen-Fall aus Köln, gerade mal drei Monate her. „Wie alle anderen auch“ hieß der. Da ermittelten Schenk und Ballauf im Schatten des Doms unter Wohnungslosen und denen, die kurz davorstehen, es zu werden. Wie damals werden auch jetzt in Berlin echte Menschen von der Straße mit ihren Namen und ihren Wünschen eingeblendet. Doch während die Macher des Kölner Falls den Abgehängten eine Geschichte gaben, dürfen sie in der Berliner Episode „Die dritte Haut“ nicht viel mehr sein als Staffage mit leeren Blicken.
Kaum sind Leute wie Busfahrer Otto Wagner oder die alleinerziehende Mutter Jenny Nowack (Berit Künnecke) raus aus ihren abgeranzten, doch geliebten Wohnungen, rollen die neuen Besitzer des Mietshauses leuchtende Transparente aus: „Wir renovieren für Sie!“ Und Renovieren heißt in diesem Fall wie so oft: „Wir luxussanieren für Sie!“ Daran ändert sich auch nichts, als der Juniorchef der Immobilienfirma (Murat Dikenci) tot unter einem der Balkone liegt.
"Tatort" aus Berlin: Mietrebell ist ein Vollzeitjob
Dass Ermittler Karow mit gefrorenen Gefühlen lebt, weiß man. Dass es zwischen ihm und Rubin aber sexuell lodert und ständig die Frage im Raum steht, wann sie wieder übereinander herfallen, lässt alle anderen Eigenschaften der Kommissare verschwinden.
Immerhin, ein paar Sätze brennen sich ins Gedächtnis ein, etwa wenn die Immobilienmaklerin sagt, dass man sich beim aktuellen Wohnungsmarkt nicht mit säumigen Mietern „rumschlagen“ müsse und festgestellt wird, dass „Mietrebell“ in Berlin ein Vollzeitjob ist. Dennoch: Das hippe Berlin der Kommissare und die Jogginghosen-Tristesse hinter den grauen Fassaden der Problembezirke finden nicht zusammen. Vermutlich einfach der falsche Fall fürs falsche Team.
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