Wenn das Böse wieder zugeschlagen hat und alle Fakten auf dem Tisch liegen, was bleibt da noch der geschundenen Ermittler-seele? Am Ende vielleicht nur die Hoffnung, dass alles ein schlechter Traum gewesen ist. Der blutgetränkte Tanz der Realität mit der Illusion ist ein wiederkehrendes Motiv in der „Tatort“-Familie. Man denke nur an „Murot und das Murmeltier“, an einen Ulrich Tukur, gefangen in Zeitschleifen, die stets damit enden, dass der Kommissar erschossen und gleich darauf im Bett liegend vom Klingeln seines Handys wieder geweckt wird.
Plötzlich steht die Violinistin Marina aufgeregt im Münchner Kommissariat
„Dreams“ (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD), der neue Fall für die Münchner Haudegen Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl), schleicht sich von der anderen Seite an das Thema heran, von der des Täters. Die Violinistin Marina (Jara Bihler) steht aufgeregt im Kommissariat und gesteht, ihre beste Freundin Lucy (Dorothee Neff) getötet zu haben, mit der sie im Orchester um eine Stelle konkurrierte. Eine Leiche gibt es allerdings nicht. Lucy ist bloß verschwunden. Und das Hauptproblem ist: Marina weiß nicht, ob sie die Tat wirklich begangen oder nur geträumt hat.
Der rätselhaften Erklärung liegt ein erstaunliches menschliches Phänomen zugrunde: Marina ist Klarträumerin. Sie kann sich im Schlaf bewusst in einen Zustand versetzen, der es ihr ermöglicht, Dinge so zu üben, dass sie sie nach dem Aufwachen besser kann. In ihrem Fall ist dies das Geigespielen.
Die "Tatort"-Folge "Dreams" könnte sich im Absurden verlieren, in der Komplexität. Tut sie aber nicht
Wie Marina hat sich auch Lucy unter Anleitung einer Forscherin im Schlaf optimieren lassen – angetrieben von immensem Leistungsdruck, Neid und familiären Verpflichtungen. Und jetzt ist sie tot. Oder doch nicht? Das Faszinierende an der Erzählung ist: Klarträumen gibt es tatsächlich, wenn auch vermutlich nicht in dieser radikalen Form. Aber wirklich erforscht ist das Gebiet noch nicht.
Logisch, dass so ein Fall Batic und Leitmayr gewaltiges Kopfzerbrechen bereitet. Alles, was sie zunächst haben, ist eine merkwürdige Blutspur. Und die Erkenntnis aus Batic’ Mund: „Das Rumpfuschen im Traum, das macht doch was mit einem.“ In der Tat. Denn am Ende scheint es, als seien weitere Menschenleben in Gefahr. Ein Wettlauf mit der Zeit.
Die Geschichte könnte sich im Absurden verlieren, in der Komplexität. Tut sie aber nicht. Regisseur Boris Kunz („Hindafing“) schafft es, Traum und Wirklichkeit raffiniert zu verschmelzen und daraus eine bemerkenswerte Spannung zu erzeugen. Dazu: eine starke Besetzung, eine feine Kamera – und die in 30 Jahren antrainierten Batic-Leitmayr-Frotzeleien sind auch angemessen platziert.
Vielleicht nicht gleich ein Traum von einem „Tatort“. Aber beeindruckend allemal.