Man muss ein wenig in der Pressemappe zur Hamburger Tatort heute – „Macht der Familie“ (ARD, 20.15 Uhr) – schmökern, um eine Ahnung davon zu bekommen, was Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein vorgeschwebt sein könnte. Es hilft zu verstehen, warum dieser „Tatort“ nicht funktioniert.
In der Zeitung, erklärt Stein, habe er über die Geschäfte gelesen, die War-Lords mit von der russischen Regierung gelieferten Waffen betrieben. „Wie würde das Regime von Wladimir Putin reagieren, wenn herauskommt, dass mit seiner Militärhilfe ein schwungvoller Handel in Drittländer aufgezogen wird?“, habe er sich gefragt. Der Kreml stehe ja nicht erst seit den Giftanschlägen in England oder der Ermordung eines Tschetschenen in Berlin im Verdacht, gegen seine Feinde auch im Ausland äußerst skrupellos vorzugehen.
Stein schickt die Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz), die wie nebenbei zur Hauptkommissarin befördert wird, also in einen Fall, der sie – nochmals Stein – komplett überfordere.
Der Stoff dieser "Tatort"-Folge wäre eher etwas für eine Serie gewesen
Kann man so sagen: Die Bundespolizisten haben es zu tun mit a) der Russenmafia, b) einem geplanten Waffendeal, bei dem es um Flugabwehrraketen geht, und c) einem verdeckten Ermittler, der bei einer Bombenexplosion an Bord eines Privatjets stirbt. Zudem mit Tolstoi zitierenden und virtuos Klavier spielenden Kriminellen und, genau, wohl dem russischen Geheimdienst. Hinzu kommt: Grosz als Einsatzleiterin ist ungewohnt nervös und hintergeht Falke.
Das wäre Stoff für eine Serie mit mindestens zwei Staffeln, eine Art „Im Angesicht des Verbrechens“. Stattdessen wurde daraus ein 90-Minüter, der mit einer grandios actionreichen ersten Viertelstunde anfängt, danach immer öder wird und mit einer ambitionslosen Auflösung endet. Was Stein offenbar als realitätsnahe Schlusspointe betrachtet, ist ein dramaturgisches Armutszeugnis: Die Mörder kommen urplötzlich und aus dem Nichts. Geheimdienst halt, vermutlich. Dann Schuss und Schluss.
Die Mörder kommen urplötzlich aus dem Nichts. Und Falke muss mal wieder als Frauenheld herhalten
Zuvor schon leidet dieser „Tatort“ an Unglaubwürdigkeiten, von denen die ärgerlichste in der Figur der verdeckten Ermittlerin Marija Timofejew besteht. Frauenheld Falke war mal deren Vorgesetzter und hatte, na klar, möglicherweise mal was mit ihr. An Tatiana Nekrasov, die Marija als „Grenzgängerin ohne Illusionen“ verkörpern soll, liegt’s nicht. Das Problem: Marijas Onkel, bei dem sie aufwuchs und von dem sie sich löste, ist der Waffenhändler; und sie ist hin- und hergerissen.
Dass eine andere Ermittlerin im Bett eines Verdächtigen landet, ist eines der weiteren Ärgernisse. Dieser „Tatort“ will ein modern erzähltes Mafiaepos sein und verhebt sich daran.
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