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TV-Kritik: Anne Will: Warum Miriam Gruß nicht mehr Hartz IV will

TV-Kritik

Anne Will: Warum Miriam Gruß nicht mehr Hartz IV will

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    Anne Will.
    Anne Will.

    Sollen Hartz IV-Empfänger mehr Geld bekommen? Fragte Anne Will am Sonntag ihre Gäste. Mit dabei: Miriam Gruß. Akzente konnte die FDP-Politikerin aus Augsburg allerdings nicht setzen.

    War da nicht was mit Jahrhundert-Krise? Ach nein, wir sind ja schon wieder mitten im Aufschwung. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Industrie freut sich über steigende Auftragszahlen, die Prognosen sind positiv. Zeit sogar schon wieder, nach höheren Löhnen zu rufen.

    Aber war da nicht noch etwas? Stimmt. Die eine oder andere Million Bundesbürger lebt ja doch noch in der Arbeitslosigkeit - und damit von Hartz IV. "Aufschwung für alle - höhere Löhne, mehr Hartz IV?", war die irgendwie reflexartige Frage, die Anne Will am Sonntagabend in der ARD ihren Gästen stellte.

    In der Runde saßen Andrea Ypsilanti, SPD-Landtagsabgeordnete in Hessen, Oswald Metzger, CDU-Mitglied und früherer Grünen-Haushaltsexperte, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Nikolaus Schneider, die Filmemacherin Rita Knobel-Ulrich, der Investigativ-Journalist Christoph Lütgert - und die Augsburger FDP-Politikerin und Bundestagsabgeordnete Miriam Gruß.

    Um es vorweg zu nehmen: Allzu große Spannung kam in der zweiten Anne Will-Sendung nach der Sommerpause nicht auf. Zu vorhersehbar waren die Positionen, zu eindimensional die Debatte. "Wenn die Löhne steigen, sollten auch die Hartz IV-Bezüge steigen", meinte Andrea Ypsilanti. Schließlich müssten auch Hartz IV-Empfänger "an der Gesellschaft teilhaben können". 400 Euro, so die SPD-Politikerin, seien dafür schon angebracht im Monat. Mindestens. Dem stimmte Nikolaus Schneider, Nachfolger der glücklosen Margot Käßmann zu. Nein, das dürfe "keine neue Gnaden-Diskussion werden", betonte er. Aber "400 plus" brauche der Hartz IV-Bezieher schon. Statt 359 Euro wie heute. Zuzüglich Wohngeld, Kindergeld und was sonst noch an staatlichen Leistungen hinzu kommt.

    Das sahen die anderen Drei in der Runde ein wenig anders. Selbstverständlich, man muss es ja immer wieder betonen, dürfe man Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger unter keinen Umständen alle über einen Kamm scheren. Und natürlich gebe es ganz viele Menschen, die alles täten, um aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. Aber es gebe eben auch die anderen, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht hätten. Niemand habe das Anrecht auf staatliche Dauer-Alimentierung, meinte so Oswald Metzger. Wobei er nicht zu Unrecht darauf hinwies, dass das Bundesverfassungsgericht kürzlich nur die Hartz IV-Sätze für Kinder in Zweifel gezogen hatte, nicht die für Erwachsene. Rita Knobel-Ulrich brachte den Taxi-Fahrer ins Spiel, der "jeden Tag zehn Stunden fährt und am Ende des Monats vielleicht 1100 Euro hat". Wie solle man dem erklären, dass ein Hartz IV-Empfänger kaum weniger im Monat habe?

    Und dann schließlich kam auch die bis dahin schweigende Miriam Gruß zu Wort. Durchaus ermuntert von Anne Will wollte sie sich zwar nicht festlegen, mit wieviel Geld Hartz IV-Empfänger in Deutschland künftig rechnen könnten. Eines sei allerdings klar: Arbeitnehmer dürfen nicht "die Gekniffenen" sein, weil sie arbeiten, während Arbeitslose ähnlich hohe staatliche Leistungen kassieren.

    Der Start war gemacht und Anne Will bemühte sich fortan redlich aber vergeblich, etwas mehr Schwung in die Diskussion zu bringen. Einspieler sollten zeigen, dass Langzeitarbeiter mit drei Kindern kaum weniger Geld im Monat kassieren als vergleichbare Zeitarbeiter. Ihre Frage, ob "viele Kinder vor Arbeit schützten" war freilich eine derart leicht durchschaubaure Provokation, dass sich keiner der Diskussionsteilnehmer wirklich darauf einlassen wollte.

    Ein wenig deplaziert wirkte dann der Auftritt des Investigativ-Journalisten Christoph Lütgert. Der hatte vergangene Woche mit einer Reportage über die desaströsen Arbeitsbedingungen beim Textil-Discounter kik für Wirbel gesorgt. Sein Schluss, das es viele Menschen gebe, die "eben nicht in der sozialen Hängematte leben wollen und sich deshalb ausbeuten lassen" wirkte im Kontext der Sendung etwas arg gekünstelt. Immerhin bot Lütgert Anlass, tatsächlich auch einmal die andere Seite zu beleuchten - die der Menschen, die trotz Arbeit nur etwas mehr Geld in der Tasche haben als Hartz IV-Empfänger.

    Ausgerechnet die evangelische Kirche durfte hier als Negativbeispiel aufwarten. Wolfgang Lindenmaier, Mitglied der arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie, kritisierte im Einspieler die kirchlichen Wohlfahrtsverbände: Wenn die Kirchen höhere Löhne und mehr Geld für Hartz IV-Empfänger forderten, hätten sie damit zwar absolut Recht - ihre Forderung sei allerdings geradezu schizophren, sagte er. Denn ausgerechnet die Diakonie hätte ja viele reguläre Jobs in Billigjobs umgewandelt. Was EKD-Präsident Schneider einräumen musste. "In der Diakonie ist es so, und das bedaure und kritisiere ich auch, dass acht Prozent der Arbeitsverhältnisse sozusagen outgesourct sind, und da kommen solche Geschichten vor", sagte er.

    Schneiders Geständnis blieb das einzige Ausrufezeichen in einer ansonsten eher farblosen Anne Will-Sendung. Sascha Borowski

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